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Prof. Dr. Ute Sacksofsky, M.P.A., Goethe-Univeristät Frankfurt

Foto: Lecher / Goethe Universität

Prof. Dr. Dr. h.c. Ute Sacksofsky, M.P.A., im Porträt

 

"Trauen Sie sich etwas zu!"

Prof. Dr. Dr. h.c. Ute Sacksofsky, M.P.A., Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt, im Interview über den Stand von Frauen in der Wissenschaft, Fortschritte seit den 70er-Jahren und noch bestehenden Handlungsbedarf bei der Gleichberechtigung.

Liebe Frau Sacksofsky, Sie sind Professorin für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und haben sich damit für einen von Frauen immer noch selten beschrittenen Karriereweg entschieden. Wann wussten Sie, dass Sie Professorin werden möchten?

Schwierige Frage. Mit dem Gedanken gespielt habe ich wohl schon gegen Ende des Studiums. Allerdings konnte ich es mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich vorstellen. Während meines gesamten Jurastudiums in Deutschland hatte ich keine einzige Juraprofessorin gesehen, geschweige denn kennengelernt; es gab überhaupt nur ganz wenige Jurafakultäten, die damals Ende der 1970er/Anfang der 1980er auch nur eine einzige Frau in der Professorenschaft aufwiesen. Erst bei meinem Studium in Harvard habe ich dann Juraprofessorinnen – und zwar gleich mehrere – kennengelernt. Ich glaube, dass solche Vorbilder erlebt zu haben, für meine Entscheidung wichtig war.

 

Dennoch dauerte es noch eine Weile, bis ich mir auch in Deutschland diesen Weg zutraute. Erst nach meiner erfolgreichen Promotion und dem Zweiten Staatsexamen habe ich mich für die Habilitation entschieden. Ich war damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesverfassungsgericht tätig und dachte über meine berufliche Zukunft nach. Für mich kam eine Tätigkeit als Richterin oder Wissenschaftlerin in die engere Wahl, der Beruf der Professorin schien mir jedoch vielfältiger, versprach noch mehr Freiheit und Selbständigkeit, sodass ich mich im Ergebnis dafür entschieden habe. Dazu mag beigetragen haben, dass das Wissenschaftssystem so klar ausstrahlte, dass für Frauen eigentlich kein Platz darin ist. Das löste bei mir einen gewissen Trotz aus und mobilisierte Kräfte: „Die wollen mich nicht reinlassen, da gucken wir doch mal.“

Ein Beispiel für die „Ermutigung“, die Frauen damals erfahren haben, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben: Anlässlich der Verleihung des Carl-von-Rotteck-Preises der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg für meine Dissertation in Freiburg fragte mich der Dekan, was ich jetzt vorhabe. Ich antwortete, ich überlege, nach meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht in die Wissenschaft zu gehen. Seine Reaktion: „Ach, Sie wollen keine Kinder?“ Ich fragte zurück: „Haben Sie Kinder?“ Er: „Frau Sacksofsky, seien Sie doch nicht immer so aggressiv.“

 


Haben es Männer in diesem Umfeld aus Ihrer Sicht einfacher Karriere zu machen, auch hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Für Männer ist es heute noch immer einfacher. Viele Eigenschaften, die man von Professorinnen und Professoren erwartet, sind männlich konnotiert, z.B. das Ausstrahlen von Souveränität. Durchsetzungsstärke, bei Männern gelobt, wird bei Frauen häufig als aggressiv erlebt. Außerdem wirkt es, als würden Frauen mehr Zeit beanspruchen, wenn sie tatsächlich genauso lang reden wie ein Mann.

Auch auf der praktischen Seite zeigen sich bis heute Unterschiede: Frauen mit Kindern übernehmen den weit überwiegenden Anteil der Erziehung, dies gilt natürlich besonders für Alleinerziehende, unter denen viel mehr Frauen sind als Männer. Zudem erfahren die meisten männlichen Kollegen mit Kindern deutlich stärkere Unterstützung als Kolleginnen. Aber auch hier gibt es inzwischen einzelne Gegenbeispiele.

Die universitäre Karriere ist zudem stark vom Modell der Kooptation geprägt. Promotions- und Habilitationsmöglichkeiten werden typischerweise vom Professor angeboten. Hier zeigt die Erfahrung, dass männliche Professoren solche Angebote überwiegend – heute aber immerhin nicht mehr ausschließlich – an Männer richten. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass im „Lehrer-Schüler-Verhältnis“ Jüngere gefördert werden, die dem eigenen jüngeren Selbst nahekommen. Aber es gibt auch die andere Seite: Männer trauen sich auch eher, nach Möglichkeiten und Förderung zu fragen. Hinzu kommt: Viele Frauen haben es schwerer, sich gut zu verkaufen und haben mehr Angst vor Ablehnung als Männer. Das gilt insbesondere in Bereichen, in denen Leistung nicht objektiv messbar ist, sondern stark von der Anerkennung der anderen abhängt – wie im universitären Bereich. Mehr Männer als Frauen sind von ihrer eigenen Brillanz überzeugt.

Angelika Wetterer hat in einem auf ihrer Studie aus den frühen achtziger Jahren basierenden Aufsatz darauf hingewiesen, dass die Institution Wissenschaft für Frauen – anders als für Männer – „fremd“ ist. Sie bewegen sich unsicherer und es kostet sie mehr Energie. Entsprechend weniger souverän und freundlich wirken sie.

[Anm. d. Red.: Angelika Wetterer, „Man marschiert als Frau auf Neuland“ – Über den schwierigen Weg der Frauen in die Wissenschaft, in Uta Gerhardt/Yvonne Schütze (Hrsg.): Frauensituation. Veränderungen in den letzten 20 Jahren, Frankfurt a.M. 1988, S. 273 ff.]

Sie gehören zu den nicht einmal zwanzig Prozent weiblicher Juraprofessorinnen in Deutschland. Wirkt sich das im Berufsalltag aus?

 

Sicher wirkt sich dies auf vielfältige Weise auf. Es ist allerdings weniger geworden. Früher wurde ich häufiger für meine eigene Sekretärin gehalten und nach Herrn Professor Sacksofsky gefragt; das passiert heute nicht mehr. Ich beobachte aber immer noch Dinge, die im Einzelnen unbedeutend sein mögen, in der Summe indes doch auffallen. So ist mir bestimmt schon zwanzig Mal passiert, dass ich als Frau im Laufe eines Gesprächs als einzige meine Titel verliere. Zum Beispiel bin ich bei einer Sachverständigenanhörung im Bundestag nach einer Weile einfach Frau Sacksofsky, während die Männer bis zum Ende mit Herr Professor Meier, Herr Professor Müller angesprochen werden. Ein weiteres Beispiel: In einem Zeitungsartikel lese ich: „Prozessvertreter vor dem Bundesverfassungsgericht: für x Herr Universitätsprofessor Dr. Meier, für y Herr Universitätsprofessor Dr. Müller, für z Frau Sacksofsky“. Auf so etwas kann man kaum reagieren, sonst wirkt man zickig und titelgeil. Als ich einem Kollegen von diesem Phänomen erzählte, fragte er: „Was stellst du dich denn so an?“ Das Ganze zeigt, dass „Professor“ eben doch noch ein gesellschaftlich rein männlich konnotierter Beruf ist. Der männliche Professor genießt mehr Anerkennung als eine Professorin.

Beobachten Sie in der Universitätslandschaft, vor allem an den juristischen Fakultäten, eine positive Entwicklung hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter?

Absolut. Es gibt noch Diskriminierung, wenn ich das allerdings vergleiche mit meinen Studienzeiten, ist der Fortschritt unvorstellbar groß.

Von echter Gleichberechtigung sind wir jedoch noch weit entfernt. Dies ist offensichtlich, wenn über 50 % der Jurastudierenden Frauen und im Gegensatz dazu weniger als 20 % der Professorinnen weiblich sind. Entsprechendes gilt für die Richterschaft im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Eingangsamt und Beförderungsstellen, ganz zu schweigen von der Repräsentanz von Frauen im politischen System. Das Ziel muss von mir aus nicht zwingend 50/50 sein, aber bei statistischer Signifikanz bleibt Handlungsbedarf.

Was muss noch passieren?

Alle müssen was tun: Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Medien: In allen Systemen besteht noch Handlungsbedarf. Aber auch auf der individuellen Ebene muss noch viel geschehen. Menschen in Entscheidungspositionen müssen ihre geschlechtsbezogenen Prägungen und Vorurteile stärker reflektieren. Aber auch Frauen selbst müssen sich mehr einsetzen, um das zu bekommen, was ihnen zusteht. Dafür muss man manche Schwierigkeiten in Kauf und viele Anstrengungen auf sich nehmen. Der alte Satz gilt: Man bekommt nichts geschenkt.

Sie haben schon früh begonnen, sich mit dem Grundrecht auf Gleichberechtigung zu beschäftigen, und die Themen Frauenrechte und Geschlechtertheorie beschäftigen Sie bis heute. Was fasziniert Sie an diesem Forschungsfeld?

Ich habe Ende der siebziger Jahre, als ich an die Uni kam, die Frauenbewegung entdeckt. Das war für mich eine Befreiung, inhaltlich wie persönlich. Ich bin noch in den Zwängen der sechziger Jahre in einer Kleinstadt aufgewachsen und spürte, die Geschlechterverhältnisse sind nicht gerecht. Im Studium in Freiburg gründeten wir eine Juristinnengruppe, die sich zum Beispiel ansah, wie Frauen in Fallbüchern vorkommen. Damals stand auf Scheinen noch: „Herr stud. iur. Ute Sacksofsky – er hielt ein Referat über…“.

Inhaltlich fiel mir auf, in wie vielen Bereichen Frauen ausgeklammert blieben oder diskriminiert wurden. Fragen aus der Geschlechterperspektive zu untersuchen, das gab es damals einfach noch gar nicht.

Auf mein Dissertationsthema zu Art. 3 Abs. 2 (Männer und Frauen sind gleichberechtigt) und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (Niemand darf wegen seines Geschlechts (…) benachteiligt oder bevorzugt werden) kam ich, weil mein damaliger Vertrauensdozent der Studienstiftung mir empfahl, über ein Thema zu promovieren, bei dem ich denke, da stimmt doch was nicht. Und so war es bei meinem Thema: Alle sagten, Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG bedeuteten das Gleiche. Das glaubte ich nicht und es hat mich interessiert. So begann ich, darüber nachzudenken. In den USA habe ich dann viele neue Ansätze entdeckt, die mir weitergeholfen haben.

Stießen Sie mit Ihrem Thema auf Widerstände in der Wissenschaft?

Damals stieß ich auf massive Widerstände. Es hieß schlimmstenfalls: „Das ist doch kein Thema!“, bei den mir Wohlgesonnenen: „Aber Sie hätten doch auch über etwas anderes promovieren können, Frau Sacksofsky.“

Diese Widerstände gibt es bis heute noch – man muss nur schauen, wie in den Medien teilweise über Gender Studies berichtet wird. Natürlich gilt das auch im juristischen Bereich. Doch ist hier ebenfalls eine positive Entwicklung zu verzeichnen: mehr Personen, die sich dafür interessieren, mehr Personen, die dafür offen sind, viel mehr Literatur und Diskussion zu Genderthemen.

Was möchten Sie jungen Frauen, die eine Universitätskarriere anstreben, mit auf den Weg geben?

Schaffen Sie sich unterstützende Strukturen. Meine Habilitandinnen sind da viel besser als ich früher: Sie vernetzen sich, machen peer coaching, tauschen sich aus. Und: Trauen Sie sich etwas zu!

Sind Wissenschaftskarriere und Kinder vereinbar?

Die Wissenschaft ist auf einer gewissen Ebene optimal für die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere: Man ist nicht ortsgebunden und zeitlich sehr flexibel. Allerdings ist viel Selbstdisziplinierung gefordert. Ich habe z.B. an meiner Habilitationsschrift von morgens um drei bis um halb sieben gearbeitet; dann wieder von zehn bis sechzehn Uhr, während mein Sohn im Kindergarten war. Natürlich ist das wahnsinnig anstrengend, das kann ich nicht verhehlen. Aber das Entscheidende ist: Es geht!

Mein Tipp: Nicht zu viel über den „richtigen“ Zeitpunkt nachdenken, wann sich ein Kind mit dem Beruf am besten vereinbaren lässt. Wirklich passen tut es nie in die Karriereplanung. Aber Mutterschaft ist eine wunderbare Erfahrung. Klar wäre es netter gewesen, nicht alleinerziehend zu sein und die Unterstützung von Großeltern vor Ort zu haben, aber es war wie es war, und wir haben es hingekriegt – mein Sohn ist ein wunderbarer junger Mann geworden.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie aus Ihrer Sicht als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Gertrude Lübbe-Wolff. Sie ist nicht nur eine brillante Juristin, sondern ich habe sie auch persönlich als sehr unterstützend erlebt. Dies zeigte sich schon bei unserer ersten persönlichen Begegnung. Ich war schwanger und stellte mich als Habilitandin in Bielefeld vor. Gertrude Lübbe-Wolff war die erste Person, die darauf mit „ach wie wunderbar, das geht großartig“ – und nicht mit „Sie hören jetzt also auf mit der Wissenschaft“ reagierte. Das war total ermutigend!

Herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

Frankfurt am Main, 22. Mai 2018. Das Interview führte Nora Wienfort.

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