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Dr. Manuela Rottmann, Mitglied des Bundestags

Foto: Marco Urban

Dr. Manuela Rottmann im Porträt

 

"Man braucht ein gewisses Maß an Unangepasstheit, um seinen Weg zu gehen."

Dr. Manuela Rottmann, Abgeordnete des Bundestags, im Interview über die Motivation dafür, sich beruflich immer wieder neu auszurichten sowie den Umgang mit den mit einer Bundestagskandidatur verbundenen Risiken.

Frau Rottmann, 2006 wurden Sie zur jüngsten Stadträtin Frankfurts für die Dezernate Gesundheit und Umwelt, später auch Personal und Organisation, ernannt. Das ist auch deshalb ein beachtlicher Werdegang, da Sie beschreiben, aus „einfachen Verhältnissen“ zu stammen. Woher kam die Courage und Motivation dafür?

Ich habe mich bereits sehr jung politisch engagiert und bin 1991 den Grünen beigetreten. Über das Angebot, die Themen Gesundheit und Umwelt in Frankfurt maßgeblich zu verantworten, habe ich mich gefreut.  Das Reizvolle an den Aufgaben einer Dezernentin ist, dass man wirklich gestalten kann und das Leben der Bürgerinnen und Bürger konkret verbessern kann. Darauf hatte ich große Lust, das war meine Motivation.


2012 entschieden Sie sich dennoch von der Politik in den Berufsalltag einer Juristin zu wechseln. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich war jung ins Amt gekommen - und eine Berufspolitikerin vom Hörsaal bis zur Rente wollte ich nie werden. Ich wollte unabhängig bleiben, und ich wollte Zeit für meinen Sohn haben. Also wechselte ich in ein Unternehmen und arbeitete bis zu meiner Wahl ins Parlament als juristische Referentin.

Im Rahmen Ihrer beruflichen Neuausrichtung wählten Sie eine Anstellung bei der Deutschen Bahn. Welche Vorteile bietet Ihrer Erfahrung nach die Tätigkeit der Unternehmensjuristin gegenüber der Tätigkeit in einer Kanzlei?

 

Im Unternehmen war ich vor allem mit Rechtsstreitigkeiten befasst – auch da laufen also die Fristen, nicht anders als in einer Kanzlei. Aber mein Arbeitgeber hat nicht nur von Vertrauensarbeitszeit geredet, er hat sie auch umgesetzt. Ich konnte sehr eigenverantwortlich meine Zeit einteilen, Spitzen auch von zu Hause abarbeiten, und 39 Stunden im Unternehmen waren dann auch round about 39 Stunden und nicht sechzig oder siebzig.

Gleich ob Politikerin oder Juristin: Beide Berufsfelder erfordern ein hohes Maß an Zeit und Flexibilität und erschweren damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als Mutter eines Sohnes haben Sie es dennoch geschafft. Wie haben Sie dies bewerkstelligt?

Die Antwort auf Ihre Frage sucht man als berufstätiger Vater oder Mutter doch eigentlich jeden Tag, oder? Man schafft es, weil man es will und muss. Für Charaktere mit Hang zum Perfektionismus wie mich ist es heilsam zu begreifen, dass open end im Büro eben nicht mehr geht und dass ein Kuchen für das Schulbuffet auch mal ausfällt, ohne dass die Welt untergeht.

2017 kandidierten Sie erfolgreich für die Grünen als Bundestagsabgeordnete und wagten damit erneut den Sprung in die Politik. Viele junge Juristinnen würden mit Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor einem solch unabwägbaren Karriereweg zurückschrecken. Welchen Rat würden Sie ihnen erteilen?

Ich habe meine Karriere nie geplant. Mein Berufsweg ist eher das Ergebnis von Angeboten, Glück und meiner persönlichen Neigung, immer mal wieder etwas Neues zu machen. Als ich mich entschlossen habe, für den Bundestag zu kandidieren, war das ein hohes Risiko, auch wirtschaftlich, weil ich ein paar Monate die Berufstätigkeit aufgegeben habe, um Wahlkampf zu machen. Aber eine hohe berufliche Qualifizierung eröffnet einem ja auch die Ressourcen und die Freiheit, Risiken einzugehen. Mir war klar, dass diese Entscheidung gleichbedeutend mit einem hohen familiären Organisationsaufwand ist. Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie das alles klappen kann. Mein Rat lautet daher: Nicht blauäugig an die Sache rangehen. Nach Hochbelastungszeiten für die Familie müssen sich die Prioritäten aber auch wieder ausgleichen. Und ich hatte viel Unterstützung durch meine Familie.

Viele Juristinnen hadern aus Angst vor einem möglichen Karriereknick mit dem richtigen Zeitpunkt der Familienplanung. Welche Erfahrung haben Sie dahingehend sammeln können?

Die Entscheidung, ob man Kinder möchte oder nicht, sollte man unberührt von Karriereträumen treffen. Wer ein Kind möchte und der Karriere wegen drauf verzichtet, den wird der berufliche Erfolg nie vollständig zufrieden stellen. Karriere ist kein Ersatz für ein Kind, das man gerne gehabt hätte. Ich rate dazu, seinen eigenen Weg zu gehen und sich nicht irre machen zu lassen von vermeintlichem Druck, jetzt oder nie, grow or go. Man braucht ein gewisses Maß an Unangepasstheit, um da seinen Weg zu gehen. Das macht aber auch frei.

In den meisten Familien arbeiten die Mütter nach der Geburt ihrer Kinder zumindest vorübergehend in Teilzeit, während die Väter weiterhin in Vollzeit arbeiten. Sollten Ihrer Ansicht nach Anreize dazu geschaffen werden diese klassische Verteilung aufzuweichen und falls ja, welche?

Klar sollte die Erziehungsverantwortung im Idealfall gerecht verteilt werden. Die Entscheidungen der meisten jungen Eltern sind heutzutage aber doch pragmatischer Natur. Wer hat vorher mehr verdient? Wer kann es sich eher leisten, ein paar Monate auszusetzen? Meistens ist es finanziell lukrativer, wenn der Mann Vollzeit arbeitet. Deshalb müssen wir für mehr Lohngerechtigkeit kämpfen. Darüber hinaus muss das Betreuungsangebot weiter ausgebaut werden. Die Grünen arbeiten zudem an neuen Arbeitszeitmodellen, die helfen sollen, dass die Arbeit besser ins Leben passt. Die Digitalisierung ermöglicht ja glücklicherweise flexible Arbeitsmodelle. Das fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein – unabhängig ob Mutter oder Vater.

Wie haben Sie Ihren eigenen Wiedereinstig in den Beruf nach der Geburt Ihres Sohnes konkret ausgestaltet?

Als Dezernentin gab es faktisch keinen Mutterschutz. Ich wurde zwar ein paar Wochen vertreten, aber der Entscheidungsdruck in einzelnen Themen war so hoch, dass ich bis kurz vor der Geburt gearbeitet habe und kurz danach wieder im Büro war.

Obwohl Deutschland seit bald 13 Jahren von einer Bundeskanzlerin regiert wird, ist die Politik insgesamt noch immer ziemlich männlich dominiert. Worin sehen Sie die Ursachen dafür?

Mangelndes Selbstvertrauen von Frauen, weniger Zeit, vor allem in jungen Jahren, weil die Familienarbeit immer noch vor allem an Frauen hängt. Der Mann, der hinter seiner Frau steht und ihr die Familienarbeit abnimmt, während sie sich ehrenamtlich oder politisch engagiert, ist noch ein seltenes Exemplar. Frauen steigen oft erst in die Politik ein, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Haben Sie bisweilen den Eindruck, dass es – womöglich gerade in diesem männlich geprägten Umfeld – bisweilen eine Herausforderung ist, von männlichen Kollegen am „Verhandlungstisch“ ernstgenommen zu werden? Falls ja, wie gehen Sie damit um?

Es gibt bestimmte Mechanismen männlich geprägter Hierarchien, die aber ihre Wirkungskraft verlieren, sobald man sie durchschaut hat. Ich kann nur jeder Frau raten, sich mit diesen Mechanismen zu befassen und nicht unnötig Kraft damit zu vergeuden, sich ständig zu fragen, ob man selbst irgendetwas falsch macht, wenn man zum Beispiel übergangen oder ignoriert wird. Bei sich bleiben, sachlich bleiben. Das setzt sich durch.

Der heutige Frauenanteil in der Politik ist sicherlich ein Stückt weit den Grünen zu verdanken, die schon bei ihrer Gründung 1980 beschlossen, ihre Ämter zu mindestens 50% mit Frauen zu besetzen. Hat dies eine Rolle für Sie gespielt, als Sie sich für eine Mitgliedschaft bei den Grünen entschieden?

Nein, als ich beigetreten bin, haben mich andere Themen mehr interessiert. Dass es Feminismus braucht und dass es überhaupt nicht egal ist, wie viele Frauen in den Parlamenten sitzen, das habe ich erst später so richtig begriffen. Momentan ist der Frauenanteil im Bundestag wieder auf einen sehr niedrigen Stand zurück gefallen. Und das wirkt sich negativ aus auf die Politik, die dabei herauskommt.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie aus Ihrer Sicht als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Ilse Staff, die erste deutsche Staatsrechtslehrerin überhaupt, ist leider vergangenes Jahr verstorben. Sie war nicht nur deshalb eine Pionierin, sondern auch weil sie wesentlich die Aufarbeitung der Rolle der Rechtswissenschaften im Dritten Reich voran getrieben hat.

Herzlichen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 4. Juni 2018. Dr. Rottmann hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Lisa Gahleitner.

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