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Stefanie Otte

Foto: © Sven Bauers, Hannover

Stefanie Otte im Porträt

„Man muss sich trauen, neue und auch herausfordernde Aufgabengebiete zu übernehmen.“

Stefanie Otte, Präsidentin des OLG Celle, im Interview über gerichtliche Organisationsstrukturen, eine transparentere Justiz und Gleichberechtigung.

Frau Otte, Sie sind Präsidentin des Oberlandesgerichts in Celle. Mit welchen Aufgaben beziehungsweise Bereichen sind Sie als Präsidentin hauptsächlich befasst?

Der Bezirk des Oberlandesgerichts Celle mit ca. vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern umfasst neben dem Oberlandesgericht weitere 47 Amts- und Landgerichte, an denen fast 800 Richterinnen und Richter sowie über 4.000 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind. Zu meinen Hauptaufgaben als Präsidentin gehört es, für diese Gerichte und Beschäftigten die Rahmenbedingungen für eine gute und unabhängige Rechtsprechung zu schaffen.

Hinsichtlich der Beschäftigenzahlen spielt das Oberlandesgericht Celle damit in einer Liga mit Unternehmen, von denen es nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2020 in Deutschland weniger als 500 gibt. Auch wenn die Organisationsstruktur des Oberlandesgerichts nicht unmittelbar der eines Wirtschaftsunternehmens entspricht, gibt es doch viele Schnittmengen. Wir verfügen neben dem Bereich der Rechtsprechung über einen Verwaltungsbereich mit einer klassischen Abteilungsstruktur wie sie in nahezu jedem großen Unternehmen zu finden ist. In den Abteilungen sind unter anderem die Aufgabengebiete Personal, Haushalt, Organisation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Konfliktmanagement- und Mediation verortet.

Für eine gut funktionierende Rechtsprechung benötigen wir gut ausgebildete und motivierte Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Auftrag der Judikative, also der unabhängigen dritten Gewalt, in höchstem Maß identifizieren. Neben geeigneten Maßnahmen der Nachwuchsgewinnung, des Einstellungsgeschäfts und der Personalentwicklung erfordert dies eine dauerhafte Kommunikation und ständigen Austausch mit zahlreichen Stellen. Mein Tagesgeschäft besteht deshalb nicht nur aus dem Aktenstudium, sondern zu einem großen Anteil aus Besprechungen und Konferenzen, die ich sowohl im Haus und mit den jeweiligen Ansprechpartnern der Gerichte meines Bezirks als auch mit dem Justizministerium, mit Amtskolleginnen und -kollegen anderer Obergerichte sowie mit weiteren Einrichtungen führe.

Für welche Themen setzen Sie sich als Gerichtspräsidentin ein?

Mir ist sehr daran gelegen, dass Justiz modern und transparent ist und eine verlässlich hohe Qualität aufweist.

Modern sein bedeutet dabei nicht, flüchtigen Trends zu folgen oder einem „Volksempfinden“ Einfluss auf die Rechtsprechung zu gestatten. Eine moderne Justiz setzt sich mit Themen der Gegenwart auseinander und wappnet sich für die Zukunft. Ob Justiz modern ist, bemisst sich nach meinem Verständnis auch an deren Bürgernähe und an einem zeitgemäßen Serviceangebot der Gerichte. Selbstverständlich nehmen Gerichte am elektronischen Rechtsverkehr teil und so werden unsere Akten demnächst auch elektronisch geführt werden können. Tatsächlich sind die Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle bereits jetzt technisch und fachlich so ausgestattet, dass Verhandlungen und Anhörungen im rechtlich zulässigen Rahmen auch per Videotechnik stattfinden können.

In einer modernen Justiz bilden Richterinnen und Richter einen Querschnitt der Gesellschaft ab. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sollte dabei mittlerweile eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Wir besetzen seit einigen Jahren mehr als 50 % der Richterstellen mit Frauen. Gleichwohl verändert sich dieses Verhältnis bereits im ersten Beförderungsamt zugunsten der Männer. Auch beim Oberlandesgericht ist das Verhältnis nicht optimal, zumindest aber deutlich besser als noch vor einigen Jahren: von 25 Stellen als Vorsitzende Richterinnen und Richter sind derzeit acht von Frauen besetzt. Das entspricht einer Quote von 32 %, die zwar über dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanteil von Frauen in Aufsichtsräten der börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen (30 %) liegt, aber immer noch deutlich zu gering ist.

Bürgernähe der Justiz zeigt sich auch in der Akzeptanz der Rechtsprechung. Es ist mir ein großes Anliegen, in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Bedeutung einer unabhängigen Justiz zu schärfen und das Vertrauen in die Arbeit der Gerichte zu stärken. Ich bin davon überzeugt, dass sich dies u.a. durch eine transparentere Rechtsprechung bewirken lässt. Aufgabe der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte ist es daher, Gerichtsentscheidungen verständlich zu machen und zu erklären. Wenn Rechtsprechung nachvollziehbar ist und verstanden wird, stärkt das ihre Akzeptanz.

Neben dem Amt als Präsidentin sind Sie Vorsitzende eines Zivilsenats. Was schätzen Sie am Beruf als Richterin?

Ich bin sehr froh, dass ich mit einem gewissen Anteil meiner Tätigkeit in der Rechtsprechung tätig sein kann. Als Richterin begeistert es mich nach wie vor, das Gesetz frei und unabhängig von materiellen oder sachlichen Zwängen, ohne Ansehung der beteiligten Personen auf die unterschiedlichsten Lebenssituationen anzuwenden, in denen Menschen ihre Rechte vor Gericht geltend machen. Die akribische Arbeit an einem nach prozessualen Regeln aufbereiteten Sachverhalt und dessen rechtliche Lösung durch Anwendung des materiellen Rechts ist mein erlerntes Handwerkszeug. Es hat mich von Beginn meines Studiums an fasziniert, dass sich durch den richtigen Einsatz dieser Werkzeuge auch für hochkomplexe Sachverhaltskonstellationen Lösungen finden lassen. Darin zeigt sich, dass unser Rechtssystem gut funktioniert.

 

Aber nicht für jeden Fall vor Gericht ist ein richterliches Urteil die beste Lösung. Mitunter nähern sich auch hochzerstrittene Parteien in der Verhandlung einander an und befrieden ihren Streit selbstbestimmt durch einen interessengerechten Vergleich. Als ausgebildete Mediatorin, Coach und Klärungshelferin setze ich gerne verschiedene Methoden ein, um auch zu tiefer liegenden Motivationen, Gefühlen und Missverständnissen vorzudringen, wenn sich ein Rechtsstreit im Interesse der Beteiligten dadurch beilegen lässt. 

 

Bevor Sie sich für ein Jurastudium entschieden haben, haben Sie ein Studium zur Rechtspflegerin absolviert. War Ihnen damals schon klar, dass Sie Richterin werden wollen?

Als ich nach dem Abitur das Rechtspflegerstudium aufgenommen habe, ging es mir in jungen Jahren vor allem darum, einen Beruf zu ergreifen, der mir schnell persönliche und finanzielle Unabhängigkeit bot. Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger arbeiten in nahezu allen Rechtsgebieten und sind bei ihren Entscheidungen sachlich unabhängig. Die Studienwahl erwies sich deshalb für mich als richtig. Nach bestandener Prüfung wollte ich mich aber vertieft mit dem Recht befassen, weshalb ich mich entschlossen habe, Jura zu studieren. Spätestens zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass ich Richterin werden wollte.

Im Justizministerium haben Sie als Leiterin des Personalreferats, als leitende Ministerialrätin, stellvertretende Leiterin der Zentralabteilung und zuletzt als Staatssekretärin gearbeitet. Welche Erfahrungen im Ministerium haben Sie besonders geprägt?

Im Justizministerium verläuft die Schnittstelle zwischen der Exekutive und der Judikative, also unabhängigen Gerichten und Staatsanwaltschaften, und weiteren Einrichtungen der Rechtspflege wie z.B. den Justizvollzugsanstalten, dem ambulanten Justizsozialdienst und dem Landespräventionsrat. Eine Justizministerin sitzt als Teil der Exekutive am Regierungstisch und verantwortet die Umsetzung der politischen Ziele und Vorgaben der gewählten Regierung. Andererseits ist sie befugt, Regelungen zur Organisation der Gerichte zu treffen und hat zum Beispiel großen Einfluss auf das Beurteilungswesen auch für die Richterinnen und Richter. Ich sehe diese Doppelfunktion eher kritisch. Sie erfordert jedenfalls ein sehr hohes Maß an Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit und die Bereitschaft, die eigene Machtposition gegenüber den unabhängigen Gerichten eher defensiv auszuüben.

Während meiner Zeit im Justizministerium war ich in verschiedenen Funktionen mit diversen Aufgaben befasst und habe mit ganz unterschiedlich veranlagten Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet. Ich habe daraus vor allem gelernt, dass eine funktionierende Kommunikation die Grundlage für reibungslose Arbeitsabläufe ist. Das erfordert einerseits aufmerksames Zuhören und andererseits die klare Formulierung der eigenen Position. Nach meiner Erfahrung erzielt man die besten Ergebnisse, wenn alle Beteiligten in einem konzentrierten Austausch gehört wurden und bei der Umsetzung auf kurzfristige, unerwartete Veränderungen reagiert werden kann.

Bevor Sie Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle wurden, haben Sie als Staatssekretärin gearbeitet. Mit welchen Themen und Tätigkeiten waren Sie in dieser Position befasst?

 

Als Staatssekretärin oblag es mir natürlich, die Ministerin grundsätzlich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen und sie gegebenenfalls zu vertreten. Dazu gehört beispielsweise auch der Kontakt zur Politik, zu den Abgeordneten des Landtags aber auch zu den anderen Landesministerien. Der wesentliche Schwerpunkt meiner Arbeit lag jedoch darin, den Geschäftsbetrieb der Gerichte, Staatsanwaltschaften, Justizvollzugsanstalten und anderen Einrichtungen der Rechtspflege so zu organisieren, dass Rechtspflege zu jeder Zeit reibungslos funktionieren konnte. Insofern war ich als Staatssekretärin mit ganz ähnlichen Themen beschäftigt wie jetzt.

Sie haben eine beeindruckende Karriere in der Justiz hinter sich. Welche Entscheidungen waren rückblickend wichtig, um Präsidentin eines Oberlandesgerichts zu werden?

Das Erfolgsrezept liegt meines Erachtens darin, dass ich frühzeitig die Möglichkeit bekommen habe, die Justiz von der Pike auf kennen zu lernen und in ganz unterschiedlichen Bereichen der niedersächsischen Justiz tätig zu sein. Das hat mir ein breites Spektrum an Wissen und Erfahrung und damit letztlich die Befähigung beschert, Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle zu werden. Ich habe mich nie gescheut, neue, auch herausfordernde Aufgabengebiete zu übernehmen, was meinen beruflichen Werdegang sicherlich befördert hat.

Sie haben drei Kinder. Der Justiz wird nachgesagt, dass Familie und Beruf gut zu vereinbaren sind. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht und welches Konzept von Vereinbarkeit haben Sie gewählt?

Die niedersächsische Justiz bietet sehr gute Rahmenbedingungen, um die Herausforderungen des Berufs mit den Anforderungen einer Familie in Einklang zu bringen. Allerdings glaube ich nicht, dass es ein für alle Beziehungsmodelle und Lebenssituationen gleichermaßen gut funktionierendes Konzept gibt, um Familie und Beruf gut zu vereinbaren. Ich habe einige Jahre lang Teilzeit gearbeitet und vielfach auch am Abend oder an den Wochenenden, um alles unter einen Hut zu bekommen. Ganz sicher ein unkalkulierbarer Balance-Akte, dessen Erfolg von vielen Faktoren abhängt. Ich kann zum Glück auf eine partnerschaftliche Gleichberechtigung in der Beziehung bauen, auf ein gutes soziales Umfeld und gesunde Kinder, die zudem kaum Unterstützung in der Schule benötigt haben. Meine Aufgabe als OLG-Präsidentin sehe ich darin, die Frauen darin zu bestärken, den von ihnen gewählten Weg zu gehen, unabhängig davon, ob der Schwerpunkt auf der Familie oder auf dem Beruf liegt, oder ob die Frauen versuchen, beides miteinander zu vereinbaren.

Als Richterin arbeitet man oft alleine und erhält oft auch wenig Feedback. Was hilft jungen Richterinnen und Richter, fachlich besser zu werden?

Unsere jungen Kolleginnen und Kollegen verfügen über hervorragende Rechtskenntnisse, die sie durch ihre Examina nachgewiesen haben. Allerdings ist die weitere fachliche Fortbildung für die Bewältigung des Berufsalltags einer Richterin bzw. eines Richters unverzichtbar. Es ist sehr schade, dass Berufsanfänger heute nicht immer die Möglichkeit haben, das richterliche Handwerkszeug in einer Kammer, also gemeinsam mit anderen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, zu lernen. Wir versuchen das durch standardisierte Fortbildungsprogramme, aber auch im Wege des Mentorings oder der Supervision zu kompensieren. Daneben finden bei den Landgerichten regelmäßig Turnusveranstaltungen zu Rechtsfragen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten aus verschiedenen Rechtsgebieten statt.

Für das Erkennen und das Ausschöpfen persönlicher Potenziale halte ich Feedbackgespräche außerhalb des Beurteilungswesens für ein wesentliches Werkzeug der Personalentwicklung, weshalb ich es sehr begrüße, dass ein solcher Austausch nicht nur im Oberlandesgericht, sondern im gesamten Bezirk gepflegt wird.

Die Mehrheit der Jurastudierenden ist weiblich, die Spitzenpositionen in der Justiz bekleiden dennoch vorwiegend Männer. Was muss sich ändern, damit Frauen und Männer paritätisch Beförderungsschritte wahrnehmen können?

Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr denn je eine gesellschaftliche Debatte über die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern führen müssen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist immer noch eine große Herausforderung vor allem für die jungen Frauen, vermehrt aber auch für die jungen Männer. Erst wenn wir den Stellenwert der Familie gesamtgesellschaftlich als gemeinsame Aufgabe von Frauen und Männern anerkennen, wird sich die paritätische Berücksichtigung von Frauen im Berufsleben nachhaltig ändern. Echte Gleichberechtigung haben wir erst dann erreicht, wenn sie kein Thema mehr ist und das Geschlecht für die Entscheidung über das berufliche Fortkommen keine Relevanz mehr hat. Ich ermutige daher alle Kolleginnen von ihnen angestrebte Karriereziele ebenso entschlossen anzugehen wie Männer.

Hatten Sie ein Vorbild, dass Sie privat oder beruflich geprägt hat?

Mich haben verschiedene Menschen auf ganz unterschiedliche Weise geprägt und meine Entscheidungen mit beeinflusst. Beruflich habe ich meinem Vorgänger, Dr. Peter Götz von Olenhusen, sehr viel zu verdanken. Von ihm habe ich gelernt, dass Führung im Wesentlichen eine Frage der Haltung ist. Privat haben mich in besonderer Weise meine Freundinnen geprägt, die mich seinerzeit darin bestärkt haben, meinen beruflichen Weg weiterzugehen, als im Referendariat meine erste Tochter geboren wurde.

Vorbilder haben mir aber nie als Vorlage für Nachahmungen gedient. Ich fand es nie erstrebenswert, so zu werden wie ein anderer Mensch. Ich wollte immer meinen eigenen Weg finden. Dass ich dabei sicher auch mal Umwege gegangen bin, habe ich nie als Nachteil, sondern immer als Gewinn betrachtet.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Antje Niewisch-Lennartz, eine beeindruckend intelligente und scharfsinnige Juristin, auf deren juristischen wie menschlichen Rat ich mich jederzeit verlassen würde.

 

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

 

Celle, 1. November 2020. Frau Otte hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Jennifer Seyderhelm.

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