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Olga Hamama

Olga Hamama im Porträt

"Man sollte sich von eigenen Werten leiten lassen."

Olga Hamama, Partnerin bei V29 Legal, über die Freiheiten der Selbstständigkeit, Visibilität als Mittel gegen Unconscious Bias und die Geschwindigkeit, die Kinder in den Alltag bringen.

Olga, Du hast Dich vor kurzem nach sieben Jahren Tätigkeit als Anwältin bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP mit dem ehemaligen Freshfields-Partner Prof. Dr. Christian Duve zusammen selbstständig gemacht und V29 Legal gegründet. Wieso hast Du Dich für die Selbstständigkeit entschieden?

 

Der Wunsch nach einer beruflichen Veränderung war bereits länger vorhanden. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP stellt eine großartige Plattform mit immenser internationaler Reichweite dar. Das war die perfekte Adresse um meine Expertise in Bereichen der internationalen Streitbeilegung und des internationalen Sportrechts aufzubauen. Gleichzeitig ist die Struktur einer derartigen Großkanzlei notwendigerweise mit vielen Vorgaben und gefestigten Abläufen verbunden. Ich wollte allerdings eigenhändig mitgestalten können, mich mit den technologischen Entwicklungen und Auswirkungen intensiver beschäftigen und diese in die Arbeitsmodelle und -inhalte miteinfließen lassen. Grundsätzlich ist das auch in größeren Strukturen möglich, allerdings nur in einem begrenzten Umfang.

Diese Überlegungen haben zu der Entscheidung geführt, auch andere interessante Angebote, für die ich sehr dankbar war, abzulehnen und mich für eine Neugründung zu entscheiden. Die Möglichkeit diesen Schritt gemeinsam mit Christian Duve zu gehen, gemeinsame Visionen zu entwickeln, Projekte umzusetzen und ein eigenes Team aufzubauen, haben diese Entscheidung natürlich beschleunigt.

Wie hast Du Deine Ideen und Dein Interesse an Innovation bei V29 Legal bis jetzt umsetzen können?

Ein erster Schritt lag darin, V29 Legal selbst als innovative Kanzlei aufzubauen. So ist zum Beispiel die komplette Infrastruktur der Kanzlei cloud-basiert, damit unser Team flexibel von jedem Ort dieser Welt aus einsatzbereit ist. Daher konnten wir auch vor dem Hintergrund von COVID-19 schnell reagieren und frühzeitig im Home Office arbeiten.

Wir schätzen die Flexibilität und setzen sehr stark auf unser Netzwerk und Kooperation, wenn es darum geht, ein passendes Team für Projekte aufzustellen. Derzeit arbeiten wir zudem gemeinsam mit Tech Start-Ups an verschiendenen Projekten. Im Bereich der internationalen Streitbeilegung und Verfahrensführung setzen wir darauf, mit KI-basiertem Einsatz Verfahrensabläufe zu optimieren und Beweisführung zu ermöglichen. Wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Expertise bei Themen wie Klimawandel oder vertrauenswürdige KI einbringen können und setzen hier gerade die ersten Projekte um.

Welche Fähigkeiten braucht man als Gründerin?

Selbstvertrauen, Resilienz, Kreativität und Durchhaltevermögen. Es kann natürlich sein, dass sich diese Einschätzung mit der Zeit ändert.

Neben Deiner Tätigkeit als Anwältin warst Du immer in vielerlei anderen Funktionen aktiv, z.B. Du bist Mitglied der Redaktionsleitung des Journal of International Arbitration, hältst regelmäßig Vorlesungen und Vorträge, warst  Mitglied des Vorstands der DIS40. Wie wichtig ist ein solches Engagement in Deinen Augen für die Karriereentwicklung?

Es war für mich schon immer wichtig, neue Perspektiven zu gewinnen, mich durch den Austausch stets weiterzuentwicklen und bestimmte Themen voranzutreiben.

Solche Engagements können dabei helfen, ein gutes Netzwerk aufzubauen, und  karrierefördernd sein. Ich war, zum Beispiel, eine der ersten Young ICCA (International Council of Commercial Arbitration) Mentees. Dadurch durfte ich faszinierende Menschen kennenlernen, von deren Ratschlägen ich profitiert habe, von denen ich gelernt habe und mit denen ich heute noch in Kontakt stehe.

Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit und die DIS40 (Deutsche Initiative junger Schiedsrechtler) haben dieses Jahr zum Beispiel ein Mentoring Programm aufgesetzt – ein wichtiger Meilenstein, der der jungen Generation die Möglichkeit bietet, sich mit den führenden Experten in diesem Bereich auszutauschen. Ich würde jungen Schiedsrechtlern empfehlen, dieses Angebot wahrzunehmen.

Eine intensive Auseinandersetzung mit bestimmten Themen oder aktiver Einsatz in den Vereinen können auch eine gute Plattform bieten, um die eigene Visibilität zu steigern. Das Thema Visibilität spielt leider auch beim sog. Unconcious Bias eine wichtige Rolle, sodass es gerade für uns Frauen wichtig ist, sein Potenzial bemerkbar zu machen.

Kann man Teil zu vieler Organisationen und Programme werden?

Es gibt in der Tat zurzeit eine Flut von Möglichkeiten – Vereine, Organisationen, Konferenzen, Meet-Ups, Webinare, Weiterbildungsprogramme, etc. Es ist außerordentlich wichtig die beschränkten zeitlichen Ressourcen bedacht einzusetzen, damit man von solchen Aktivitäten auch maximal profitieren kann.

Meine persönliche Empfehlung ist daher, Schwerpunkte zu setzen und sich genau zu überlegen, welche Themen man zu welchem Zeitpunkt, in welchem Format und aus welchem Grund verfolgen möchte.

Neben der deutschen Sprache beherrschst Du Englisch, Russisch und Deine Muttersprache Ukrainisch. Welche Rolle spielen Deine Fremdsprachenkenntnisse in Deinem alltäglichen Arbeitskontext?

Englisch steht im Bereich der internationalen Streitbeilegung als Arbeitssprache an erster Stelle. Meine Kenntnis der russischen und der ukrainischen Sprachen sowie das entsprechende kulturelle Verständnis, hatten in meiner beruflichen Laufbahn stets eine große Bedeutung: im Oktober 2008 bekam ich einen Anruf von Freshfields Bruckhaus Deringer LLP mit der Anfrage, ob ich Interesse daran hätte, im Rahmen eines Praktikums an einem ICC-Schiedsverfahren mit Ukraine-Bezug mitzuwirken. Seitdem verging kein einziges Jahr, in dem ich nicht mindestens ein Projekt mit Verbindung zu Osteuropa oder den ehemaligen Ländern der Sowjetunion hatte. Ich habe fast ein Jahr im Moskauer Büro von Freshfields gearbeitet und bin bis heute mehrmals im Jahr aus beruflichen Gründen in der Ukraine, Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. Diese Erfahrung bringt natürlich Vorteile für meine Mandanten und die entsprechende Schiedsrichtertätigkeit mit sich, die längst über die reinen Sprachkenntnisse hinausgehen.

Du kommst aus der Ukraine. Wie ist es dort um Juristinnen in Führungspositionen bestellt?

Ich kann dazu natürlich keine allgemeingültigen Aussagen treffen, da ich nicht vor Ort praktiziere. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass die post-kommunistischen Länder oder Regionen in dieser Hinsicht etwas besser abschneiden, da die Gleichberechtigung dort etwas früher gefordert wurde. Im Rahmen internationaler Schiedsverfahren habe ich regelmäßig mit Frauen in den Führungspositionen zu tun, sei es auf der Partnerebene in den ukrainischen Kanzleien, Professorinnen oder anderen Expertinnen, Leiterinnen der Rechtsabteilungen von Unternehmen oder der Projekte innerhalb des Justizministeriums. Ob diese Beobachtung sich auf andere Bereiche übertragen lässt, ist schwer zu sagen.

Du bist Mutter zweier junger Kinder. Wie sieht ein typischer Tag in Deinem Leben zwischen Kanzlei und Familie derzeit aus? 

Es ist etwas schwierig von einem typischen Tag in unserer Familie zu sprechen, da mein Mann und ich sehr oft aus beruflichen Gründen verreisen, bzw. die Tage unterschiedlich durchterminiert sind. Wir unterstützen uns natürlich gegenseitig. Zudem sind die Unterstützung von den Großeltern sowie auch externe Unterstützung oft unabdingbar. Daneben gibt es natürlich immer wieder Situationen, in denen die Flexibilität des Teams oder des Arbeitgebers gefragt sind, z.B. weil man mit einem kranken Kind zu Hause bleiben muss, oder, wie jetzt aufgrund der COVID-19-Situation, von zu Hause aus mit beiden Kindern auf einmal durchgehend tätig ist.

Wenn mein Mann und ich jedoch vor Ort sind, versuchen wir meistens vor unseren Kids (unsere Tochter ist 6 Jahre alt und unser Sohn ist bald 2 Jahre alt) aufzustehen, damit wir in Ruhe zumindest eine Stunde „eigenen Aktivitäten“ nachgehen können, sei es Meditation, Sport, Nachrichten lesen, E-mails beantworten oder einfach gemeinsam einen Kaffee genießen. Dann wachen die Kinder auf und der Tag nimmt eine ganz andere Geschwindigkeit an. (Lacht.)

Nach dem Frühstück bringt einer von uns, abhängig von den jeweiligen beruflichen Terminen, unseren Sohn in die Krippe und unsere Tochter in die Vorschule. Einer von uns holt die Kinder ab. Das gemeinsame Kochen und Abendessen sind für uns sehr wichtig – es ist die Zeit, in der wir uns gegenseitig austauschen, miteinander lachen oder einfach entspannen. Anschließend spielen wir noch etwas, lesen gemeinsam und bringen die Kinder ins Bett. Im Anschluss setzen wir uns doch dann wieder an den Schreibtisch.

Man muss aber stets mit Ausnahmen rechnen: Unser Sohn geht durch eine sog. „terrible two“-Phase – an manchen Tagen fängt der Kampf schon morgens beim Anziehen an. An anderen Tage möchte unsere Tochter wiederum nicht in die Vorschule gehen, weil sie „einfach spielen möchte und nicht nur lernen, lernen und lernen“… An solchen Tagen hat man bis 9 Uhr morgens manchmal schon so viele Diskussionen geführt, dass man eigentlich direkt in den Feierabend gehen möchte. (Lacht.) Aber irgendwie legt man den Schalter um, meistert es dann doch alles, weil ein erfüllender Job und eine Familie auch enorm viel Energie freisetzen.

In welchem Karrierestadium hast Du Dein erstes Kind bekommen?

Unsere Tochter kam im Dezember 2013 zur Welt. Wie bereits erwähnt, war ich seit März 2009 bei Freshfields als wissenschaftliche Mitarbeiterin/Referendarin tätig und stieg im Januar 2012 als Associate ein. Ich habe also technisch gesehen eher in einem frühen Karrierestadium unsere Tochter bekommen. (Lacht.)

Die Frage, in welchem Karrierestadium ich Kinder haben möchte, habe ich mir allerdings nie aktiv gestellt. Die wichtigen Fragen waren aus meiner Sicht, ob man den richtigen Partner gefunden hat und die notwendigen gesundheitlichen Voraussetzungen vorliegen – eine Schwangerschaft kann man ja sehr selten zeitlich fest vorausplanen. Ich bin in einem Kulturkreis groß geworden, in dem Familie und Kinder nie als ein Hindernis im Hinblick auf den beruflichen Werdegang gesehen wurden. An dieser Sichtweise hat sich bei mir nichts geändert.

Wie lange hast Du pausiert?

Meine Tochter ist in der Schweiz auf die Welt gekommen, da mein Mann damals in Zürich gearbeitet hat. In der Schweiz sehen die Elternzeit-Regelungen ganz anders aus. Die meisten meiner Bekannten haben Ihre berufliche Tätigkeit nach sechs Monaten aufgenommen. Ich stieg wieder bei Freshfields ein, als meine Tochter acht Monate alt war – in der Schweiz meinten viele ich sei zu lange zu Hause geblieben, in Deutschland sahen viele die „frühe Rückkehr“ kritisch.

Ich war damals mit dem Timing sehr zufrieden. Dazu muss man auch sagen, dass ich schon während der Elternzeit Vorlesungen bei der Frühjahrsakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes in Annecy, Frankreich, und bei der Ukrainian Arbitration Academy in Kyiv, Ukraine, gehalten habe.

Vor fast zwei Jahren hast Du Dein zweites Kind bekommen. Wie sehr haben sich die Herausforderungen der Vereinbarung von Familie und Beruf durch die Geburt Eures zweiten Kindes verändert?

Bei Freshfields bin ich wieder eingestiegen als mein Sohn acht Monate alt war. Natürlich kommt mit dem zweiten Kind zusätzlicher Aufwand auf einen zu. Gleichzeitig nimmt man vieles gelassener, so dass ich insgesamt sagen würde, dass sich unser Alltag durch die Geburt unseres Sohnes nicht gravierend verändert hat. Die zusätzliche Belastung kam dann eher durch meine Entscheidung den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen – dieses Baby ist viel zeitintensiver. (Lacht.)

Dein Mann, selbst Jurist und ist jetzt in Deutschland und war vorher in der Schweiz in der Fußballbranche tätig. Wie wurden die mit der aktiven Kinderbetreuung einhergehenden Auswirkungen auf die Arbeitszeiten in diesen doch eher besonders männlich geprägten Umfeldern aufgenommen?

Mein Mann und ich teilen uns die Betreuung der Kinder und helfen uns gegenseitig, dies ist für uns beide selbstverständlich. Generell haben wir es bisher auch immer geschafft, eine Lösung für jegliche Situationen zu finden, auch wenn es nicht immer leicht ist.

Ich kann nicht behaupten, dass ich in Deutschland oder in der Schweiz eine strukturell oder organisatorisch verankerte Benachteiligung gegenüber Eltern beobachten konnte, sei es in einer (auf der Partnerebene) männerdominierten Großkanzlei oder im männerdominierten Fußballverein. (Lacht.) Allerdings suggerieren die Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen zum Beispiel, dass nicht von zwei in Vollzeit tätigen Elternteilen ausgegangen wird. Zudem scheint es leider immer noch bei vielen eine historisch geprägte Erwartungshaltung zu geben, dass sich Mütter um die Kinder zu kümmern haben. Schwierigkeiten entstehen aus meiner Sicht, wenn die notwendige Infrastruktur fehlt oder wenn Menschen mit solcher Erwartungshaltung Entscheidungen treffen.

Welche Empfehlung würdest Du jungen Juristinnen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben?

Alles ist möglich. Eine gewisse Flexibilität und Selbstvertrauen sind dabei sehr wichtig. Man sollte sich auch von eigenen Werten und nicht von Erwartungshaltung anderer leiten lassen.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Es gibt viele inspirierende Juristinnen. Niuscha Bassiri, Partnerin bei Hanotiau & van den Berg in Brüssel, und Prof. Dr. Maxi Scherer, Professorin an der Queen Mary Universität und Special Counsel bei WilmerHale in London, sind zum Beispiel zwei Frauen, die ich sehr schätze und bewundernswert finde. Beide zeichnen sich durch besondere Fachexpertise aus und haben einen sehr beeindruckenden beruflichen Werdegang. Gleichzeitig verleihen sie einem den Eindruck, alles mit einer Selbstverständlichkeit und gewissen Leichtigkeit meistern zu können.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du dir genommen haben! 

Frankfurt am Main, 15. April 2020. Das Interview führte Dr. Nadja Harraschain.

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