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Prof. Dr. Dr. h.c. Angelika Nußberger M.A., Vizepräsidentin des EGMR

Prof. Dr. Dr. h.c. Angelika Nußberger M.A. im Porträt

 

"Man muss immer an die verbundenen Augen der Justitia denken."

Prof. Dr. Dr. h.c. Angelika Nußberger M.A., Professorin der Universität zu Köln und Vizepräsidentin des EGMR,* über ihr Amt, Negativerfahrungen als "Lehrjahre" und ein erfülltes Familienleben, in dem Freud und Leid geteilt werden können.

Liebe Frau Nußberger, Sie sind seit 2011 Richterin am EGMR und wurden 2017 dessen erste deutsche Vizepräsidentin. Gleichzeitig sind Sie Direktorin des Instituts für osteuropäisches Recht und Rechtsvergleichung der Universität Köln. Was macht Ihnen mehr Freude: Die Professur oder die Richtertätigkeit?

Beide Tätigkeiten üben auf mich eine große Faszination aus, allerdings auf je unterschiedliche Weise. Als Professorin ist man frei zu entscheiden, wozu man forschen oder unterrichten will. Man ist mit jungen interessierten Menschen zusammen. Der Berufsalltag ist sehr abwechslungsreich und anregend; im Grunde hat man das Gefühl, dass es keinen Stillstand gibt, sondern man sich im Denken und Verstehen immer fortentwickelt. Als Richterin dagegen kann man nicht auswählen, welche Akten man bearbeiten will und welche nicht; man ist in einen großen Apparat eingebunden. Dieser Verlust an Freiheit wird aber dadurch aufgewogen, dass man wirklich (mit)entscheiden kann in Fragen, die die europäischen Gesellschaften gegenwärtig bewegen. Dabei trägt man auch Verantwortung dafür, dass denjenigen, die sich an den Gerichtshof wenden, Gerechtigkeit widerfährt. Das ist eine sehr fordernde Aufgabe und man darf sich glücklich schätzen, sie übertragen zu bekommen.

Sie haben als Studentin Slavistik, Romanistik und Neue Deutsche Literatur wie auch Rechtswissenschaften studiert. Was gefällt Ihnen im Vergleich besonders gut an den Rechtswissenschaften? Inwieweit können Sie das Studium der Slavistik heute in Ihrem Berufsleben „verwerten“?

 

Die Rechtswissenschaften haben eine faszinierende innere Logik. Über Tausende von Jahren haben sich Methoden herausgebildet, wie Streitigkeiten, sei es zwischen einzelnen Individuen, sei es zwischen Staat und Individuum, gleichheitsgerecht und nachvollziehbar entschieden werden können. Recht zu studieren bedeutet, sich mit wesentlichen Fragen der Gesellschaft auseinanderzusetzen, zugleich aber den Gebrauch eines „Werkzeugs“ zu erlernen, um konkrete Lösungen zu konkreten Fragen zu finden. Das ist bei den Literaturwissenschaften anders. Hier geht es in erster Linie ums Verstehen. Am Gericht wie auch bei meiner wissenschaftlichen Tätigkeit im Bereich der Rechtsvergleichung haben mir die Kenntnisse aus meinem Magisterstudium immer sehr geholfen, vor allem dann, wenn es darum ging, Kontexte richtig einzuschätzen. Gerade eben war ich als Vertreterin meines Gerichts in St. Petersburg zur 25-Jahrfeier der Russischen Verfassung und 20-Jahrfeier der Ratifikation der EMRK. Angesichts der gegenwärtigen Spannungen ist das eine heikle Mission. Da hilft es sehr, wenn man nicht „nur“ Juristin ist, sondern sich auch intensiv mit Kultur und Geschichte derer, mit denen man im Dialog steht, auseinandergesetzt hat.

Empfehlen Sie jungen Studenten und Studentinnen das Studium weiterer Fächer und wenn ja, besser vor, neben oder nach dem Jurastudium? Welches weitere Studium würden Sie heute wählen, wenn Sie die Gelegenheit dazu hätten, nochmal studieren zu dürfen?

 

Da gibt es sicherlich keine verallgemeinerbaren Ratschläge. Ich denke, dass es immer das Beste ist, den eigenen Interessen nachzuspüren und das zu vertiefen, was einen wirklich begeistert. Es ist immer eine Freude, Studierenden zu begegnen, die ein weit gefächertes Interessenspektrum haben. Aber das bedeutet nicht, dass diejenigen, die sich von Beginn an auf einen eng abgesteckten Themenkreis spezialisiert haben, falsch gewählt hätten. Das mag genauso zum Erfolg führen. Ich habe mit dem Literaturstudium begonnen und dann beides parallel studiert. Das war eine anstrengende Option. Wenn man an das Jurastudium noch ein volles zweites Studium, sei es davor, sei es danach, anschließt und dann eventuell auch noch promoviert, zögert dies den Berufsstart leider sehr weit heraus.

Ich würde auch jetzt ein Sprachstudium mit dem Jurastudium verbinden. Und ich würde sicherlich nicht eine der gängigen Sprachen wählen wollen. Vielleicht Chinesisch. Oder Japanisch.

Der Gerichtshof zählt zurzeit 47 Richter, entsprechend der Zahl der Vertragsparteien. Sie werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus einer Liste von drei Kandidierenden gewählt, die vom betreffenden Staat vorgeschlagen werden. Die gewählten Richter selbst sind jedoch unabhängig; sie vertreten nicht einen Staat. Inwiefern äußern sich im Arbeitsalltag am EGMR doch die jeweiligen national geprägten Unterschiede?

Anders als an deutschen Gerichten, an denen all diejenigen, die Richter werden wollen, zwei Staatsexamina mit Erfolg bestanden haben müssen, haben wir alle eine unterschiedliche Ausbildung und ein unterschiedliches „juristisches Vorleben“. Das prägt unser Denken und unsere Art zu argumentieren. Und das ist auch gerade das, was die Arbeit am Gerichtshof so spannend macht. Ich habe darüber gerade im Jahrbuch des öffentlichen Rechts einen Artikel veröffentlicht, in dem ich versuche, diese Unterschiede zu analysieren.

[Anm. der Redaktion: „Schmelztiegel Europa“. Wie europäische Richter mit einer Stimme sprechen (oder auch nicht), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 66, S. 1 ff.]

Wie viele der 47 Richter sind Richterinnen? Haben Sie das Gefühl, dass auf europäischer Ebene erfolgreiche Frauen besser vertreten sind als auf deutscher Ebene?

Im Augenblick sind wir 17 Richterinnen. Die Staaten müssen bei der Richterwahl immer Listen vorlegen, auf denen Kandidaten und Kandidatinnen vertreten sind. Das hat geholfen; die Zahl der Richterinnen am Gerichtshof ist kontinuierlich gewachsen. Mit mehr als einem Drittel Frauen ist die ratio sicherlich besser als an den meisten rechtswissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland.

Sie spielen als erste deutsche Richterin auf dem Posten der Vizepräsidentin des EGMR in vielerlei Hinsicht eine Vorreiterrolle. Gab es auf dem Weg dahin Schwierigkeiten, mit denen Sie gerade als Frau zu kämpfen hatten?

Meine ehemalige belgische Kollegin Francoise Tulkens, die etwa 20 Jahre älter ist als ich, hat erzählt, sie sei nur deshalb Juristin geworden, weil man ihren Antrag auf Aufnahme in die Musikhochschule – Fach Dirigat – mit dem Hinweis darauf abgewiesen hatte, dieses Studium stehe einer Frau nicht offen. Derartige unmittelbare Diskriminierungen habe ich nie erfahren. Zu meiner Zeit waren die Benachteiligungen subtiler. Man hat mich nicht als Habilitandin, sondern als Habilitandin mit Kindern und dementsprechend mit Vorbehalten gesehen. Ich denke, anders als damals in den 90er Jahren wird es jetzt als positiv gewertet, eine Habilitandin mit Kindern zu sein; die Fakultäten bewerben sich um hochqualifizierte Frauen. Im Übrigen muss ich aber auch sagen, dass für mich die Schwierigkeiten dadurch ausgeglichen wurden, dass mich viele bewusst gefördert haben, insbesondere der Direktor meines Max-Planck-Instituts, Professor von Maydell und der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Zacher. Das hat mir sehr geholfen.

Können Sie uns eine Anekdote aus Ihrer Tätigkeit am EGMR berichten, die typisch für Ihren Arbeitsalltag ist? Was gefällt Ihnen am besten an dem europäischen Kontext, in dem Sie arbeiten?

Als ich neu am Gericht war und mich das erste Mal bei dem damaligen Präsidenten Jean-Paul Costa vorstellte, verabschiedete ich mich nach einem sehr netten Gespräch von ihm und wollte ihm, wie ich es gewöhnt war und bin, die Hand zum Gruß reichen. Er aber wies meine Geste zurück und sagte, am Gericht reiche man sich nicht die Hand. Verwundert, vielleicht sogar etwas befremdet habe ich meine Hand zurückgezogen. Der Nachsatz hat alles geklärt: „Am Gericht küssen wir uns.“ – Ich denke, die Anekdote zeigt, dass der Umgang miteinander am Gericht anders ist als in Deutschland. Wir sind alle miteinander per „Du“. Das ist, finde ich, doch ein spürbarer Unterschied zum Arbeitsalltag in Deutschland, zumindest so, wie ich ihn in der Fakultät, am Max-Planck-Institut und auch in der Rechtsanwaltskanzlei kennengelernt hatte. An dem europäischen Kontext gefällt mir besonders das „Wir-Gefühl“ („Wir Europäer“) und der täglich lebendige Austausch über die Geschehnisse überall auf der Welt.

Als Richterin sind Sie unabhängig und unparteiisch. Als Professorin und Frau haben Sie sicher Meinungen zu vielen der hoch politischen Themen, die vor den EGMR getragen werden. Wie gelingt es Ihnen als Richterin, das Politikum jeden Falles von dessen rechtlicher Beurteilung zu trennen? Welcher der Fälle, denen Sie als Richterin am EGMR vorsaßen, beschäftigt Sie bis heute?

Das ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was wir selbst von uns als „professionalism“ einfordern. Wenn man Beschwerdeführer hat wie Julija Tymoschenko, Silvio Berlusconi oder Jean-Marie Le Pen, zugleich auch verurteilte Terroristen oder so genannte „Gefährder“, aber auch Rentner, die von ihrer Rente nicht leben können, muss man immer an die verbundenen Augen der Justitia denken. Die Akten sehen alle gleich aus. Und so muss man auch an sie herangehen. Es gibt eine Rechtsfrage, und die muss man lösen. In vielen Berufen ist derselbe „professionalism“ gefordert, etwa bei Ärzten.

In einem Fall hatten türkische Eltern geklagt, denen man das Sorgerecht für ihre Kinder (im Alter von 9 und 11 Jahren) entzogen hatte. Die Kinder hatten ihrer Lehrerin erzählt, sie würden, immer wenn sie schlechte Noten nach Hause brächten, mit dem Stock geschlagen. Dies beschrieben sie so detailliert, dass die Behörden keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schilderungen hatten. Die Eltern versuchten alles, um die Kinder zurückzubekommen, gestanden ein, sehr streng zu sein, stritten aber ab, je Gewalt angewendet zu haben. Erst bei einer Gegenüberstellung ein Jahr später erklärten die Kinder, gelogen zu haben; sie hatten eine Szene aus einem Film, in dem Kinder geschlagen wurden, als eigenes Erlebnis ausgegeben.

In dem Fall hatten eigentlich alle – auch die Behörden – das Beste gewollt, und doch war großes Unrecht geschehen.

Wenn man sich Ihren Lebenslauf ansieht, kann man nur staunen. Schnell kommt einem der Gedanke: „Wahnsinn, wie sie das gemacht hat. Das könnte ich nie schaffen.“ – Was muss man Ihrer Meinung nach mitbringen, um den Weg einer Wissenschaftlerin und/oder Richterin so erfolgreich zu gehen? Haben Sie einen Rat?

Ich denke, dass ich schlicht meinen Weg gegangen bin und bei Entscheidungen auf meine innere Stimme gehört habe. Ich halte nicht viel davon, aus Opportunitätsgründen ein bestimmtes Fach zu studieren, wenn man dafür kein wirkliches Interesse aufbringt, oder „strategische Entscheidungen“ (oder was man dafür hält) zu treffen.

Wenn Sie danach fragen, was man „mitbringen“ muss, um einen Berufsweg zu gehen, von dem man das Gefühl hat, dass er erfüllt ist – und das ist wahrscheinlich wichtiger als das, was man gemeinhin „Erfolg“ nennt – dann ist es wohl Vertrauen zu sich selbst, die Bereitschaft, etwas auszuprobieren, die Bereitschaft, Fehler einzugestehen und umzukehren und Ausdauer, dann „dran“ zu bleiben, wenn man spürt, dass das, was man tut, richtig, aber nicht unbedingt einfach ist. Meine Studienwahl mag dies illustrieren. Literaturwissenschaft schien nicht gerade eine Wahl für eine gute Karriere zu sein. Aber es hat mich begeistert. Als ich gemerkt habe, dass ich damit nicht an ein wirklich interessantes Ziel käme, habe ich noch ein zweites Fach studiert. Ein anderes Beispiel: Als unsere Kinder klein waren, habe ich nur halbtags gearbeitet. Davon mag man aus abstrakten karrierebezogenen Gründen abraten. Aber ich habe – für mich – gewusst, dass dies richtig ist und dass ich sonst meine Balance verlieren würde. Noch ein Beispiel: Als man mir eine Direktorenstelle an einem Max-Planck-Institut anbot, habe ich sehr lange überlegt, ob ich das wirklich will. Das, was man „Prestige“ nennt, hätte sicherlich dafür gesprochen. Aber ich wollte lieber an der Universität bleiben. Ich habe fast ein Jahr gebraucht um zu entscheiden, aber dann habe ich das Angebot der Max-Planck-Gesellschaft ausgeschlagen. Und ich habe es nie bereut.

Sie haben zwei Kinder und sind mit einem ebenfalls erfolgreichen Wissenschaftler verheiratet. Zu welchem Zeitpunkt haben Sie Ihre Kinder bekommen? Gibt es einen „richtigen“ Zeitpunkt für Kinder?

Mein Mann ist kein Rechtswissenschaftler, sondern Physiker. Und ich glaube, es ist auch ganz gut, wenn Partner in unterschiedlichen Bereichen tätig sind, auch wenn es bereichernd sein kann, sich fachlich auszutauschen. Ich habe meinen ersten Sohn während des Referendariats bekommen, mit dem zweiten Sohn war ich vor dem Zweiten Staatsexamen schwanger. Das war ein guter Zeitpunkt, da ich jung und voller Energie und noch nicht in feste Strukturen eingebunden war, so dass die Zeit mit den Kindern nicht allzu sehr reglementiert war. Zudem konnten wir als Familie gemeinsam ins Ausland gehen. Als ich mit Ende dreißig meinen Ruf nach Köln bekam, waren meine Jungs im Alter von 12 und 9 Jahren. Sie waren so selbstständig, dass ich mich intensiv meiner Arbeit am Lehrstuhl widmen konnte.

Aber ein Rezept für „den richtigen Zeitpunkt“ gibt es nicht. Ich habe Kolleginnen, die erst sehr spät Kinder bekommen haben. Das hat auch wunderbar geklappt. Meine Freundin, eine Frauenärztin, hat zu mir gesagt, wenn ich auf den richtigen Zeitpunkt warten würde, könne das leicht bedeuten, immer „nein“ zu sagen. Sie hatte sicherlich recht.

Wie gelingt es, das viele Reisen und die hohe Arbeitsbelastung mit einer Familie zu vereinbaren? Gibt es ein „Erfolgskonzept“?

Sicherlich kennt mich meine Familie nur mit einem Buch in der Hand. Aber ich denke und hoffe, dass sie auch immer wussten, dass ich da bin und zuhöre, wenn sie mich brauchen. Unser Familienleben war sicherlich in vielem unorthodox. So sind wir auch dann noch gemeinsam in die Ferien gefahren, als die Kinder in einem Alter waren, in dem die Eltern eigentlich  nicht mehr „cool“ sind, weil wir einfach zusammen sein wollten und für uns, anders als für andere, das gemeinsame Mittagessen keine Selbstverständlichkeit war.  Mein Mann und ich haben uns Mühe gegeben, Interessantes zu unternehmen, eine Reise nach China, eine Trekking-Tour in Norwegen, eine Trekking-Tour in Island. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man immer „vierspurig denkt“, dass man die Einzelwege gemeinsam geht und Freuden und Leiden teilt. Meine Jungs haben so etwa meine Antrittsvorlesung angehört (im Alter von 10 und 13) und mit mir bei der Wahl an den EGMR gefiebert. Umgekehrt habe ich auch schon Tagungen vorzeitig verlassen, wenn „Not an der Frau“ war.

Auch wenn es bei Ihrem Lebensweg nicht so aussieht. Gab es auch für Sie Momente des Zweifels und des wenn auch nur gefühlten Scheiterns? Wie haben Sie die bewältigt?

 

Ja, während der Habilitation hatte ich schon das Gefühl, dass ich dieses Buch nie zu Ende schreiben kann. Mich hatte damals ein „Headhunter“ vom MPI abgeworben und ich habe dann ein Jahr als Juristin bei der Münchener Rückversicherung gearbeitet. Ich dachte, dies wäre ein „Job“, bei dem man so etwas wie geregelte Arbeitszeiten hat und alles einfacher wäre, weniger Leistungsdruck, weniger Unsicherheit. Es war ein „Lehrjahr“. Ich habe gleich verstanden, dass ich dort fehl am Platz wäre. Diese (Negativ)erfahrung hat mir den nötigen Schwung gegeben, meine Arbeit am MPI schnell fertigzustellen.

Frauen fehlen im Arbeitsalltag häufig Vorbilder wie Sie, die einen weiblichen Diskussions- und Führungsstil prägen. Was würden Sie sagen prägt einen weiblichen Führungsstil – oder gibt es so etwas gar nicht? Sehen Sie in Ihrem Alltag im Umgang mit Ihren männlichen Kollegen Unterschiede und wenn ja, welche?

 

Ehrlich gesagt, versuche ich einfach, „ich selbst“ zu sein, wenn ich Sitzungen leite oder Mitarbeitergespräche führe. Männlich oder weiblich ist für mich dann keine Kategorie. Am Gericht sind wir von vielen Koordinaten bestimmt – unsere Nationalität (ich bin ja immer „die Deutsche“), unser Alter, unsere Vorbildung, unsere Sprachkenntnisse („wer spricht mit wem wie“), und letztlich unsere Persönlichkeit, mit mehr oder weniger Geduld, mehr oder weniger Fähigkeit zuzuhören, mehr oder weniger Charisma. Ich würde keinen männlichen oder weiblichen Führungsstil bestimmen wollen, hätte ich doch Sorge, dann Stereotypen zu verfallen.

Welche Rolle haben für Sie weibliche Vorbilder in Ihrer Laufbahn gespielt? Hätten Sie sich früher mehr Unterstützung durch erfahrene Juristinnen gewünscht?

 

Ich habe immer sehr gerne mit Frauen zusammengearbeitet, etwa gemeinsam Bücher oder Aufsätze geschrieben oder Konferenzen organisiert. Auch am Gericht schätze ich meine Kolleginnen sehr. Aber Vorbilder gab es in meiner Jungend wenige; im Zweifel waren sie weit weg. Während meines Jurastudiums hatte ich keine Professorin. Ich denke schon, dass weibliche Vorbilder hilfreich gewesen wären. Es ist eher jetzt so, dass ich viele Kolleginnen bewundere, bei denen ich weiß, welch schweren Weg sie hatten.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Die von Ihnen ebenfalls porträtierte Gertrude Lübbe-Wolff. Sie ist eine faszinierende Gesprächspartnerin. Und hat vier Kinder. Es wäre schön gewesen, wenn ich sie schon früher kennengelernt hätte, und nicht erst jetzt.

Vielen Dank für das bereichernde Gespräch!

Straßburg / Berlin, 29. Mai 2018. Das Interview führte Clara zu Löwenstein.

 

 

* Anm. d. Red.: Als das Interview geführt wurde, war Prof. Dr. Dr. h.c. Nußberger M.A. noch Vizepräsidentin des EGMR.

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