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Alltagsvorbild II

Doktorarbeit und Referendariat mit drei Kindern

„Es sind viele kleine Häppchen, die sich dann irgendwann fügen.“

 

Unsere Porträtierte hat während der Doktorarbeit und dem Referendariat drei Kinder bekommen. Sie berichtet über den unbedingten Willen, den es braucht, und über ungleiche Maßstäbe, die an Mütter und Väter angelegt werden. Ein Appell für mehr Gleichberechtigung.

Doktorarbeit, Referendariat und drei Kinder sind sowohl zeitlich als auch nervlich an und für sich genommen schon eine Herausforderung. Wie schaffst Du es, juristische Ausbildung und drei Kinder miteinander zu verbinden?

Ich mache die Dinge anders und ich habe eine verdammt gute Organisation. Ansonsten würden mir Kindergarten, Schule, Haushalt und all die anderen Dinge schlicht um die Ohren fliegen. Ich plane alles weit im Voraus und ich erledige die meisten Dinge nicht in einem Stück. Es sind viele kleine Häppchen, die sich dann irgendwann fügen. So zum Beispiel auch die anzufertigenden Urteile im Rahmen des Referendariats. Sie entstehen stückchenweise wann immer ich Zeit finde. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Art zu arbeiten erlernt habe, aber mit Kindern kann man einfach selten irgendetwas von Anfang bis Ende erledigen.

Im Mai 2014 wurde Dein erstes Kind geboren. Wie haben Dein Mann und Du Euch nach der Geburt organisiert?

Mein Mann ist auch Jurist und war wie ich zu diesem Zeitpunkt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität beschäftigt. Wir wollten gleichermaßen für unseren Sohn da sein. Für uns und unseren Sohn war dieser Weg ein guter, wenngleich er für mich mit Hürden verbunden war. Ich musste rasch feststellen, dass es als stillende Mutter nicht einfach war, gleich wieder zu arbeiten. Wir teilten die Woche untereinander auf. Ab dem ersten Geburtstag wurde unser Sohn in einem kleinen und familiären Elterninitiativ-Kinderladen betreut.

Worin bestand die Hürde, als stillende Mutter zu arbeiten, genau und wie hast Du sie genommen?

An den zweieinhalb Tagen, die ich im Büro arbeitete, habe ich Muttermilch abgepumpt. Allerdings gab es keinen Stillraum oder ähnliches am Fachbereich, sodass ich mit meiner Muttermilchpumpe, umhüllt von einem großen Tuch, eingeschlossen in meinem Büro die Milch für meinen Sohn abpumpte. Ich hatte jedes Mal große Angst, dass in dieser Situation ein Kollege oder mein Dienstvorgesetzter die Tür aufschließt und mich in dieser intimen Situation antrifft. Aber das Stillen war mir so wichtig und ich habe nicht eingesehen, mich zwischen meinem beruflichen Fortkommen und dem Stillen entscheiden zu müssen. Ich dachte, es müsste doch auch beides gehen. Und ja. Es geht. Aber es ist mit Hürden verbunden. Leider hatte ich genau durch solche Umstände das Gefühl, dass es mir nicht möglich ist, gleichberechtigt zu arbeiten und zu leben.

Hat sich die Geburt Deines Sohnes auf Deine Produktivität ausgewirkt?

Ich lernte eine bis dato nicht gekannte Art der Produktivität kennen. In sechs Stunden schaffte ich die Arbeit, die ich sonst in acht bis neun Stunden erledigte. Ich sparte Kaffeepausen und Mensabesuche ein, nahm mir vorbereitetes Essen mit und installierte eine gute Kaffeemaschine am Arbeitsplatz. Kapitel um Kapitel meiner Dissertation entstanden und meine Arbeit in Forschung und Lehre an der Uni bereitete mir Freude und war mit unserem Sohn gut vereinbar.

Haben Dein Mann und Du Unterschiede in dem erlebt, wie Euch als berufstätige Eltern nach dem ersten Kind begegnet wurde?

Ja, leider. Mein Mann und ich waren zwar beide gleichermaßen gut ausgebildet und wir verdienten gleich viel. Als ich nach dem Mutterschutz wieder zurück an den universitären Schreibtisch ging, wurde mir von außen allerdings nicht unbedingt Verständnis für diese Entscheidung entgegengebracht. Aus der Personalabteilung hieß es, ich würde das nicht schaffen und ich würde noch um Elternzeit betteln kommen. Und überhaupt bräuchte das Kind doch seine Mutter. Ich wurde gefragt, was ich denn mit dem Kind mache, während ich im Büro sei. Den Wenigsten kam dabei in den Sinn, dass der Vater sich in dieser Zeit um seinen Sohn kümmern wird.

 

Wie hast Du Deine Doktorarbeit neben der Schwangerschaft mit Deinem zweiten Kind fertig gestellt?

Unser Sohn war 15 Monate alt, als ich im August 2015 wieder schwanger wurde. Auch diese Schwangerschaft verlief nicht ganz komplikationslos. Wegen vorzeitiger Wehen musste ich die letzten drei Monate ausschließlich liegend im Bett verbringen. Da wir leider über keine familiäre Unterstützung verfügen, mussten wir die Hilfe einer durch die gesetzliche Krankenkasse finanzierten Haushalt- und Familienhilfe in Anspruch nehmen, die uns unterstützte, damit mein Mann weiterhin arbeiten gehen konnte. Ich überbrückte die Zeit im Bett damit, das letzte Kapitel meiner Dissertation anzufertigen. Umringt von Büchern, den Laptop auf dem Bauch liegend recherchierte ich und schrieb. Mein Mann kopierte mir die Aufsätze und Urteile, auf die ich online nicht zugreifen konnte und lieh für mich Bücher aus. Drei Tage vor der Geburt unserer Tochter, Ende Mai 2016, habe ich meine Dissertation fertig gestellt. Es war ein Kraftakt und nach dem letzten Satz musste ich, zugegegebenermaßen, auch erstmal aus Erleichterung weinen.

Nachdem Du bei Deinem ersten Kind nach dem Mutterschutz wieder gearbeitet hast, hast Du beim zweiten Kind ein Jahr Elternzeit genommen. Wieso hast Du Dich dieses Mal für einen anderen Weg entschieden?

Ich habe mich frei und bewusst dafür entschieden, nach dem Mutterschutz dieses Mal ein Jahr Elternzeit zu nehmen. Das deshalb, weil ich die Strapazen des Abpumpens in meinem Büro nicht mehr auf mich nehmen wollte und mein Mann mit dem Referendariat begonnen hatte. Ich genoss die Zeit mit den beiden Kindern. Ich unterstützte meinen Mann, der neben seiner Dissertation und seiner Wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle an der Uni das Referendariat durchzog. Nachdem mir für die Nichtnahme von Elternzeit bei unserem Sohn Unverständnis entgegengebracht wurde, war ich umso verwunderter darüber, dass die Elternzeit bei meiner Tochter auch wieder negativ bewertet wurde. Bemerkungen wie, dass es so schade sei, dass ich jetzt ja so lange (in Regelstudienzeit!!!) studiert habe und jetzt doch nur Hausfrau und Mutter sei, begegneten mir des Öfteren.

Wie haben Dein Mann und Du Deinen Wiedereinstieg nach der Elternzeit ausgestaltet?

 

Nachdem eine Freundin meine Dissertation Korrektur gelesen hatte, begann ich die Schlafenszeiten meiner Tochter dazu zu nutzen, um Korrekturen einzuarbeiten. Wieder stückchenweise mit unzähligen Unterbrechungen. Aber zum Ende meiner Elternzeit war die Dissertation dann abgabefertig und ich kehrte zurück in die Uni, während mein Mann am Ende des Referendariats noch drei Monate Elternzeit nahm, weil wir das Gefühl hatten, dass unsere Tochter noch nicht bereit ist für eine Fremdbetreuung.

Hat sich nach Deinem zweiten Kind etwas an dem verändert, wie Dir andere im professionellen Kontext begegnet sind?

Bei der Weihnachtsfeier während meiner Elternzeit mit meiner Tochter hatte ich bemerkt, dass sich etwas verändert hatte. Man begegnete mir anders. Die Smalltalk-Themen waren plötzlich andere. Kollegen und mein Dienstvorgesetzter sprachen in erster Linie über Kinder mit mir. In den juristischen Diskurs wurde ich nicht wirklich integriert. Ich musste mich mühevoll zurückkämpfen, die Themen immer wieder bewusst umlenken. Nach einigen Wochen wurde ich nicht mehr nur als Mutter, sondern auch wieder als juristisch arbeitende Kollegin wahrgenommen. Mit einem solchen Verhalten hatte ich nicht gerechnet, zumal mein Mann nie derartige Erfahrungen machen musste.

Im November 2017 hast Du mit dem Referendariat begonnen. Am Tag Deiner Vereidigung hieltest Du das Ultraschallbild Eures dritten Kindes in den Händen. Hattest Du gar keine Angst, das nicht zu schaffen?

Nein. Kein Stück. Andere Menschen, Menschen in meinem näheren Umfeld leider schon. Sie sahen das Ende meines beruflichen Fortkommens nahen. Sätze wie „Jetzt ist das Arbeiten für dich aber gänzlich gestorben und das zweite Examen auch, denn eine Mutter dreier Kinder kann ja nicht mehr arbeiten gehen!“ Solche und ähnliche Glaubenssätze wurde mir ungefragt entgegengeschmettert. Dass ich als Frau, die Kinder gebiert, offenbar andere Hürden zu nehmen habe als mein Mann, war mir bis dahin ja schon bewusst geworden. Aber dass mein berufliches Leben durch die Geburt eines dritten Kindes beendet sein würde, war ein Gedanke, der mir bis dato noch nicht in den Sinn gekommen war. Ich ließ mich aber nicht beirren, denn ich wusste, dass ich mit meinen Aufgaben wachsen würde.

Im Juli 2018 kam Euer drittes Kind zur Welt. Wie hast Du die Zeit unmittelbar nach der Geburt dieses Mal ausgestaltet?

Ich nahm 15 Monate Elternzeit. Während der Elternzeit mit unserem zweiten Sohn bereitete ich mich auf mein Rigorosum vor. Ich nutzte seine Schlafenszeiten, um ein Vortragsthema zu suchen und es auszuarbeiten. Mein Mann nahm sich unmittelbar vor der mündlichen Doktorprüfung Ende April 2019 zwei Wochen Urlaub, damit ich mich nochmal richtig, mehrere Stunden am Stück mit dem Thema beschäftigen und mich intensiver einlesen konnte. Abends, wenn die Kinder schliefen, übte er mit mir meinen Vortrag. Mein Mann begleitete mich am Tag meines Rigorosums zur Uni. Während ich in der Prüfung saß, holte er unsere Kinder ab, und als ich aus dem Raum kam wurde ich von meiner Familie empfangen. Das war ein wahnsinnig schöner Moment. Im Rahmen des Bewertungsgesprächs machten mein Doktorvater und meine Zweitkorrektorin auch deutlich, dass in die Bewertung auch meine familiären und sozialen Umstände Einfluss gefunden haben. Dass ich diese Arbeit mit den drei Kindern angefertigt habe und nicht aufgegeben habe, sei besonders und sehr selten. An dieser Stelle habe ich zum ersten Mal Wertschätzung für mein juristisches Fortkommen bei gleichzeitiger Betreuung dreier Kinder erhalten. Für diese Wertschätzung bin ich sehr dankbar.

Hast Du nach der Elternzeit da weiter gemacht, wo Du davor aufgehört hattest?

Nach der Elternzeit kehrte ich nicht zurück an meinen Unischreibtisch. Das deshalb, weil die Reaktion meines Dienstvorgesetzten auf die erneute Schwangerschaft und meinen Antrag auf Nachteilsausgleich (die Zeiten von Mutterschutz und Elternzeiten können auf Antrag an die Befristung angehängt werden) sehr hässlich war und ich mit dieser Person nicht mehr zusammenarbeiten wollte. Ich entschied mich, mich ganz dem Referendariat zu widmen, stieg also im Oktober 2019 wieder ein.

Im Referendariat warst Du einer Eltern-AG zugeteilt, die die Vereinbarkeit des Referendariats mit Kindern sicherstellen soll. Bringt das Konzept merkliche Erleichterungen mit sich?

Eine schöne Idee. In der Realität stellte sich aber schnell heraus, dass allein die Einrichtung einer Eltern-AG die Ausbildung nicht zu einer elternfreundlichen macht. Zum einen fanden die Eltern-AGs nicht ausschließlich am Vormittag statt, zum anderen musste man, zumindest bei der Staatsanwaltschaft, auch am Nachmittag für Sitzungsdienste zur Verfügung stehen. Die Sitzungsdienste wurden regelmäßig mit Vorlauf verteilt. Durch Krankheit oder Urlaub anderer kam es aber auch vor, dass man relativ spontan eingeteilt wurde. Wenn man seine Kinder dann nicht anderweitig aus dem Kindergarten abholen lassen konnte, hatte man ein Problem.

Wie bewältigst Du Dein Pensum im Referendariat neben der Kinderbetreuung?

Das Kammergericht selbst geht davon aus, dass für das Referendariat eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden angesetzt sind. Diese Ausbildung ist also ein Full-Time-Job. Mütter oder Väter mit berufstätigen Partnern, müssen also, wie in meinem Fall, die anfallende Arbeit in kürzerer Zeit erledigen. Ich habe 30 Stunden in der Woche Arbeitszeit. Leider gibt es, anders als beim Lehrer-Referendariat, nicht die Möglichkeit das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren. Für Eltern wäre das sehr sinnvoll und würde zu einer besseren und gleichberechtigteren Ausbildung beitragen und zu weniger gestressten und getriebenen Eltern, die mehr Zeit und Muße für ihre Kinder haben führen. Mit einem in einer Großkanzlei arbeitenden Ehemann blieb mir also nichts anderes übrig, als abends, oft bis Mitternacht, die Akten (zu Ende) zu bearbeiten. Eine Vor- und Nachbereitung der AG-Termine war nur sehr selten machbar. Anfänglich nahm ich mir immer noch vor, das materielle Recht aufzufrischen, musste aber schnell feststellen, dass das zeitlich nicht möglich ist. Hauptaugenmerk liegt darauf, die Stationsarbeit zu erledigen und ggf. durch (Kinder-)krankheit verpassten Stoff nachzuholen oder erstmals zu erarbeiten, weil – und das kommt leider sehr häufig vor – der jeweilige AG-Leiter fachlich und/oder didaktisch unterdurchschnittlich gut unterrichtete und sich lieber in Anekdoten verlor.

Kann man das Referendariat mit Kindern trotzdem bewältigen?

 

Insgesamt kann ich sagen, dass man als Elternteil das Referendariat absolvieren kann, auch mit guten Stationsergebnissen. Allerdings muss man starke Nerven und Mut zur Lücke haben. Ich empfehle, das materielle Recht im Vorfeld so gut wie eben möglich aufzufrischen und sich Backups für die Kinderbetreuung zu organisieren. Die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen während der Rechtsanwaltsstation ist für den/die kinderlose/n Referendar/in schon fast nicht zu schaffen, für Eltern aber absolut realitätsfern. Ohne Elternzeit vor dem Examen ist es für die meisten kaum schaffbar. Ein kleines finanzielles Polster, um eine etwaige Elternzeit finanziell abfangen zu können, ist daher sehr beruhigend.

 

Wie lautet Dein Fazit mit Blick auf die Vereinbarkeit von juristischer Ausbildung mit mehreren Kindern?

Mütter und Väter in der juristischen Ausbildungswelt brauchen Biss, unbedingten Willen, starke Nerven und eine verdammt gute Organisation. Es ist machbar, Familie und berufliches Fortkommen zu vereinen, allerdings ist beides, nicht gleichzeitig ohne zeitliche Verzögerungen möglich. Jede/r muss Prioritäten setzen. Für mich stehen meine Kinder immer an erster Stelle. Für mich und meine Familie ist es gut und wichtig, dass wir Zeit miteinander verbringen können. Hierfür nehme ich gern in Kauf, dass ich durch Elternzeiten ggf. etwas später fertig bin als kinderlose Kolleginnen und Kollegen. Die berühmte Work-Life-Balance ist nicht nur in der Großkanzlei von enormer Wichtigkeit.

 

Beim noch immer vorherrschenden Rollenverständnis in unserer Gesellschaft – und Corona hat uns insoweit um einiges zurückgeworfen – hat eine berufstätige Mutter mit viel mehr Hürden und aufgedrängten Glaubenssätzen zu kämpfen als ein Vater. Das beginnt mit dem Glauben, eine Mutter müsse in Elternzeit gehen, geht über nicht vorhandene Stillräume, über Downgrading nach der Elternzeit, schlechtere Bezahlung und ungleiche Aufstiegschancen bis hin zu drohender Altersarmut. Und dabei sind wir Frauen sehr gut ausgebildet und dank unserer Kinder hocheffizient und wahnsinnig stresserprobt. Uns braucht der Arbeitsmarkt!

 

Ich denke, dass es für uns Frauen wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind oder bewusst werden. Wir müssen uns nicht entscheiden zwischen dem Mutterdasein und einer Karriere. Wir haben die Wahl! Wir können uns ganz bewusst dafür entscheiden, nur für die Familie da sein zu wollen, beides gleichzeitig zu betreiben oder aber dem Partner oder der Partnerin den Hauptteil der Care-Arbeit zu überlassen oder diese gleichberechtigt aufzuteilen. Alles ist möglich! Wir müssen uns nicht aufreiben! Wir können beruflich erfolgreich und eine liebevolle Mutter sein. Es ist schaffbar – mit einer guten Organisation und dem Willen, sich nicht in alte Muster pressen zu lassen.

Vielen Dank für Deinen ermutigenden Bericht! 

Sehr gerne! Wenn jemand Fragen an mich haben sollte, stehe ich für ein Gespräch zur Verfügung. Wendet Euch dafür einfach an das Team von breaking.through.

 

Berlin, 9. Oktober 2020. Die Porträtierte hat den Bericht schriftlich verfasst. Der Text wurde von Jantje Niggemann redaktionell betreut.

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