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Dana Valentiner & Selma Gather

Dr. Dana-Sophia Valentiner und Selma Gather im Porträt

„...aus einer feministischen Perspektive ist die juristische Ausbildung ein ziemlich unterbeleuchtetes Thema.“

Dr. Dana Valentiner (Postdoc) und Selma Gather (Doktorandin) über Solidarität unter Juristinnen, den Objektivitätsmythos des Rechts, ihren gemeinsamen Podcast „Justitias Töchter“ und darüber, dass auch ein Arbeiterkind eine erfolgreiche Juristin werden kann.

Liebe Dana, liebe Selma, Ihr seid beide Volljuristinnen und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Universität: Dana als Postdoc an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und Selma als Doktorandin an der Freien Universität Berlin. In Eurer wissenschaftlichen Arbeit setzt Ihr Euch u.a. mit Gleichberechtigung und Diskriminierung auseinander. Was hat Euch dazu bewogen aus der Wissenschaft heraus zu diesen Themen zu arbeiten?

Dana: Schon seit der Schulzeit und dem Beginn meines Jurastudiums habe ich mich für Frauenrechte und Gleichberechtigung interessiert und war ehrenamtlich aktiv. Dass man zu diesen Fragen aber auch aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive forschen kann, ist mir erst im Studium durch eine Veranstaltung im zweiten Semester bei Professorin Ulrike Lembke zu Legal Gender Studies aufgefallen. Erst diese Erfahrung hat mein Interesse daran geweckt, wie Geschlecht durch Recht hergestellt und festgeschrieben wird. Aus meiner heutigen Perspektive möchte ich aber gerne differenzieren: Einerseits beschäftige ich mich mit den Legal Gender Studies, mit Fragen zum Gleichstellungsrecht, zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Nichtdiskriminierung, etc. Andererseits engagiere ich mich rechtspolitisch für Gleichberechtigung. Mir ist wichtig immer wieder zu schauen, ob ich mich gerade aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive mit einem Thema auseinandersetze, oder ob ich mich gesellschaftspolitisch engagiere. Beides ist sicherlich verknüpft miteinander, es ist aber eben nicht dasselbe. Es ist zentral für mich, diese beiden Ebenen nicht zu vermengen. Im Übrigen bearbeite ich als Nachwuchswissenschaftlerin nicht nur die Legal Gender Studies, sondern ein sehr breites Themenspektrum – von Verfassungsrecht bis zur Regulierung technischer Innovationen.

Selma: Auch bei mir hat es länger gedauert zu verstehen, dass Jura überhaupt etwas mit den Themen Gleichberechtigung und Diskriminierung zu tun hat. Erst im Laufe des Studiums habe ich begriffen, dass sich die Themen, die mich politisch interessieren, natürlich auch im Recht spiegeln und da ebenfalls verhandelt werden können. Das war der erste Schritt. Hinzu kam dann ganz maßgeblich meine Erfahrungen auf dem Feministischen Juristinnentag (FJT). Als noch junge Studentin habe ich dort viel gelernt und spannende Perspektiven kennengelernt, aus denen sich eine gewisse feministische Grundhaltung auch in Bezug auf das Recht entwickelt hat. Dort bin ich auch das erste Mal über Themen gestolpert, zu denen ich gerne wissenschaftlich arbeiten wollte. Heute promoviere ich im Zivilrecht, im Antidiskriminierungsrecht. Ein paar progressive Stimmen mehr könnten im Zivilrecht nicht schaden, das ist auch etwas, das mich motiviert.

Dana, 2017 hast Du eine vielbeachtete Studie zu (Geschlechter)Rollenstereotypen in juristischen Ausbildungsfällen veröffentlicht. Worum ging es Dir bei dieser Studie? Und was war das Ergebnis?

Dana: In der Studie ging es erst mal um eine Bestandaufnahme zu stereotypen Rollenbildern in juristischen Ausbildungsfällen (die Studie ist verfügbar unter https://www.uni-hamburg.de/gleichstellung/download/studie-rollenstereotypen-geschlechterforschung-1.pdf, Anm. der Red.). Anlass waren zum einen eigene Erfahrungen im Studium; zum anderen war es eine frühere Studie zu Zivilrechtsfällen von Franziska Pabst und Vera Slupik, auf die ich gestoßen war und die ein sehr tradiertes Frauenbild in juristischen Zivilrechtsfällen festgestellt hatte. Obwohl diese Studie schon 40 Jahre alt war, hatte ich den Eindruck, dass es heute noch ähnlich sein könnte, wollte mir das aber erstmal genauer anschauen. Dazu haben wir 87 Fälle aus dem Examensklausurenkurs zweier Universitäten in allen Rechtsgebieten untersucht. Das Ergebnis war, dass Frauen seltener in den Fällen vorkamen (der Männeranteil lag bei 80%) und zudem sehr stark in Abhängigkeit zu einem Mann (z.B. dem Ehemann, Vater, etc.) sowie wenig eigenständig bzw. berufstätig dargestellt wurden. Die Männer in den Fällen waren klassischerweise Geschäftsführer oder Anwälte und hatten höhere politische Ämter inne. Die Frauen waren meist Sekretärinnen oder wurden ohne Beruf geschildert. Die Studie hat sich aber nicht nur auf die Kategorie Geschlecht bezogen. Wir haben auch rassistische und andere diskriminierende Stereotype in den Fällen wiedergefunden. So wurden etwa Protagonist*innen mit migrantisch gelesenen Namen nur selten abgebildet, und wenn dann meist im Zusammenhang mit Straftaten dargestellt (etwa: „Sahin Yilmaz“ bricht mit einem Komplizen in das Haus der „Eheleute Kaiser“ ein). Es hat mich sehr gefreut, dass die Studie eine schöne Resonanz hatte und im Nachgang von einigen Universitäten zum Anlass genommen wurde, die eigenen Materialien zu bearbeiten.

Neben der wissenschaftlichen Arbeit verbindet Euch auch Euer rechtspolitisches Engagement. Beim Deutschen Juristinnenbund (djb) seid Ihr als Vorsitzende des Arbeitsstabs „Ausbildung und Beruf“ (Selma) und des Landesverbands Hamburg (Dana) aktiv. Wie kam es dazu?

Selma: Nachdem ich entdeckt hatte, dass Jura auch feministisch geht, bin ich auf den djb aufmerksam geworden und beigetreten. Eine ganze Weile war ich ein nicht aktives Mitglied. Erst als mich im Laufe des Studiums zunehmend die Stereotype in den Ausbildungsfällen gestört haben, bin ich auf die Idee gekommen, dass man da was tun müsste. Bei einer Tagung zu Sexismus in der juristischen Ausbildung haben Dana, die Juristin Lucy Chebout und ich uns vernetzt und einen Aufsatz in der Zeitschrift des djb (djbZ) veröffentlicht. Denn aus einer feministischen Perspektive ist die juristische Ausbildung ein ziemlich unterbeleuchtetes Thema. Man geht durch, leidet, und hakt es ab. Diese Lücke wollten wir füllen und ein statusübergreifendes Querschnittsthema daraus machen; das Thema also größer institutionell aufgleisen. So sind wir auf die Idee gekommen, einen eigenen Arbeitsstab „Ausbildung und Beruf“ beim djb zu gründen, den ich nun leite. Streng genommen haben wir den Arbeitsstab reaktiviert, es gab ihn nämlich schon einmal, allerdings hat er die letzten Jahre geruht. Mit dem Arbeitsstab setzen wir in erster Linie die juristische Ausbildung auf die feministische Agenda und wollen so für das Thema sensibilisieren, auf problematische Strukturen und Phänomene aufmerksam machen und Reformvorschläge einbringen.

Dana: Ich bin schon vor über zehn Jahren als junge Studentin in den djb eingetreten. Im Landesverband hatte ich das Glück, dass mich die viel erfahreneren Kolleginnen sehr wohlwollend aufgenommen haben und mir recht schnell Verantwortung übertragen haben – erst war ich Delegierte im Landesfrauenrat, dann Schatzmeisterin, dann stellvertretende Vorsitzende und heute die Vorsitzende. Parallel dazu habe ich auch früh in den inhaltlichen Kommissionen des djb mitgearbeitet. Insgesamt war ich also schon an verschiedenen Stellen aktiv. Es gefällt mir gut, juristisch auf hohem Niveau zu arbeiten und das mit dem Engagement für Frauenrechte zu verbinden. Hinzu kommt, dass ich mit vielen inspirierenden Kolleginnen in Kontakt gekommen bin und sich so ein tolles Netzwerk gebildet hat.

Ein weiteres Beispiel für Eurer Engagement ist der Blog „Juristenausbildung – Üble Nachlese“, den Ihr gemeinsam mit anderen Juristinnen initiiert habt. Worum geht es in dem Blog?

Selma: Die Idee des Blogs ist, dass Studierende sexistische und rassistische Fälle anonym einreichen können (der Blog kann abgerufen werden unter https://juristenausbildung.tumblr.com/; auch auf Instagram: https://www.instagram.com/juristenausbildung/, Anm. der Red.). Individuen wird damit die Möglichkeit gegeben, sich an eine Stelle wenden und das Gelesene los werden zu können. Außerdem geht es darum zu zeigen, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem handelt.

Dana: Der Blog ersetzt keinen institutionellen Beschwerdeweg. Das muss vielmehr durch die jeweiligen Jurafakultäten geleistet werden. An der Universität Hamburg etwa gibt es mittlerweile eine offizielle Beschwerdestelle („S:TEREO“). Studierende können sich hier vertraulich an das Gleichstellungsteam wenden, welches dann wiederum mit denjenigen Lehrenden ins Gespräch kommt, die die Fälle entworfen haben. Die Idee ist hier kein naming und shaming, sondern eher ein kollegiales Gespräch, in dem auf Missstände hingewiesen wird (siehe https://www.jura.uni-hamburg.de/die-fakultaet/gremien-beauftragte/gleichstellungsbeauftragte/gleichstellungsplan/geschlechtergerechte-sprache.html, Anm. der Red.).

Selma, in der Vergangenheit hast Du unter anderem auch bei der Organisation des Feministischen Juristinnentages (FJT) mitgewirkt. Kannst Du uns schildern, was der FJT ist?

 

Selma: Der FJT ist eine jährlich stattfindende Tagung, bei der sich Juristinnen unterschiedlicher Professionen treffen, um über hot topics der feministischen Rechtswissenschaften zu diskutieren – in Podiumsdiskussionen, Workshops, etc. Der gemeinsame Nenner aller Teilnehmerinnen ist, dass sie sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter im und durch Recht einsetzen. Es gibt aber durchaus auch mal unterschiedliche Auffassungen, über bestimmte Themen, aber auch allgemein die Frage, für welchen Feminismus wir stehen. Es wird also durchaus gestritten, aber im besten Sinne auf eine sachliche Art und Weise. Damit kommen wir im Kreis der feministischen Juristinnen inhaltlich weiter. Die letzten Jahre waren besonders diskussionsintensiv, was sicherlich mit dem starken Zulauf zu tun hat: Heute können sich Juristinnen schamloser für Feminismus interessieren und so hat sich der FJT in den letzten Jahren einer großen Teilnehmerinnenzahl erfreut.

Seit Mai 2020 richtet Ihr den monatlich erscheinenden djb-Podcast „Justitias Töchter“ aus. Worum geht es in dem Podcast?

Dana: In dem Podcast sprechen wir über Frauen im Recht und mit Frauen über Recht. Wir behandeln also Themen, die sich um Gleichberechtigung und Recht sowie Feminismus und Recht im weitesten Sinne drehen. Es ist ein breites Spektrum an Themen dabei, weil viele Rechtsgebiete eine Geschlechterdimension aufweisen. Deshalb sprechen wir in dem Podcast mit Expertinnen (Rechtsanwältinnen, Wissenschaftlerinnen, etc.), die in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Was die Themen gemein haben ist, dass sie in der juristischen Ausbildung eher weniger angesprochen werden.

Selma: Wir beschäftigen uns in dem Podcast mit tagesaktueller Rechtspolitik und ordnen die Themen sowohl rechtlich als auch feministisch ein. Es ist also kein wissenschaftliches Format.

Was hat Euch motiviert, diesen Podcast ins Leben zu rufen?

Selma: Mit Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit soll man ja dahin gehen, wo keine Frauen sind ... (lacht). Nein, Scherz, so schlimm ist es nicht. Unser Eindruck war aber schon, dass Podcasts, die über juristische Themen berichten, sehr häufig von Männern moderiert waren. Gleichzeitig gibt es zwar Podcasts, in denen entweder rechtliche oder feministische Themen besprochen werden. Es gibt aber keine Podcasts, die sich mit feministischen Themen im Recht beschäftigen. Diese Lücke wollten wir füllen.

Dana: Die Idee des Podcasts ist auch, dass die Stimmen der Expertinnen, mit denen wir sprechen, mehr gehört werden. Darüber hinaus möchten wir bestimmte Themen, die wir beim djb oder FJT diskutiert haben, so aufarbeiten, dass sich Studierende einen Überblick verschaffen können – gerade auch weil diese Themen in der juristischen Ausbildung jedenfalls nicht im Fokus stehen. Außerdem möchten wir auch solchen Personen das juristische Hintergrundwissen zu bestimmten Themen vermitteln, die gleichstellungspolitisch aktiv sind, aber nicht unbedingt eine juristische Ausbildung haben. Gerade durch unsere Arbeit im djb wissen wir, wie wichtig und stärkend dieses Wissen für die eigene rechtspolitische und gleichstellungspolitische Arbeit sein kann. Selma und ich hatten die Idee mit dem Podcast, haben dann mit Professorin Maria Wersig, der Präsidentin des djb gesprochen und gemeinsam mit ihr das Konzept erarbeitet. Maria hat uns den Impuls gegeben und das Vertrauen in uns gesetzt. Ohne sie hätten wir das endlos konzipiert. Einerseits haben wir also die Anbindung an den djb, besprechen die einzelnen Themen des Podcasts mit dem Präsidium und holen uns Input aus dem Bundesvorstand. Andererseits haben wir beide auch die Möglichkeit Themen zu setzen, die wir wichtig finden. Der Podcast hat also viele Urheberinnen und Inspirationsquellen.

Einige Themen (wie Geschlechtergerechtigkeit und strukturelle Diskriminierung) tauchen bei Euren Aktivitäten immer wieder auf. Wie habt Ihr den Zugang dazu gefunden und welche Rolle hatten Eure Erfahrungen mit der juristischen Ausbildung in diesem Prozess?

Dana: Durch das Seminar bei Professorin Lembke zu Legal Gender Studies war mein Jurastudium durchaus wichtig für die Auseinandersetzung mit den Themen, die mich auch heute noch beschäftigen. Das hat mir letztlich auch die Motivation gegeben, Räume zu schaffen, in denen ich die gelernten Perspektiven vertiefen konnte. So habe ich etwa einen feministischen Lesekreis an der juristischen Fakultät gegründet und Veranstaltungen mit den kritischen Jurastudierenden organisiert. Ich hatte also in der juristischen Ausbildung durchaus viele spannende Impulse und würde insgesamt von einer positiven Studienerfahrung sprechen. Allerdings haben mich vor allem solche Veranstaltungen geprägt, die im außercurricularen Bereich stattfanden – also Grundlagenscheine, Seminare und selbstorganisierte Veranstaltungen. Zudem habe ich im Nebenfach Gender Studies studiert. Im Nachhinein wird mir klar, dass wenig von dem, was mich interessiert hat, auf Erfahrungen zurück geht, die ich in den Pflichtstoffveranstaltungen gemacht habe. Dazu gehören auch reflektierte Perspektiven auf mein eigenes Vorverständnis als Juristin. Das ist schade! Eigentlich müsste es so sein, dass diese Erfahrungen Teil der regulären juristischen Ausbildung sind – vielleicht nicht in dem Ausmaß, in dem ich es dann studiert habe, aber es sollte doch zumindest angeboten werden.

Selma: Bei mir hat es auch länger gedauert, bis ich die Erfahrungen in der juristischen Ausbildung reflektiert habe. Zu Beginn hatte ich eine große Bereitschaft, alles was gelehrt wurde als gegeben hinzunehmen. Wann immer ich Störgefühle entwickelt oder mich in juristischen Räumen unwohl gefühlt habe, dachte ich, dass das an mir liegt – ein klassischer Mechanismus bei strukturellen Problemen. Hauptgrund dafür war sicherlich die absolute Armut unterschiedlicher Perspektiven. Das ist mir aber erst gegen Ende des Studiums aufgefallen, denn ich hatte nicht das Glück, frühe Schlüsselerlebnisse wie Dana bei Professorin Lembke zu haben.

Nun wo Ihr auf der anderen Seite des Universitätsbetriebs steht und selbst lehrt: Zieht Ihr Konsequenzen aus diesen Erfahrungen? Was gebt Ihr den Jurist*innen von morgen mit auf den Weg?

Selma: Es gibt verschiedene Sachen, auf die ich versuche in meiner Lehre zu achten. Zunächst was die Fallgestaltung betrifft: Ich versuche auf Stereotype zu verzichten, Frauen vorkommen zu lassen, auf geschlechtergerechte Sprache zu achten und lebensnahe sowie diverse Sachverhalte zu wählen. Außerdem ist mir gerade in den unteren Semestern wichtig, die Angst zu nehmen und ein Klima zu schaffen, was ich als Studentin immer vermisst habe: Also einen Raum zu schaffen, der fehlerfreundlich, inklusiv und mit flachen Hierarchien ausgestattet ist. Das ist mir wichtig. Dazu gehört auch, gewisse Dinge (vor allem die Grundannahmen des Zivilrechts) zu hinterfragen, bei denen oft suggeriert wird, man müsse sie stupide lernen, ohne zu wissen warum.

Dana: Auch mich treibt der Versuch an, es etwas besser zu machen. Gleichzeitig erkenne ich natürlich an, dass ich gewissermaßen Teil des Systems bin und damit der Handlungsspielraum ein Stück weit eingeschränkt ist. Als Lehrende finde ich es daher auch wichtig, mich dafür einzusetzen, dass sich im Rahmen des Möglichen Dinge verändern. Auch mir geht es darum, kritische Reflexionsräume zu eröffnen und die Möglichkeit zu geben, kritisch über Recht zu sprechen. Dazu gehört auch, Strukturen der Ausbildung kritisch zu hinterfragen. Letztlich geht es mir darum, den Erkenntnisgewinn, den ich erst gegen Ende des Studiums hatte, zu thematisieren – auch um den Studierenden das Gefühl zu vermitteln, dass wir darüber sprechen können. Gleichzeitig ist es wichtig, die Vorstellung von dem Objektivitätsmythos des Rechts zu entzaubern, also die Vorstellung, es gäbe eine objektive Lösung eines Falls. Es geht mir darum, das stärker zu kontextualisieren, zu hinterfragen und auch dafür zu sensibilisieren, dass Stereotype etwas sind, wovon man sich in der juristischen Arbeit nicht ganz freimachen kann. Mir geht es deshalb darum zu vermitteln, dass es eine gute Juristin oder einen guten Juristen ausmacht, mit einer gewissen Selbstreflexion an Fälle heranzugehen. Daneben ist mir aber auch noch etwas anderes wichtig. Mir haben in der juristischen Ausbildung nicht nur Frauen als Vorbilder gefehlt, sondern auch Personen, die gezeigt hätten, dass man auch als Arbeiterkind als Juristin etwas erreichen kann. Darüber wird viel zu selten gesprochen, deshalb möchte ich nicht hinterm Berg halten, dass ich die erste in meiner Familie bin, die studiert hat. Die Lebensrealität, sich mit vielen Nebenjobs durchs Studium zu kämpfen, ist mir bekannt und deshalb habe ich Verständnis dafür. Es entsteht im Jurastudium schnell der Eindruck, dass nur diejenigen erfolgreich sein werden, die Kinder von Anwält*innen oder Professor*innen sind und ein gewisses Grundverständnis für den akademischen Betrieb mitbringen.

Welche Themen sollten in der juristischen Ausbildung eine größere Rolle einnehmen?

Dana: Ich bin der Meinung, dass Gender- und Diversitykompetenz stärker in der juristischen Ausbildung verankert werden sollten, zum Beispiel im Bereich der Schlüsselkompetenzen. Persönlich hätte ich mir mehr Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsrecht gewünscht. Dieser Wunsch ist aber natürlich auch sehr stark durch meine eigenen Interessen geprägt. Wichtiger noch finde ich eine Stärkung der Grundlagenfächer in der juristischen Ausbildung, die viel zu kurz kommen neben den dogmatischen Fächern.

Selma: Dem stimme ich zu! Zudem sollte Dogmatik stets kontextualisiert und geschichtlich eingeordnet werden – das hilft auch bei der didaktischen Aufarbeitung des Wissens.

Viele Eurer Aktivitäten sind aus Netzwerken entstanden. Welchen Stellenwert hat Vernetzung für Euch? Welche Rolle spielt Solidarität dabei?

Dana: Den zweiten Teil der Frage finde ich gut, denn es ist so: Wo immer es geht, versuche ich Kolleg*innen zu vernetzen. Daraus sind schon tolle Freundschaften und spannende Projekte entstanden. Deshalb könnte man wohl sagen, dass ich eine Netzwerkerin bin. Gleichzeitig ist mein Anliegen bei diesen Aktivitäten weniger strategischer und egoistischer Natur. Es bereitet mir schlicht Freude, Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen und solidarisch zusammenzuarbeiten. Das gegenseitige Unterstützen ist mir hierbei besonders wichtig. Insofern geht es mir also weniger um das Netzwerken um des Netzwerks wegen, sondern darum, Bündnisse zu schmieden und konkret etwas bewegen zu können. Diese produktive Art des Netzwerkens, von der alle profitieren können, hat einen hohen Stellenwert für mich.

Selma: Auch ich habe gewisse Vorbehalte gegenüber dem Begriff. Am Ende ist es aber so, dass man durch Netzwerke ungemein lernen, Inspiration gewinnen und gemeinsam Dinge bewegen kann. Gerade meine Erfahrungen auf dem FJT und beim djb haben mir gezeigt: In diesen Netzwerken bin ich nicht alleine mit meinen Beobachtungen und Ideen, sondern kann mich mit anderen austauschen. Daraus ziehe ich die Motivation und den Mut, Probleme auch wirklich anzugehen und zu versuchen, die Dinge zu verändern. Das geht nur gemeinsam! 

Welche Juristin hat Euch so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Selma: Ich möchte gerne die Rechtsanwältin Lucy Chebout vorschlagen. Unser Engagement im Arbeitsstab Ausbildung des djb ist ohne Lucy nicht denkbar. Für mich persönlich war sie zudem eine wichtige und empowernde Person, die die Dinge einfach angeht und dabei sagt: „Think big!“. Sie ist eine wahnsinnig kluge Person, die auch aus Ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin in einer großen Kanzlei heraus feministische Anliegen verfolgt. Aktuell klagt Lucy (auch strategisch) das Recht von lesbischen Eltern durch, als Mütter anerkannt zu werden (#PaulaHatZweiMamas).

Dana: Mir fallen sehr viele Vorbilder und tolle Juristinnen ein, die mich in ganz vielfältiger Art und Weise inspiriert haben. Zum Glück sind schon viele dieser Frauen bei breaking.through porträtiert. Ich möchte gerne Professorin Margarete Schuler-Harms vorschlagen, Professorin für Öffentliches Recht an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, die ich deshalb toll finde, weil sie zu sehr vielen spannenden rechtswissenschaftlichen Fragen arbeitet und eine wahnsinnig unterstützende und inspirierende Mentorin und Chefin ist. Vor allem ihre Gelassenheit fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Herzlichen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 5. Februar 2021. Das Interview führte Susann Aboueldahab.

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