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Tina Bieniek im Porträt

„Mein Tipp: Sich Zweifel zugestehen und ehrlich zu sich selbst sein.“

Tina Bieniek, Partnerin bei Friedrich Graf von Westphalen in Freiburg, über den Wechsel ihrer Rolle zur Partnerin, das Finden der Work-Life Balance und den Umgang mit eigenen Fehlern und Zweifeln.

Frau Bieniek, Sie sind seit 2016 Rechtsanwältin im Handels- und Gesellschaftsrecht und im Stiftungsrecht bei Friedrich Graf von Westphalen (FGvW) in Freiburg. Wie sieht Ihr Alltag als Wirtschaftsanwältin aus?

Mein Alltag besteht viel aus beratender Tätigkeit. Ich bin relativ wenig vor Gericht, dafür aber umso mehr in Telefon- und Videokonferenzen, in Besprechungen und dazwischen am Schreibtisch. Unsere Kanzlei berät viele mittelständische Unternehmen und die dort tätigen Personen, viele von ihnen auch immer wieder. Meine Tätigkeit ist abwechslungsreich: Ich unterstütze bei der Gründung oder Umstrukturierung von kleinen und großen Gesellschaften, bereite Gesellschafterbeschlüsse vor oder helfe Mandant*innen bei Gesellschafterstreitigkeiten. Einige Male im Jahr habe ich größere M&A-Transaktionen, die ich dann zusammen mit Kolleg*innen aus anderen Fachbereichen, z.B. aus dem Arbeits- oder Baurecht, betreue. Ich bin auch in der Nachfolgegestaltung tätig und begleite dort zusammen mit meinem Team aus dem Erbrecht Mandant*innen beispielsweise bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen an ihre Kinder oder der Errichtung einer Stiftung. Die Zusammenarbeit mit den Mandant*innen und Kolleg*innen, mit denen ich gemeinsam Strategien und Lösungen für rechtliche Probleme entwickeln kann, macht mir unheimlich viel Spaß.

Sie haben einen sehr gradlinigen Lebenslauf: Das Studium haben Sie in kürzester Zeit abgeschlossen und waren bereits mit 24 Jahren fertig ausgebildete Anwältin. Würden Sie heute rückblickend etwas anders machen?

Ich würde es genauso wieder machen! Mir hat es gutgetan, dass ich so schnell mit der Ausbildung fertig war. Es hat mir eine gewisse Sorglosigkeit gegeben. Ich war mir bewusst, noch genug Zeit zu haben, sollte ich mich noch einmal umentscheiden wollen.

Ursprünglich wollten Sie Richterin werden. Welche Punkte auf Ihrer Pro- und Contra-Liste haben Sie letztlich zu einem Berufseinstieg als Rechtsanwältin umgestimmt?

Ich war am Anfang nicht festgelegt und wollte erst einmal dem Anwaltsberuf eine Chance geben. Das hatte auch mit dem Team bei uns in der Kanzlei zu tun. Ich war schon als Referendarin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FGvW tätig. Zum Zeitpunkt meines zweiten Examens war ich bereits Teil eines Teams, das ich ungerne verlassen wollte und das mir mit den Jahren nochmals mehr ans Herz gewachsen ist. Daneben war es die Vielfalt der Anwaltstätigkeit in persönlicher und inhaltlicher Hinsicht, die mich von meinem Beruf vollends überzeugt hat. Jedes Mandat ist einzigartig. Man hat – im Büro, in Konferenzen, bei den Mandant*innen und im Gerichtssaal – Kontakt mit so vielen interessanten Menschen, die einem ihr Vertrauen schenken. Mit denen kann man ihre Ideen entwickeln und gestalten. Das finde ich am Anwaltsberuf einzigartig und großartig.

Gab es in Ihrer Karriere jemals einen Punkt, an dem Sie an dem von Ihnen gewählten Weg gezweifelt haben? Falls ja, welchen Rat haben Sie für jüngere Jurist*innen zum Umgang mit Zweifeln?​

Das finde ich eine spannende Frage. Ja, ich hatte immer wieder Zweifel und habe meine Entscheidungen hinterfragt. Das war häufig der Fall, wenn ich beruflich eine nächste Stufe erreicht und mehr Verantwortung bekommen habe. So ging es mir auch letztes Jahr bei der Frage der Partnerschaft.

Mir hat es geholfen, mich mit den Zweifeln offen auseinanderzusetzen. Häufig muss man erst mal für sich selbst realisieren, dass gewisse Punkte ein Thema sind. Über Zweifel habe ich mich mit Familie, Freund*innen und Kolleg*innen immer ausgetauscht. Manchmal habe ich auch Stellenanzeigen von anderen Arbeitgeber*innen gelesen oder ein Bewerbungsgespräch mit einer anderen Kanzlei geführt. Ich habe aber immer gemerkt, dass es mir dort, wo ich gerade bin, gut gefällt. Am Ende konnte ich daher stets neu für mich die Entscheidung treffen, zu bleiben.

Es ist wichtig, sich einzugestehen, dass es manchmal Entscheidungen im Leben gibt, die für ein paar Jahre passen und dann vielleicht nicht mehr. Dann entscheidet man sich, weiterzugehen. Das ist kein Scheitern, sondern ein Neuanfang. Mein Tipp ist daher, sich Zweifel zuzugestehen, ehrlich zu sich zu sein. Sich immer mal wieder selbst zu überprüfen. Sich zu fragen, ob die derzeitige Situation passt. Wenn das nicht mehr der Fall ist, ist es vielleicht Zeit für etwas Neues.

 
Sie sind erst 30 Jahre alt und kürzlich Partnerin geworden. Kann man eine so steile Karriere „planen“? Welche Ihrer Eigenschaften haben Ihnen dabei geholfen, in Ihrem Bereich so erfolgreich zu werden?

Nein, geplant werden kann das wahrscheinlich nicht. Jedenfalls ich habe es nicht geplant. Für mich war es immer gut, zu wissen, dass ich in meinem Beruf auch sehr glücklich sein könnte, ohne Partnerin zu sein. Das hat mir eine gewisse Entspanntheit gegeben, die sich positiv auf mein berufliches Leben ausgewirkt hat. Was mir sicherlich auch geholfen hat, war Authentizität. Ich bin im Beruf so, wie ich privat bin und finde, dass das beim zwischenmenschlichen Umgang mit Mandant*innen und Kollege*innen sehr hilft. Darüber hinaus braucht man als Partner*in meines Erachtens ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft: Das gilt sowohl für die Mandate als auch für die Fortentwicklung der Kanzlei – wenn es sein muss auch nachts oder am Wochenende. Zugleich muss man die Fähigkeit entwickeln, für sich selbst einen Weg zu finden, genug Kraft für diese Aufgaben tanken zu können.

Welche der notwendigen Fähigkeiten für die Partner*innen-Rolle mussten Sie selbst erst lernen und wie ist Ihnen das gelungen?​

Ich musste Fehlerkultur lernen. Ich war zwar im Studium keine Überfliegerin, aber ich habe vernünftige Ergebnisse bekommen. Die ersten Situationen im Beruf, in denen ich vollkommen daneben lag, waren eine große Herausforderung für mich. Ich habe mich dann mit der Thematik intensiver befasst und für mich eine Lösung gefunden. Inzwischen bin ich ganz gut darin, Fehler einzugestehen und daraus zu lernen. Im Kern versuche ich, beispielsweise im Austausch mit Kolleg*innen zu analysieren, worin der Fehler liegt und wie er entstanden ist. Danach versuche ich, den Fehler zu beheben, auch wenn das nicht immer Spaß macht. Ansonsten gestehe ich mir zu, mich einmal wirklich darüber zu ärgern – danach muss man es abhaken und ich konzentriere mich darauf, dass mir dasselbe nicht noch einmal passiert.

Was sind die größten Herausforderungen bei dem Rollenwechsel von angestellter Rechtsanwältin zur Partnerin?​ 

Das eine ist ein organisatorischer Punkt: Man hat viel mehr zu tun. Ich sitze plötzlich ständig in großen und kleinen Besprechungen, in denen es um Kanzleistrategie, Mitarbeiter*innen, die IT, Anschaffungen oder die Buchhaltung geht. Außerdem wollen Krankenkassen, das Versorgungswerk und das Finanzamt alle möglichen Zusatzinformationen. Das kommt alles zur eigentlichen Anwaltstätigkeit dazu und ist deswegen schon zeitlich eine Herausforderung.

 

Noch schwieriger finde ich den Wechsel auf der emotionalen Ebene. Obgleich unsere Kanzlei eher flache Hierarchien hat, macht der Statuswechsel zur Partner*in einen Unterschied. Man sieht sich als neue*r Partner*in einer großen neuen Verantwortung – wirtschaftlicher Art und gegenüber den Mitarbeiter*innen – gegenüber. Ich habe das besonders beim Umgang mit den Entscheidungen unserer Partner*innen realisiert: Während ich noch vor wenigen Wochen angestellte Anwältin war und die Entscheidungen aus sicherer Entfernung bewerten konnte, trage ich sie jetzt mit. Diese Umstellung passierte, zumindest bei mir, nicht durch ein Fingerschnipsen. Ich bin immer noch dabei, meine neue Rolle zu finden.

Sind Ihnen Mandant*innen oder Kolleg*innen aufgrund Ihres jungen Alters schon einmal skeptisch gegenübergetreten? Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich glaube, gerade die Kombination aus „jung“ und „Frau“ kann dazu führen, dass man manchmal unterschätzt wird. Ich hatte immer mal wieder Situationen, in denen Mandant*innen meinen Aufgabenbereich mit dem von Assistenzmitgliedern verwechselt haben. Es ist wichtig, das nicht zu ernst zu nehmen, weil es meistens nicht böse gemeint ist und sich mit der Zeit legt. Mir hat es geholfen, diesen Punkt freundlich gegenüber den Mandant*innen anzusprechen oder mir Unterstützung im Team zu holen. Ich habe vorher intern mit den Kolleg*innen abgestimmt, dass er / sie sich in gemeinsamen Terminen zurückhält, was meine Wahrnehmung durch den*die Klient*in dann stets verbessert hat.

Das Handels- und Gesellschaftsrecht ist nach wie vor ein von Männern dominiertes Arbeitsfeld. Haben Sie das Gefühl, dass an Frauen erhöhte Anforderungen gestellt werden, um in diesem Bereich ernst genommen zu werden? Wenn ja, wieso ist das so und wie sind Sie damit umgegangen?

Ja! Ich habe das Gefühl man bekommt nicht so viel Vorschussvertrauen als Frau zugesprochen, sondern muss sich das erarbeiten. Ich wünsche mir für jüngere Kolleg*innen, dass man ihnen die Kompetenz selbstverständlich(er) zuspricht. Ich halte das nicht für einen Selbstläufer. Ich bin davon überzeugt, dass man an solchen schwierigen Situationen wachsen kann. Wenn es gelingt, dass die Mandant*innen einen trotz anfänglicher Skepsis wirklich ernst nehmen, ist das ein Booster für das Selbstvertrauen.

Die Arbeit in einer Wirtschaftskanzlei ist sehr zeitintensiv. Wie sorgen Sie für genug Ausgleich, um den Kopf freizubekommen?

Mir ist wichtig, dass ich grundsätzlich abends Zeit für Freund*innen und Familie habe. Ich habe immer klar kommuniziert: Ich arbeite gerne und auch gerne viel, aber ich möchte mir Freiheiten nehmen können. Wenn ich am Nachmittag beispielsweise mit meinem Patentkind verabredet bin, dann steht dafür ein Termin im Kalender. Ich bin erst danach wieder erreichbar. Es macht mich glücklicher, wenn ich weiß, dass ich die privaten und beruflichen Themen, die mir wichtig sind, in meinem Tag unterbringen kann. Wenn unter der Woche etwas liegenbleibt, erledige ich das am liebsten am Sonntagnachmittag auf der Couch. Das ist nicht für jeden das richtige Modell, aber für mich passt das perfekt.

Sie haben berichtet, dass Sie neben dem Handels- und Gesellschaftsrecht auch noch einen etwas exotischeren Schwerpunkt eingeschlagen haben, das Stiftungsrecht. Wie sind Sie zu diesem Schwerpunkt gekommen? Was begeistert Sie am Stiftungsrecht?

Ich kam zum Stiftungsrecht wie die Jungfrau zum Kinde. Es ging mit einer stiftungsrechtlichen Anfrage los und es wurden im Laufe der Zeit immer mehr. Solche Anfragen sammeln sich ja häufiger bei den Personen, die etwas Ähnliches schon einmal beraten haben. Das Stiftungsrecht hat für mich persönlich gut gepasst, weil ich mich für gemeinnützige Projekte auch privat interessiere.

Die Mandant*innen schätze ich am Stiftungsrecht enorm. Man berät unglaublich engagierte Persönlichkeiten, die in Stiftungen tätig sind oder die vorhaben, eine Stiftung zu errichten. Sie haben tolle Visionen oder wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben. Teilweise sprudeln sie vor Ideen oder teilen mit mir als ihrer Anwältin ganz persönliche Eindrücke und Erfahrungen. Das ist menschlich sehr bereichernd.

Aus fachlicher Seite liebe ich den Perspektivwechsel, den es im Stiftungsrecht gibt. Bei Errichtung der Stiftung hat man viele Gestaltungsfreiheiten, ähnlich wie im Gesellschaftsrecht. Man kann Stiftungsorgane schaffen sowie den Zweck und die Frage, mit welchem Vermögen die Stiftung ihren Zweck wie erfüllen soll, vielfältig gestalten. Sobald die Stiftung in der Welt ist, ändert sich die Perspektive: Fast jede Änderung muss ausführlich begründet und gestaltet werden. Teilweise fühlt man sich wie eine Detektivin: Wenn man beispielsweise erklären muss, dass eine Änderung der Satzung dem hypothetischen Willen des / der vor fünfzig Jahren verstorbenen Stifter*in entspricht. Diese Punkte machen die Beratung von Stiftungen und Stifter*innen abwechslungsreich und bereiten mir viel Freude.

Viele Frauen mit Karrierewunsch beschäftigt zeitgleich die Frage, wie dieser mit einem Kinderwunsch zu vereinbaren ist. Ergibt es nach Ihren Beobachtungen Sinn, hier – sofern es die Natur zulässt – einen genauen Plan zu haben?

Die Wahrheit liegt meines Erachtens dazwischen. Einen festen Plan zu haben, kann sehr unter Druck setzen. Dreißig ist häufig ein Alter, ab dem wir sagen: Ich möchte jetzt ein Kind haben. Wenn es auf Anhieb nicht funktioniert, ist das nicht leicht. Diese Planung kann einen deswegen mehr unter Druck setzen, als es sein müsste. Umgekehrt ist es in unserem Beruf auch nicht von Vorteil, wenn man sich über das Thema gar keine Gedanken macht.

 

Ich persönlich bin zu dem Entschluss gekommen: Wenn ich Kinder kriege, dann freue ich mich – aber wenn das noch dauert oder überhaupt nicht funktioniert, dann ist mein Leben auch schön. In der Phase befinde ich mich jetzt gerade.

Welchen Rat würden Sie Ihrem jüngerem Ich geben?

 

Ich finde die Frage unglaublich schwierig. Ich bin jetzt im Großen und Ganzen sehr zufrieden mit dem Leben, das ich führe und mit dem Menschen, der ich über die letzten Jahre geworden bin. Deswegen möchte ich im Nachhinein nichts ändern. Meinem jüngeren Ich würde ich raten, das Leben mit dem Wissen auf sich zukommen zu lassen, dass nicht immer alles perfekt läuft, aber am Ende trotzdem alles gut wird.

 

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieson sollte? Wieso?

Ich hatte nie ein weibliches Juristinnen-Vorbild. Eine Frau, die ich sehr bewundere, ist meine Kollegin Meike Kapp-Schwoerer, die mit mir Partnerin bei FGvW im Handels- und Gesellschaftsrecht geworden ist. Sie hat ein Kind, arbeitet deswegen in Teilzeit und bekommt die Kombination unglaublich gut hin. Das beeindruckt mich.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Freiburg / Hamburg, 8. Februar 2022. Das Interview führten Sita Rau und Lina Runge.

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