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Prof. Dr. Sibylla Flügge im Porträt

„Als Feministin bin ich verbunden mit allen

Bewegungen, die sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einsetzen.”

Prof. Dr. Sibylla Flügge, Professorin im Ruhestand an der Frankfurt University of Applied Sciences im Fachgebiet „Recht der Frau“, Mitgründerin und Redakteurin der „feministischen Rechtszeitschrift STREIT“ über ihren Einsatz für Frauenrechte.

Liebe Frau Professorin Flügge, Sie waren von 1994 bis 2015 Rechtsprofessorin an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Hätten Sie das bereits für möglich gehalten, als Sie 1969 begonnen haben, Jura zu studieren?

Damals war das vollkommen ausgeschlossen! Zum einen gab es an der Frankfurter Universität noch gar keine Juraprofessorin, in ganz Westdeutschland gab es glaube ich drei. Es gab auch sonst keine Wissenschaftlerinnen an der Fakultät, an die ich mich erinnern könnte – Ilse Staff, die 1971 in Frankfurt einen Ruf erhielt, kannte ich in der Zeit nicht. Von den Studierenden waren 10 % Frauen. Zum anderen wurden Fachhochschulen damals erst gegründet. Davon abgesehen war ich zu Beginn meines Studiums politisch linksradikal aufgestellt und wurde dann schnell feministisch. Wir hatten damals eine klare Haltung gegen den Staatsdienst. Die Wissenschaft kam theoretisch schon in Frage, aber eben nicht für Frauen. Im Grunde gab es nur ein Berufsziel für mich: Engagierte, politisch tätige Rechtsanwältin.

 

Das Fachgebiet Ihrer Professur war das „Recht der Frau“. Wie kam es dazu, dass in den 1990er Jahren eine ausdrücklich feministisch lautende Professur ausgeschrieben wurde?

Das hatte auch mit der Studentenbewegung zu tun. Die Fachhochschule in Frankfurt (Anm. der Redaktion: Die FH wurde 2014 in Frankfurt University of Applied Sciences umbenannt) wurde Anfang der 1970er Jahre gegründet und die Professoren und wenigen Professorinnen am Fachbereich Sozialarbeit stammten größtenteils aus den damaligen linken Gruppen. Einer von ihnen, Ulrich Stascheit, war im Studium mein Tutor gewesen. Als Anfang der 1990er Jahre zum ersten Mal nach langer Zeit drei Juraprofessuren ausgeschrieben wurden, hat er die Chance ergriffen zu sagen: Eine davon soll mit einer Frau besetzt werden! Um das zu erreichen, musste die Ausschreibung aber so eng gefasst werden, dass überhaupt nur Frauen dafür in Betracht kamen. Hätten Männer um die Stelle mitkonkurrieren können, wäre klar gewesen, dass ein Mann die Stelle bekommt. Stascheits Idee war es, die Professur als „Recht der Frau“ auszuschreiben. Das konnte auch gut begründet werden: Frauenarbeit war in unserem Fachbereich damals schon ein großes Thema. Dafür brauchte man eben auch Rechtskenntnisse.

Was waren klassische Rechtsfragen, die Sie während Ihrer Zeit dort bearbeitet haben?

Zu Beginn waren das im Wesentlichen Fragen zur Reproduktion, z.B. Rechtsfragen zum Schwangerschaftsabbruch, zur Mutterschaft und zur Sterilisation. Weitere Themen waren die soziale Sicherung von Frauen, das Familienrecht und Gewaltschutz, d.h. sexuelle Gewalt und Gewalt in Beziehungen. Später kam das Antidiskriminierungsrecht dazu.

Als Professorin bzw. auch sonst als Juristin ist man häufig „allein unter Männern“ und dadurch immer wieder Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt. Was raten Sie anderen Frauen, um sich hiervon nicht unterkriegen zu lassen?

Da hilft nur frauenpolitisches Engagement! Zum einen, um Strukturen verändern zu können, aber auch zur Vernetzung mit anderen engagierten Frauen. Diese Vernetzung hilft enorm, Frustrationen zu bekämpfen oder sich von Diskriminierungserfahrungen nicht unterkriegen zu lassen. In dem Moment, in dem man sich mit Gleichgesinnten – aber eben auch gleich Betroffenen – vernetzt, erfährt man sehr viel Rückenstärkung.

Sie haben berichtet, dass Sie in den 1980er Jahren zeitweise als Anwältin tätig waren, sich die Tätigkeit für Sie aber nicht mit der Erziehung Ihrer zwei Kinder vereinbaren ließ. Welche Hindernisse sind Ihnen konkret begegnet?

Als mein erstes Kind 1977 auf die Welt kam, signalisierten mir Freundinnen, die bereits als Anwältinnen tätig waren, dass sich diese Tätigkeit nicht so mit Kindern vereinbaren lasse und dass man davon kaum leben könne, auch wenn man mehr als Vollzeit arbeite. Ich wollte aber mindestens ein Existenzminimum verdienen können, um nicht von meinem Lebenspartner abhängig zu sein. Damit war für mich der Traum vom politisch engagierten Anwältinnenbüro ausgeträumt. Ich suchte also eine Anstellung, aber normale Kanzleien wollten damals keine Frauen einstellen und NGOs suchten damals noch keine Juristinnen. Auf dem Arbeitsamt hörte ich immer wieder: Sie wollen keine Frau, sie wollen keine Frau, sie wollen keine Frau. Ich suchte zudem eine Teilzeitstelle, mittlerweile hatte ich nämlich zwei kleine Kinder. Teilzeitstellen gab es für Juristinnen aber ohnehin nicht. Es lief also darauf hinaus, dass ich dreimal ABM-Stellen als Anwältin bekam (Anm. der Redaktion: ABM-Stellen waren Stellen für Langzeitarbeitslose. Sie wurden ein Jahr vom Staat finanziert.).

Nach einer Weile habe ich dann begriffen, dass die Anwaltschaft nicht wirklich meinem Charakter entspricht und dass ich eigentlich lieber in die Wissenschaft gehen würde.

Von dem, was Sie mir bisher erzählt haben, schätze ich Sie als eine Frau ein, die sich mit diesen Gegebenheiten nicht zufrieden gibt, sondern sie ändert. Was haben Sie gegen die Hindernisse unternommen, um für sich eine Art von Vereinbarkeit zu schaffen und welche Erfahrungen können Sie hier an andere Frauen weitergeben?

Selbsthilfe! Bald nach der Geburt meiner Tochter 1977 habe ich mit Anderen einen Kinderladen gegründet. Kinderkrippen, in denen man ein Kind gerne abgegeben hätte, oder gar einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gab es nicht. Darüber hinaus war es eine große Hilfe, sich mit anderen Eltern zu verbünden und sich so die Möglichkeit der gegenseitigen Entlastung zu schaffen. Und es braucht ein langfristig angelegtes politisches Engagement! So habe ich als Frauenbeauftragte am Abbau von Hürden für Frauen im Bereich der Hochschulen gearbeitet und als Redakteurin der „feministischen Rechtszeitschrift STREIT“ an der Verbreitung feministischer Rechtspolitik.

Im Jahr 1983 haben Sie die feministische Rechtszeitschrift STREIT mitgegründet und Sie sind heute noch deren Mitherausgeberin. Was war Ihre Intention für die Gründung und welchen Leser*innenkreis wollten Sie mit der Zeitschrift erreichen?

 

Damals waren alle juristischen Fachzeitschriften fest in Männerhand. Das bedeutete, dass juristische Frauenthemen dort überhaupt nicht vorkamen. 1978 haben wir angefangen, uns als Juristinnen zu organisieren – zunächst 1978 bis 1984 als „Jurafrauentreffen“. Ab 1985 wurde das dann in „Feministischer Juristinnentag“ umbenannt, der 2022 zum 46. Mal stattfand. 1983 gab es schon in etlichen Städten feministische Anwältinnenbüros, die speziell Frauen mit ihren frauenspezifischen Anliegen vertreten haben. Sie waren dann auch unsere wichtigste Zielgruppe. Unser Ziel war es, ein seriöses Organ zu haben, das Rechtsforderungen und Rechtstheorie aus feministischer Perspektive darstellen kann und zu deren Entwicklung beitragen kann. Das sollte auch für die Weiterentwicklung des Rechts durch die Rechtsprechung gelten. Mit dem Abdruck innovativer Urteile, durch die Frauenrechte bestärkt werden, sollen Anwältinnen bei der Rechtsdurchsetzung in gerichtlichen Verfahren unterstützt werden.

Bei einem Blick in die STREIT fällt auf, dass viele Themen aus den Anfangsjahren der Zeitschrift auch heute noch aktuell sind, z.B. Abtreibung, Reproduktionsrechte, Diskriminierung im Arbeitsleben oder Gewalt gegen Frauen. Warum haben sich die Themen über die Jahre scheinbar nur wenig verändert? 

Es geht hier um Traditionen, die sehr, sehr alt sind. Ich würde das mit dem Wurzelsystem der Waldbäume und den dazugehörigen Pilzen und Insekten vergleichen. Was auf der Oberfläche wahrnehmbar ist, wird über ein komplexes Geflecht von kaum sichtbaren und unterirdischen Strukturen gesteuert. Wir verstehen erst langsam, wie komplex und ineinander verwickelt das Recht in allen Bereichen an diesem System mitwirkt, welches dann auf der Oberfläche zum Entstehen des Gender-Pay-Gap oder zu Gewalt in Beziehungen beiträgt.

In den 1970er Jahren waren Sie eine der ersten Akteurinnen der „Neuen Frauenbewegung“ und seither organisieren Sie in verschiedenen Funktionen Veranstaltungen für Frauen, z.B. auch den Feministischen Juristinnentag 2023 in Frankfurt. Was ist so gewinnbringend daran, wenn Frauen sich nur unter sich treffen?  

Frauen bzw. Menschen, die als Frauen sozialisiert wurden, haben bestimmte gemeinsame Erfahrungen gemacht. Über diese Erfahrungen können sie sich schnell verständigen und daraus auch sehr schnell das gemeinsame Interesse an Veränderung entwickeln. Wenn Frauen unter sich sind, ersparen sie sich viele weitläufige Erklärungen und vielleicht sogar Rechtfertigungen für das, was sie erleben und verändern wollen. Hinzu kommt wieder eines der tief verwurzelten Probleme: Wenn Frauen und Männer im gleichen Raum sind, fangen sie häufig an, traditionelle Geschlechtsrollen auszuleben („doing gender“). Schnell entsteht dann eine Konkurrenz zwischen Frauen, während Männer versuchen sich in den Mittelpunkt zu spielen. Solche Ablenkungen sind lästig!

Ich gehöre zur Generation der Frauen, die in den 1970er Jahren erlebt hat, dass ein Zusammensein von Frauen einen gigantischen Unterschied macht. Wir wussten nicht, wie stark wir von diesen Geschlechterrollen beeinflusst sind, obwohl wir uns alle wahnsinnig emanzipiert fühlten und die Männer um uns herum auch vergleichswiese emanzipiert waren. Ich glaube, so geht es heute auch noch vielen jungen Frauen. Sie denken erstmal, dass sie doch gut mit Männern zurechtkommen und reine Frauentreffen gar nicht brauchen. Ich mache aber die Erfahrung, dass bei den „Feministischen Juristinnentagen“ Frauen immer wieder hinterher sagen: „Ach, das war großartig. Ich brauche das nicht jeden Tag, aber ein Wochenende im Jahr ist das einfach ganz toll!“ Und für manche Frauen ist es dann auch mehr als ein Wochenende…

Politisch sind Sie links verortet (ursprünglich in der 68er-Bewegung) und auch der Feminismus wird von der Gesellschaft häufig links zugeordnet. Ist das nicht eigentlich hinderlich für die Erreichung feministischer Ziele, die ja Frauen aller politischen Richtungen gleichermaßen betreffen und die ggf. am Ende nur über eine Vernetzung über Parteigrenzen hinweg erreicht werden können? 

Wir müssen uns erst mal klar machen, dass rechte Parteien und rechte Bewegungen explizit gegen Frauen sind, oft explizit auch Frauen hassend. Dort gibt es aber auch Frauen, die von sich behaupten, sie seien total emanzipiert und hätten in ihrer Bewegung ganz viel zu sagen. Das gab es schon im Nationalsozialismus, wo den Frauen ja faktisch sehr, sehr viele Rechte genommen wurden. Wenn wir die Rechtsradikalen außen vorlassen, dann ist es tatsächlich so, dass sich Frauen parteiübergreifend immer wieder an bestimmten frauenspezifischen Punkten zusammenschließen und auch gemeinsam abstimmen, beispielsweise im Bundestag oder in Verbänden.

Ich würde Feminismus und die Befreiung von Frauen aber immer weiter fassen. Nämlich so, dass es eben Freiheit bedeutet – und zwar Freiheit für alle. Wenn Frauen nicht diskriminiert sein wollen, dann müssen sie begreifen, dass Diskriminierung von Frauen mit Diskriminierung von allen möglichen Gruppen zusammenhängt, also allen, die nicht der Norm der männlich-weißen Angehörigen der herrschenden Klasse entsprechen. Wenn wir uns da auseinanderdividieren lassen, sind wir von vornherein schon schwach. Trotzdem müssen alle Gruppen ihren Raum haben, wo sie ihre spezifischen Interessen zur Geltung bringen und überhaupt erst entwickeln können. Feminismus ist eine eigene politische Bewegung, die allerdings viele Schnittmengen mit anderen sozialen Bewegungen hat, deren Ziel ebenfalls eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ist.

Im Jahr 2017 wurden Sie mit dem Tony-Sender-Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet, einer Ehrung für Frauen, die sich innovativ und in herausragender Weise für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern eingesetzt haben. Rückblickend betrachtet, welche Ihrer Initiativen war aus Ihrer Sicht Ihr größter Beitrag zur Förderung von Gleichberechtigung? 

Die größte Errungenschaft war, dass ich seit meinem Studium kontinuierlich an den Themen gearbeitet habe, die jeweils für meine Lebensphase und in meiner Bezugsgruppe wichtig und in meiner Berufstätigkeit realisierbar waren. Das fing in den frühen 1970er Jahren bei den Demonstrationen gegen § 218 StGB an, danach kämpften wir für die Durchsetzung besserer Bedingungen in der Geburtshilfe und schließlich ging es um Kampagnen gegen die Medikalisierung der Wechseljahre. Ich setzte mich ein für die Entwicklung und Institutionalisierung von Frauenforschung – zunächst außerhalb der Hochschulen – und lange Zeit auch für eine Verbesserung der Berufungsbedingungen und bessere Chancen von Frauen in der Wissenschaft. Die Gründung von Krabbelstuben für meine eigenen Kinder setzte sich fort im Einsatz für bedarfsgerechte Kinderbetreuung an Hochschulen, die wir in Hessen ganz gut durchsetzen konnten. Und in all den Jahren ging es nicht zuletzt im Rahmen der „STREIT“ und der Organisation der „Feministischen Juristinnentage“ um den Einsatz für die Entwicklung und Verbreitung feministischer Rechtstheorie, Rechtspraxis und Rechtspolitik.

Allgemein gesprochen folgten diese Engagements dem Grundsatz „das Private ist politisch“.

Was lebensgeschichtlich an Problemen für mich anstand, wurde jeweils Zentrum meiner politischen Arbeit.

In all den Jahren habe ich die Entstehung immer neuer Gruppen erlebt, die gegen ihre Diskriminierung kämpfen. Dabei wurde mir klar: Als Feministin bin ich verbunden mit allen Bewegungen, die sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einsetzen.

Welche Empfehlungen möchten Sie jungen Juristinnen geben, die heute eine wissenschaftliche Karriere anstreben? 

Denken Sie zunächst intensiv über Folgendes nach: Was engagiert mich? Welches Thema liegt mir wirklich am Herzen, sodass ich Lust habe, mich ganz lange damit zu beschäftigen, und wofür bin ich auch bereit, Frust und Durststrecken durchzustehen? Dann ergibt sich daraus auch eine berufliche Zukunft.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie aus Ihrer Sicht als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso? 

Als erstes kommt mir Susanne Pötz-Neuburger in den Sinn. Sie war eine der Gründerinnen des ersten feministischen Anwältinnenbüros in Hamburg und die erste, die gesagt hat, dass die Anwältinnentätigkeit mit Kindererziehung vereinbar sein muss. Das kam leider ein bisschen zu spät für mich (lacht).

Als zweite würde ich die Nachfolgerin meiner Professur Sarah Elsuni nennen. Wir haben lange zusammengearbeitet, z.B. auch an einem Forschungsprojekt über die Erfolge der Frauenbewegung in der Rechtspolitik. Über sie kann ich den Kontakt zu den neueren feministischen rechtstheoretischen Überlegungen und Entwicklungen herstellen.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Passau / Frankfurt, 11. Oktober 2022. Die Fragen stellte Marie-Katrin Schaich.

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