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Kasia Mol-Wolf

Dr. Kasia Mol-Wolf im Porträt

„Es ist wichtig zu wissen, was für einen zu einem erfüllten Leben dazugehört.“

Dr. Kasia Mol-Wolf, Gründerin der Inspiring Network GmbH und Verlegerin der Frauenzeitschrift EMOTION, erzählt über ihren Weg vom Jurastudium in die Verlagsbranche und die große Bedeutung, sich für den eigenen Weg und die eigenen Rechte einzusetzen.

Kasia, Du bist ein tolles Beispiel dafür, was man mit Jura alles machen kann. Magst Du uns auf Deine wesentlichen Stationen mitnehmen?

Ich habe Jura studiert, um eine gute Basis für diverse Tätigkeiten zu schaffen. Das reichte als Motivation aber nicht so richtig: Nach dem ersten Examen habe ich mit dem Gedanken gespielt, einfach aufzuhören, weil es wirklich nicht meins war. Ich wusste schon, dass das Verlagswesen mich reizte. Deshalb rief ich bei
Gruner + Jahr an, um mich zu bewerben. So schnell sollte es aber nicht gehen: Man hat mir sehr deutlich gesagt, dass ich mein Studium in Gänze abschließen solle – ohne zweites Staatsexamen gehe nichts. Daraufhin habe ich mich schweren Herzens entschlossen, Jura zu Ende zu bringen. Nach der Promotion und dem zweiten Examen habe ich als Assistentin der Geschäftsführung bei Gruner + Jahr angefangen. Ein Jahrzehnt habe ich diese Tätigkeit ausgeführt, bis sich mir vor nahezu genau elf Jahren die Chance bot, meinen Traum zu erfüllen: Ich habe dem Verlag den Zeitschriftentitel EMOTION im Wege eines Management-Buyout abgekauft. Das war mein Weg in die Selbstständigkeit als Verlegerin.

In dem Moment war es gar nicht unbedingt der Mut, der das Steuer in der Hand hatte: Ich habe in mich hineingespürt und dann war es die bewusste Entscheidung für das, was ich im Leben wirklich machen möchte.

War für Dich das Jurastudium quasi ein "Mittel zum Zweck"? Wie viel Erfüllung hast Du im Studium gefunden?

Es war nicht so, dass ich schon von Beginn des Studiums an genau wusste, was ich machen wollte. Ich konnte mir auch Kunstgeschichte vorstellen, aber mein Stiefvater hat mich auf Jura als gute Basis hingewiesen. „Damit kannst du alles Mögliche machen, Kasia!“ Recht hatte er, und da ich schon immer gern schreiben mochte, war es dann eine beschlossene Sache.

Bis zu den Probeklausuren für das Examen war ich eigentlich ganz zufrieden, aber dann musste ich feststellen, dass das nicht unbedingt mein Steckenpferd war. Andere im Studiengang konnten sich für Falllösungen begeistern und waren mit Feuer und Flamme dabei. Bei mir war das anders. 

Als Staatsanwältin oder Anwältin habe ich auch in den Stationen gemerkt, dass das für mich wenig mit Begeisterung verbunden war.

Was bzw. wer hat Dir geholfen, damals reflektierter in das Examen zu gehen und dieses Ziel pragmatisch anzugehen?

Ich habe gelernt, mich selbst aufgrund von den Zeichen, die kommen, besser einzuschätzen. Anfangs habe ich mein eigenes Können schlecht eingeschätzt und dadurch auch teilweise überschätzt. Das Jurastudium beinhaltet einfach eine große Stoffmenge und nur mit „gesundem“ Halbwissen kommt man da nicht durch. Im. Gegenteil, dieses Halbwissen war wirklich gefährlich in den Falllösungen.

Als ich den Brief auf der Post abholte und feststellte, dass ich im Ersten Staatsexamen durchgefallen bin, habe ich das zuerst nicht wahrhaben können. Da habe ich mich erst einmal vergraben und bin zwei Tage nach Zürich gefahren, um Abstand zu bekommen. Ich hatte dann die Chance, acht Wochen später mit meinen Kommiliton*innen erneut zu schreiben und habe dann beschlossen, dass ich das jetzt im zweiten Anlauf schaffen muss. Also, volle Kraft voraus! Das habe ich dann, Gott sei Dank, geschafft.

Sogar im Nachhinein denke ich manchmal: Es war gut, dass ich gemerkt habe, dass man sich in diesem Studium wirklich hinsetzen muss. Gerade, wenn man merkt, dass etwas einem nicht „zufliegt“, dann muss man sich umso mehr bemühen. Klar, hat es etwas mit Verstand zu tun, aber eben auch mit Fleiß. 

Für mich war es wichtig, dieses Studium und das Examen durchzuziehen. Denn mein Traum, Verlegerin zu werden, kam immer wieder hoch in mir. Als ich mit dem ersten Staatsexamen durch war, kam gerade bei Gruner & Jahr eine neue Zeitschrift auf den Markt, „Marie Claire“. Ich rief dann beim Verlag an, um mich nun mit abgeschlossenem Studium zu bewerben. Mir wurde dann relativ schnell mitgeteilt, dass beim Jurastudium das zweite Staatsexamen eben Voraussetzung für eine Einstellung sei – insofern musste ich dann auch da noch durch (lacht).

Für das zweite Examen hat mir geholfen, dass ich unbedingt diese Ausbildung abschließen wollte. Für mich gab es einfach dieses persönliche Schreckensszenario, jahrelang studiert und dann dennoch keinen Abschluss zu haben. Am zweiten Staatsexamen führte für mich kein Weg vorbei, um meinen Lebenstraum der Arbeit als Redakteurin im Verlag zu erreichen. Das hat mich enorm motiviert. 

Die „Überlebensstrategie“ in dieser Zeit war die Promotion. Ich habe immer schon gerne geschrieben, recherchiert und mich kreativ betätigt. Daher habe ich mich im Referendariat beurlauben lassen, um die Promotion zu machen.

Inwiefern sind der (umfassende) juristische Hintergrund und die Promotion jetzt für Dich noch hilfreich?

 

Seien wir ehrlich, der Doktortitel ist am meisten Wert im Skiurlaub in Österreich (lacht). Die Promotion war zu Anfang sinnvoll für mich als Quereinsteigerin in der Medienbranche. Mittlerweile bin ich eher überrascht, wenn bei Veranstaltungen mein Titel benannt wird; die Medienbranche ist eher locker.

Das Jurastudium an sich war das Lernen des strukturierten Denkens. „Wie gehe ich an eine Aufgabe ran?“ Dass man ein Problem zuerst analysiert und sich einen Plan macht, bevor man losprescht. Dieses logische Denken und die Herangehensweise, eine Frage von verschiedenen Seiten zu beleuchten, um sich eine Meinung zu bilden, ist sehr wertvoll für mich. Ich finde es sehr wichtig im Leben zu wissen, wie ich zu Dingen stehe und welche Haltung ich einnehme. Dabei hat das Jurastudium sehr geholfen. So kann ich mich für meine eigenen (Freiheits-)Rechte aktiv einsetzen.

Aber ich würde es nie wieder studieren (lacht)! Es vermittelt ein sehr solides Grundwissen, ist dafür aber gleichzeitig ein sehr langes Studium.

In meinem Alltag als Unternehmerin sehe ich immer wieder, dass man mit praktischen Kenntnissen aus unserer Branche häufig sehr weit, beispielsweise bei dem Entwerfen von Verträgen, kommt. Natürlich gibt es dann auch im Kern juristische Fragestellungen, für die man sich externen Rat einholt. Aber inhaltlich kennt man sich einfach sehr gut aus und erkennt die Stellen, die für die Umsetzung solcher Verträge wirklich relevant sind.

Ein Thema, was ich mit Dir verknüpfe, ist erfolgreiches Netzwerken. Wer kann schon von sich behaupten, von Investor*innen in kürzester Zeit 1 Million Euro als Startkapital für ihr Management-Buy-Out eingesammelt zu haben. Was sind Deine top-Tipps zum Netzwerken für junge Jurist*innen?

Damals war mir gar nicht bewusst, dass ich dieses Netzwerk hatte. Ich habe es in der Not, dieses Investment zu finden, aufgebaut. Zuerst einmal habe ich einen Plan geschrieben: „Was sind die nächsten Schritte? Wen kenne ich in meinem Bekanntenkreis, der a) viel Geld hat und b) investieren würde?“ Das war denn schnell endlich (lacht), weshalb ich eine Stufe weiter gegangen bin und mir überlegt habe, wer jemanden kennen könnte, der mich bei diesem Projekt unterstützen könnte. So habe ich mein Netzwerk gesponnen und schließlich mein Ziel erreicht.

Ich habe erst nach und nach gemerkt, dass ich im Netzwerken gut bin. Ich bin sehr neugierig und habe ein großes Interesse an Menschen und sie zusammen zu bringen. Wichtig für mich war auch zu lernen, wozu ich eigentlich mein Netzwerk benötige. Gerade in einem Unternehmen bzw. einer Branche, in der es noch nicht so viele Frauen gibt, ist es in meiner Erfahrung unglaublich wichtig, ein gutes Netzwerk an Persönlichkeiten zu haben, die ihre Erfahrungen teilen und auch als Mentorinnen fungieren.

Die nächste wichtige Frage ist: „Was für ein Netzwerk möchte ich haben? Sollen es nur Frauen aus meiner Branche sein, sollen es nur Jurist*innen sein, etc.“ Das sind viele Fragen, die man für sich klären muss. Denn Netzwerken kostet Zeit und funktioniert nur, wenn man sich auch selbst engagiert und sich traut, aktiv um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen.

Neulich hatten wir einen Instagram Talk mit Sara Nuru von „Nuru Coffee“, bei der die Leserinnen aus unserem Netzwerk „EMOTION for me“ Fragen stellen konnte. Und eine der Zuhörer*innen hat dann tatsächlich die Chance genutzt und Sara Nuru gefragt, ob sie bei ihr ein Praktikum machen könne. Wie großartig ist das! So habe ich auch einige Frauen in meinem Netzwerk kennen gelernt, indem ich bei Veranstaltungen auf sie zu gegangen bin, weil ich sie unbedingt einmal treffen wollte. Mut braucht es daher sicher auch zum Netzwerken. Dabei ist immer ein guter Einstieg, sich zu dem Thema auszutauschen, um das es bei der jeweiligen Veranstaltung ging.

Du bist bestens vernetzt in einem Bereich, in dem es nach wie vor sehr wenige weibliche Gründerinnen (nur ca. 15,7%*) gibt. Was sind Deine Erklärungen dafür, dass es so wenige Frauen im Start-up-Bereich gibt?

Ich finde diese Zahl erschreckend! Ich denke, dass hier viel damit zusammenhängt, dass Frauen dazu neigen, etwas nur dann anzugehen, wenn sie davon ausgehen, es perfekt zu können. Allein die Idee für eine Unternehmung zu haben reicht aus ihrer Wahrnehmung nicht aus, sondern sie denken, sie müssten bereits alles von der Produktentwicklung bis hin zur Buchhaltung selbst perfekt können. 

Hinzu kommt die Frage bzw. Angst, man könnte scheitern und was das Umfeld dann darüber denken könnte. Ich kenne das auch von mir selbst: Anstatt zu denken „Das ist mein Leben und mein Weg“, mache ich mir Gedanken wie „Oh Gott, ich könnte scheitern, was könnte alles passieren.“. Leider ist in Deutschland auch nach wie vor die Kultur des Scheiterns nicht gut. Man sieht so häufig in den Medien und auf Social Media nur Erfolgsgeschichten von den „Top-Unternehmern“, die alles scheinbar ohne Misserfolge geschafft haben. Dabei gibt es so viele Unternehmer*innen, die durch viele, viele Tiefen hindurchgegangen ist, in denen sie so viel mehr gelernt haben als durch die Erfolge. Es ist daher sehr wichtig, keine Angst vor dem Scheitern zu haben.

Für Frauen ist auch häufig die Frage nach der Vereinbarkeit von Kind und Unternehmertum wichtig. Nach meiner Erfahrung geht das durchaus gut. Natürlich ist es herausfordernd, aber nicht herausfordernder, als wenn man als Angestellte arbeitet. Manchmal ist es vielleicht sogar einfacher, wenn man seine eigene Chefin ist, alles gut zu planen. 

Ein großer Punkt und eine Hürde ist auch die Finanzierung. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber die letzte Zahl, die ich im Kopf habe, war, dass 93 % des Venture Capitals in männlicher Hand sind. Für Frauen wird es dadurch schwieriger, Geld für ihre Ideen zu sammeln. Deswegen braucht es auch mehr Frauen, die Fonds auflegen und Kapital verwalten und speziell weibliche Gründerinnen unterstützen möchten.

Am Ende müssen wir lernen, Dinge einfach zu probieren und nicht in der Rolle der Perfektionistin hängen zu bleiben. Das gilt nicht nur für die Gründung, sondern auch für die Rolle als Mutter und Unternehmerin und viele weitere Lebensbereiche. Überall wollen wir die Perfektionistinnen sein und alles wunderbar auf die Reihe bekommen. Das ist etwas, das ich allen mitgeben möchte: Zu perfekt zu sein ist langweilig und nützt nichts. 

Auch Du hast im Alter von 37 Jahren Deine Tochter, mit 34 Deinen Sohn bekommen. Bei Social Media reflektierst Du Deine Rolle als Mutter, Ehefrau und Unternehmerin regelmäßig sehr offen und erzählst von Deinen Glücks- und Schattenmomenten. Wie schaffen Dein Mann und Du den (gemeinsamen) Spagat zwischen allen Herausforderungen?

Manchmal denke ich, dass es jede Woche oder sogar jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung ist. Wenn alles gut geht, alle gesund sind und keine Extra-Termine dazwischenkommen, und das Betreuungssystem funktioniert, dann ist es kein Problem. Aber es wird natürlich zur Herausforderung, wenn einmal ein Meeting länger geht, oder etwas nicht wie geplant läuft. Man kann nicht alles planen und vor allem nicht perfekt machen. Es hat wahnsinnig viel mit Organisationsaufwand und Kalenderkoordination zu tun. Wir haben dabei wahnsinniges Glück, dass wir eine tolle Kinderbetreuerin und meine Schwiegermutter und meine Mutter haben, die uns unterstützen.

Ich nehme die Kinder in Notzeiten aber auch mit ins Büro. Das Wichtige für mich ist, dass ich mich bewusst für dieses Leben und die beiden Rollen als Mutter und Unternehmerin entschieden habe. Manchmal ist es total stressig und man hat diese Momente, in denen man total zerrissen wird zwischen den Rollen. Da ist es wichtig, dass man sich bewusst einlässt auf diese emotionale Hin- und Hergerissenheit, wenn man beide Rollen leben möchte. 

Aber es geht und macht Spaß, weshalb ich alle Frauen empowern möchte, es zu versuchen. Mein Learning war, dass, wenn ich mich entscheide, Angestellte oder Unternehmerin zu sein und mit meinem Partner entscheide, Kinder haben zu wollen, man sich frühzeitig Gedanken machen muss, wie man diese verschiedenen Aufgaben gemeinsam konkret umsetzen möchte, welches Modell man haben möchte. Das habe ich anfangs etwas versäumt, bin aber überzeugt, dass es hilft das zu Anfang zu machen. Dann muss man ja trotzdem noch in die Übung kommen und schauen, ob es für einen funktioniert. 

Es geht alles, man muss nur wissen, worauf man sich einlässt und das zu Anfang als Paar besprechen. 

Wann genau sollte man sich diesen Fragen stellen - bereits im Studium, bei Berufseinstieg oder geht das auch noch später?

Ich bin ja auch eher eine Spätstarterin, man könnte sagen zu spät (lacht). Ich habe mein erstes Kind mit 37 bekommen und mit 45 das zweite Kind. Es ist nur wichtig, sich als Frau nicht drängen zu lassen, aber gleichzeitig zu überlegen, dass es wichtig ist, den richtigen Partner im richtigen Alter zu finden.

Auf der anderen Seite leben wir in einer Zeit, in der es durchaus möglich ist, allein Kinder zu bekommen. Hier kann ich den Blog und Instagramkanal „Solomamapluseins“ (Anm. d. Red.: Instagram-Account von Hanna Schiller) empfehlen, auf dem man sich inspirieren kann, wie man auch allein Mutter werden kann. 

Man muss aber auch keine Kinder bekommen, um als Frau vollkommen zu sein. Die Gesellschaft übt auf uns Frauen Druck aus – unabhängig von dem gewählten Lebensweg: Auf die Mütter, die Kinder haben und arbeiten, auf die Mütter, die mit einer Frau ein Kind haben wollen und auf Frauen, die Karriere machen und keine Kinder haben wollen. Es ist wichtig für sich selbst zu wissen, was für einen zu einem erfüllten Leben dazugehört: Welche Karriere man einschlagen möchte, aber auch was sonst dazu gehören soll. Das kann ein Kind, eine glückliche Beziehung mit einem Partner / einer Partnerin, ein Hund oder vielleicht auch gar niemand sein. 

Du hast neulich in einer Rede über Deinen Werdegang gesagt, dass man seine eigenen Talente und Fähigkeiten schon früh selbst erkennen soll, anstatt darauf zu warten, dass jemand anderes "uns entdeckt". Wie war das bei Dir?

Ich glaube, ich war da am Anfang nicht so gut darin. Sonst hätte ich auch nicht Jura studiert. Sonst hätte ich viel früher bemerkt bzw. gelernt, dass ich ein viel kreativerer Mensch bin. Das habe ich mir aber schlicht nicht zugetraut. Es gibt ja so Tests, in denen man seine Stärken und Fähigkeiten herausfinden kann, die finde ich ganz großartig und mache sie immer noch sehr gerne. 

Ich habe erst durch die negative Erfahrung im Studium gemerkt, dass Jura eben nicht so ganz meins ist und dass die Richtung noch nicht stimmt. Auch später bei Gruner + Jahr war ich lange Zeit sehr glücklich mit meiner Position. Dort hatte ich einen tollen Chef, der mich gefördert hat, sodass es immer weiter ging und nie langweilig wurde. Dadurch hatte ich aber nie das Bedürfnis zu überlegen, ob ich überhaupt auf „meinem“ Weg unterwegs bin. Es gab so Runden im Verlag, viele auch sehr männerlastig, in denen man seine eigenen Ideen und Projekte vorstellen konnte. Da dachte ich immer, dass ich die am wenigsten geeignete Person dafür bin. Gerade auch für das erforderliche politische Geschick, wie man eigene Themen in einem Konzern gut voranbringt. 

Ich bin erst auf meinen Weg gekommen, als das Magazin EMOTION vom Einstellen bedroht war. Ich merkte, ich kämpfe hier für etwas, dass ich gar nicht selbst entscheiden konnte und eigentlich wollte ich das lieber selbst entscheiden. Das war die Geburtsstunde dafür, dass ich in mich hineingehört und überlegt habe, was will ich wirklich im Leben. Die Frage „Wer willst du sein“ stellen wir uns ja auch immer bei EMOTION und es ist so wichtig, dass wir alle uns diese Frage immer wieder stellen. Wenn man dann diese Frage für sich beantwortet hat, ist der nächste Schritt zu schauen, ob man dieses Leben eigentlich lebt, oder sich etwas verändern muss, um diesem eigenen Lebenswunsch näher zu kommen. 

Mein Chef hat mir damals zwei Dinge mitgegeben: Als ich eine seiner Veranstaltungen im Konzern moderiert habe, sagte er hinterher zu mir „Du, ich glaube, die Bühne macht Dir doch eigentlich Spaß.“ Das fand ich damals absurd, denn ich war so aufgeregt, dass ich das gar nicht so wahrgenommen hatte. Irgendwann später habe ich dann gemerkt, dass ich schon eine eigene Mission habe, nämlich Frauen auf ihren Weg zu bringen. Dabei macht es mir dann schon sehr viel Spaß, auf einer Bühne zu stehen. 

Er hat mir auch gesagt, ich sei in diesen Runden ein Paradiesvogel – da war ich schon zehn Jahre im Konzern und dacht mir „Das hättest Du mir auch früher sagen können!“ (lacht). Da hätte ich viel früher starten können in das Unternehmertum, aber besser spät als nie. 

Es ist eben nie zu spät. Es gibt so viele Beispiele dafür, wie etwa Greta Silver, eine Influencerin, die mit 60 noch einmal durchgestartet ist. Aber es ist wirklich nicht in Ordnung, wenn das eigene Bauchgefühl Dir sagt, dass du nicht auf dem richtigen Weg bist, und man dem dann kein Gehör schenkt. Das führt im schlimmsten Fall in den Burn-Out und Zusammenbruch. Die Zeichen, die einem der Körper sendet, darf man nicht ignorieren. 

Was hat Dir auf Deinem Weg Stärke gegeben, eben diese Zeichen nicht zu ignorieren? 

Ich hatte damals im Unternehmen selbst zwei Mentor*innen: Einmal meinen Chef und eine Anzeigenleiterin. Meine Mutter hat mir mitgegeben, dass ich immer erreichen werde, was ich erreichen möchte, wenn ich ausreichend dafür kämpfe. Dieses Kämpfen möchte ich mittlerweile nicht mehr so in meinem Glaubenssatz haben, weil wir Frauen sowieso immer so viel kämpfen und denken, wir müssten so viel Einsatz zeigen, um etwas verdient zu haben. Das ist aus meiner Sicht Quatsch. Natürlich muss man gut sein, um erfolgreich zu sein, aber sich nicht „abkämpfen“. Dann ist man manchmal zu erledigt, um zu merken, dass man sein Ziel bereits erreicht hat und ist vielleicht schon damit beschäftigt, das nächste Ziel zu erreichen.

Es kommt darauf an, zu wissen, was man erreichen möchte und darauf zu vertrauen, dass man sein Ziel auch erreichen wird. Dafür ist es wichtig, in einer Umgebung zu arbeiten, in der die eigenen Fähigkeiten zum Tragen kommen. Wenn man merkt, dass man nur damit beschäftigt ist, die eigenen Schwächen auszugleichen wäre zum Beispiel so ein Zeitpunkt gekommen, sich zu überlegen, was nicht stimmen könnte.

Es ist auch so wichtig, sich mit anderen offen auszutauschen. Je offener man ist, auch über Schwächen und schwierige Situationen zu sprechen, desto mehr öffnen sich die andern und haben Vertrauen, sich offen auszutauschen abseits der Dinge, sie super laufen. Das ist auch etwas, was wir Frauen noch mehr lernen müssen, uns in unseren Netzwerken und im Freundeskreis sich über Dinge auszutauschen, die nicht so funktionieren und sich Gedanken über die Gründe dafür zu machen. 

Deine Mutter spielt eine große Rolle in Deinem Leben, nachdem Du mit ihr aufgrund der Verfolgung der Anhänger*innen der Solidarność-Bewegung aus Polen nach Deutschland geflohen bist. Welchen Einfluss hat dieser Abschnitt Deines Lebens für Deinen weiteren Werdegang gespielt?

Dieser Lebensabschnitt war sehr wichtig für mich. Ich wäre heute nicht da, wo ich heute bin, wenn ich nicht diese Kindheit gehabt hätte. Ich habe von meiner Mutter gelernt, dass ich alles erreichen kann, wenn ich weiß, was ich will. Sie wollte raus aus dem Kommunismus – zuerst, um der Verhaftung zu entgehen - und wollte dann aber auch nicht mehr zurück gehen, sondern in Freiheit leben. 

Zum anderen habe ich gelernt, dass es immer eine Lösung gibt. Ich habe gelernt, dass man immer wieder aufstehen und neu anfangen kann. Das hat mich sehr geprägt und nimmt mir die Angst vor dem Scheitern. Natürlich bin ich auch gescheitert – das Jurastudium und Examen war nur die erste Erfahrung (lacht). Aber ich habe gelernt, dass ich selbst entscheide, ob ich wieder aufstehe und nochmal versuche oder einen anderen Weg einschlage oder nicht. Das ist, glaube ich, die wichtigste Erfahrung, die ich mitgenommen habe.

Ich bin aktuell sehr, sehr stolz, Polin zu sein. In Polen gehen die Frauen auf die Straße, um sich gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts einzusetzen. Ich komme aus einer Nation, die, wenn auch manchmal später, sehr aktiv wird, um sich für den Erhalt der eigenen Freiheit einzusetzen. Die Polen waren ja auch 1981 die ersten, die gegen den Kommunismus aufgestanden sind mit der Solidarność-Bewegung. Auch das prägt mich sehr in meinem Bewusstsein, welche Rechte ich habe, aber dass es auch wirklich wichtig ist, für diese Rechte aufzustehen und sich einzusetzen. Ich kann mich nicht darauf ausruhen, dass ich bestimmte Rechte habe. 

Wir Frauen wissen das insbesondere: Ich bin so dankbar und stolz, wie weit wir gekommen sind beim Thema Frauenquote. Aber noch ist das Gesetz ja nicht durch und deswegen ist es nach wie vor wichtig, sich hierfür stark zu machen. Wir brauchen diese Quote. Die Unternehmen hatten genug Zeit, tatsächlich mehrere Jahre, um zu zeigen, dass sie Frauen aus eigener Motivation mit reiner Selbstverpflichtung und ohne Quote fördern wollen und werden. Diese Chance haben sie nicht genutzt und ohne Druck geht es anscheinend nicht. Diesem Thema müssen wir uns gemeinsam stellen und hier aktiv werden.

Ich weiß, dass Dir der Begriff Vorbild nicht so liegt. Warum eigentlich?

Wir Frauen vergleichen uns ohnehin schon immer viel zu viel. Schon im Wort „Vorbild“ schwingt mit, dass man eben versucht so zu sein wie eine andere Person. Ich bin überzeugt, dass die Welt Individuen braucht und dass es so wichtig ist, sich inspirieren zu lassen. Daher lasse ich mich sehr gerne von anderen Menschen inspirieren und nehme mir hieraus einzelne Aspekte mit, über die ich dann weiter nachdenke. Das kann dann für mich die Inspiration sein, mich noch einmal weiterzuentwickeln. Aber es wäre doch langweilig, wenn wir alle gleich wären. Es ist viel wichtiger sich zu überlegen, was einen als Mensch ausmacht und wie man zu derjenigen wird, die man wirklich ist. 

Ich komme jetzt erst an diesen Punkt. Erst habe ich etwas studiert, was mir nicht wirklich entsprach und war dann später in einem Konzern. Erst, seitdem ich so meinen Weg gehe, werde ich zu der Frau, die ich wirklich bin. Dazu gehört sicher auch Mut und zu lernen, ab und zu Nein sagen zu können. 

Wir Frauen müssen uns gegenseitig empowern, unseren eigenen Weg zu gehen. Denn es braucht so viele verschiedene Frauen, damit sich die Welt ein bisschen verändert und diverser wird; es gibt schließlich nicht die „eine“ Art von Frauen in Führungspositionen. 

 

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass Du sie als Vorbild (oder Inspiration) für breaking.through nominieren möchtest? 

Dr. Julia Kalm bei Microsoft, sie ist im Bereich Informationstechnologie und Künstliche Intelligenz tätig, hat zwei Kinder und einen beeindruckenden Lebensweg. Sie ist von der „klassischen Laufbahn“ in Großkanzleien in die Wirtschaft gewechselt, als sie gesehen hat, wie viel sich dort in diesem spannenden Bereich bewegt. Sie sieht andere Frauen und fördert sie.

Außerdem Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbund e.V. Sie wird nicht müde, sich als Juristin für unsere Grundrechte und insbesondere die Gleichberechtigung aktiv einzusetzen. 

breaking.through und auch ich ganz persönlich danken Dir für das bereichernde Interview. Alles Gute für Dich, den Verlag und Deine Familie! 

Das Interview führte Anna Sophie Eckers am 23. November 2020 im Rahmen eines auf Instagram übertragenen Live-Interviews. Das Interview ist über den Instagram-Account von breaking.through abrufbar.

*Anm. d. Red.: diese Zahl stammt aus einer Studie des im Juni 2020 vom Bundesverband Deutsche Start-ups e.V. veröffentlichten Female Founders Monitors, abrufbar unter https://femalefoundersmonitor.de/female-founders-monitor-2020/ (S. 14).

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