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Prof. (em.) Dr. Ingeborg Schwenzer

Prof. (em.) Dr. Ingeborg Schwenzer, LL.M., im Porträt

 

"Es ist die Aufgabe von Mentorinnen, als role model zu fungieren und die Mentees aufzubauen."

Prof. (em.) Dr. Ingeborg Schwenzer, LL.M., emeritierte Ordinaria der Universität Basel, über die Zukunft der juristischen Ausbildung, Vorbilder und ihre eigene Vorreiterrolle.

Ingeborg, Du hast Dich schon während des Studiums recht früh dazu entschieden, Professorin zu werden. Vor kurzem (Februar 2017) wurdest Du emeritiert. Welche Vorzüge hast Du bei Deiner Entscheidung an der Profession erkannt und hast Du diese bis zum Ende tatsächlich auch genießen können?

 

In meinen Augen ist der Professorenberuf mit drei großen Privilegien verbunden: Erstens ist man immer mit jungen Menschen zusammen. Dabei habe ich auch gerade den Kontakt mit meinen Lehrstuhlmitarbeitern besonders geschätzt, da ich dadurch immer mit außergewöhnlich motivierten und intelligenten jungen Menschen, die einen selbst fordern, aber einem auch sehr viel geben, zusammen war.

Zweitens erzwingt der Professorenberuf im Grunde genommen keine Festlegung auf ein bestimmtes Gebiet. Stattdessen hat man die Freiheit, seine Interessensschwerpunkte im Laufe des Berufslebens zu verändern. Ich selbst hatte über die Jahre unterschiedliche Schwerpunkte. Zeitweise habe ich mich z.B. sehr aufs Familienrecht konzentriert. In den letzten zwölf Jahren habe ich mich dafür mehr mit internationalem Vertragsrecht und dem Schiedsverfahrensrecht beschäftig. Das ist ein Vorteil, den man kaum in einem anderen Beruf so findet.

Drittens kann man im Rahmen einer Hochschulprofessur Theorie und Praxis wunderbar miteinander verbinden. Das Berufsbild an sich fordert eine Beschäftigung mit der Lehre und der Wissenschaft, aber man ist frei, daneben in die Praxis einzusteigen. Ich war etwa häufig Gutachterin in internationalen Gerichtsverfahren, z.B. vor US-amerikanischen Gerichten, sowie in internationalen Schiedsgerichtsverfahren. Auch war und bin ich regelmäßig Swiss Counsel in englischen und amerikanischen Teams für die Anwendung Schweizer Rechts in internationalen Schiedsverfahren. Schließlich war und bin ich auch heute noch viel als Schiedsrichterin tätig.

 

Diese drei Vorteile standen für mich immer im Vordergrund. Ich habe meine Entscheidung, Professorin zu werden, keine Minute bereut. 

 


Bis Anfang des Jahres 2018 hat die von Dir und Ulrike Kessler gegründete Swiss International Law School (SiLS), deren Dekanin Du nach wie vor bist, einen web-basierten rechtsvergleichenden LL.M. angeboten, der jetzt von der Bond University in Australien übernommen wurde. Glaubst Du, dass hierin die Zukunft unserer juristischen Ausbildung liegt?

Ich denke schon, wenngleich es sicher noch sehr lange dauern wird, bis dies bei traditionellen Universitäten durchgesickert sein wird. Dort wird vielfach noch unterrichtet wie im 19. Jahrhundert.

Massenvorlesungen mit bis zu 1.000 Studierenden werden frontal gehalten und z.T. einfach mit Video in weitere Säle übertragen, als ob es keine Bücher oder das Internet gäbe. Der Unterschied zu damals ist heute, dass das Wissen von Juristen heute sämtlich in Büchern und im Internet verfügbar ist. Die Kompetenz, die wir Studierenden vermitteln müssen, ist daher, wie man mit diesen Medien umgeht, nicht aber z.B. den Stoff auswendig zu lernen. Dass etwa im ersten Staatsexamen in Deutschland keine Hilfsmittel zugelassen sind, ist irreal und hat mit der späteren Berufssituation von Juristinnen und Juristen nichts zu tun.

Zudem ist die Juristenausbildung bisher überall auf der Welt national fokussiert. Auch das entspricht nicht mehr dem Anforderungsprofil. Hier muss sich die juristische Ausbildung der Internationalisierung der späteren Berufswelt anpassen und die Rechtsvergleichung in die Grundausbildung aufnehmen. Ich bin der Auffassung, dass man sich mit einer soliden rechtsvergleichenden Ausbildung in jedes nationale Recht in kürzester Zeit einarbeiten kann.

Als Schiedsrichterin und Herausgeberin des Standardkommentars zum UN-Kaufrecht ist Dein Name Studierenden aus aller Welt, die am Vis Moot teilnehmen, seit 1994 ein Begriff. Woher stammt Deine enorme Leidenschaft für diesen Wettbewerb, die Dich Jahr für Jahr für mehrere Tage nach Hongkong und Wien führt?

 

Der Vis Moot vereint genau das, was Kern einer modernen Ausbildung sein sollte: Er schult Fähigkeiten und Kompetenzen. Das beginnt mit Recherchefähigkeiten, geht weiter über Teamwork, Selbstorganisation, bis hin zum Verfassen von Schriftsätzen, zum Auftreten in einer mündlichen Verhandlung und zum Vertreten der Positionen eines Mandanten. Damit suggeriert er im Gegensatz zur deutschen Ausbildung auch nicht, dass es nur eine richtige, richterliche Lösung geben kann. Daneben bringt der Vis Moot Studierende aus aller Welt zusammen und ermöglicht einen interkulturellen Blick auf die gestellten Fragen. Ferner ist er Basis für ein globales und internationales Gespräch, das bei einer Ausbildung in nationalen Rechtsordnungen so nicht möglich ist bzw. nur schwer erlernt werden kann.

Als Du Deinen Ruf an die Universität Basel erhalten hast, warst Du die erste Ordinaria für Rechtswissenschaft an einer Schweizer juristischen Fakultät und die zweite Ordinaria der Universität Basel überhaupt. Was für ein Klima herrschte damals für Professorinnen an der Universität und hat sich dieses seither signifikant verändert?

Naja, das damalige Klima an den Universitäten war natürlich rein männlich dominiert. Ein Beispiel: Ich wurde mal im universitären Kontext zum Essen eingeladen. Wie jeder Gast erhielt ich dabei ein Namensschild. Mein Sitznachbar, Mitglied einer anderen Fakuktät der Universität Basel, fragte mich ernsthaft: "Ist der werte Gatte auch an der Universität?" Er konnte sich offensichtlich überhaupt nicht vorstellen, dass ich selbst als Professorin eingeladen worden war. Ich war damals ein Unikum und kam mir manchmal wie ein exotisches Tier vor. Ich wurde regelmäßig bei den alteingesessenen Basler Familien eingeladen, um quasi bestaunt zu werden. Das ist heute anders. Wir haben in Basel eine Rektorin und ich schätze, dass insgesamt ca. 30% der Professuren an der Universität Basel von Frauen besetzt sind.

Warst Du Dir Deiner Vorreiter-Rolle damals stark bewusst und hat dies irgendwie Einfluss auf Dein Verhalten gehabt?

Zunächst, als Studentin, gar nicht. Ich habe lange Zeit alles für normal gehalten, weil ich immer das erreicht habe, was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Das allerdings hat sich spätestens mit meiner Assistierenden-Zeit in Freiburg verändert. Dort habe ich immer wieder von verschiedenen Assistentinnen erfahren, dass ihnen vermittelt wurde, als Frauen dort keinen Platz zu haben.

Wir, d.h. eine Gruppe Assistentinnen und ich, haben uns dann Anfang der 1980er-Jahre zusammen getan und ein interdisziplinäres Seminar zum Thema "Frauen in der Wissenschaft" durchgeführt. Dabei beleuchteten wir Aspekte der Rechtswissenschaft, aber auch der Geschichte, der Germanistik, der Theologie, der Psychologie, der Biologie, u.a. Eine der ersten Studentinnen, die dieses Seminar als anregend empfunden hat, war übrigens Katharina Pistor, heute Professorin an der Columbia University in New York, deren Porträt ebenfalls in diesem Projekt erscheinen wird.  

Als ich dann nach Basel kam, habe ich dieses Anliegen sofort auch institutionell aufgegriffen. Damals gab es eine "Regenzkommission Frauen", deren Mitglied und alsbald auch Vorsitzende ich wurde. Wir haben Leitlinien entwickelt, wie etwa, dass Frauen mit mindestens 25% auf allen Hierarchieebenen vertreten sein müssen. Diese Leitlinien sind dann eingeflossen in das Leitbild der Universität, wofür ich mich damals sehr eingesetzt habe. Ferner hatte ich am Lehrstuhl immer durchschnittlich 50% weibliche Assistierende. Insgesamt sind inzwischen acht meiner Schüler Ordinarien geworden, davon sind 50% Frauen.

Gibt es Deiner Erfahrung nach mehr Professorinnen in der Schweiz als in Deutschland oder sind die Verhältnisse in etwa vergleichbar?

Ich glaube schon, dass es in der Schweiz mehr Professorinnen gibt, Einzelheiten müsste man aber natürlich diesbetreffenden Statistiken entnehmen. Ich denke, das hat mit den verkrusteten Strukturen an den deutschen Fakultäten zu tun. Diese Strukturen schrecken auch Männer ab, aber noch mehr Frauen, glaube ich. Auch die Ungewissheit, die in Deutschland herrscht - mit 40 Jahren ist oft noch unklar, ob man im Anschluss an die Habilitation eine Professur erhält -, ist gerade auch intelligenten jungen Menschen, die auch anderweitig eine gute Chance haben, eine gute und zumeist wesentlich besser bezahlte Anstellung zu finden, einfach nicht zumutbar.

Während Deiner juristischen Ausbildung warst Du regelmäßig bestplatzierte unter den Absolventinnen und Absolventen; auch Deine Doktorarbeit wurde als beste Promotionsarbeit des Jahres ausgezeichnet. Hattest Du unter diesen Umständen je den Eindruck, dass Du als Frau anders behandelt wurdest als männliche Juristen?

Wie gesagt, in der Ausbildung war ich mir keiner Diskriminierung bewusst, da ich immer alles geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte. Ein Bewusstsein dafür kam erst später, als ich merkte, wie allein ich als Frau war. Ein Beispiel dazu war mein Habilitationsvortrag. Ich war bei vielen Habilitationskolloquien von männlichen Kollegen, die allesamt einfach durchgewunken wurden. Bei meinem eigenen war es so, dass es mehr als eine Stunde dauerte und wirklich jeder Mann, jeder Fakultätskollege sich exponieren und mindestens eine Frage stellen musste, egal ob er überhaupt etwas zu sagen hatte. Das war bei meinen männlichen Kollegen nie so.

Noch viel später hat ein männlicher Kollege zu mir gesagt: Du musst einfach die Regeln der männlichen Sandkastenspiele beherrschen. Diese sind aber auch heute für Frauen oft noch undurchschaubar und fremd.

Hast Du dafür ein konkretes Beispiel?

Ich denke, es stimmt, dass Frauen eher offen und lösungsorientiert denken, während für viele Männer - natürlich nicht alle - Macht- und Statusfragen im Vordergrund stehen. Anders lässt es sich auch nicht erklären, dass im deutschsprachigen Raum noch immer die Habilitation als Qualitätsnachweis für eine Professur erforderlich ist; in meinen Augen ist dies nicht viel mehr als ein männlicher Initiationsritus, den man ohne weiteres durch sinnvollere Auswahlmechanismen ersetzen könnte und sollte. Die Habilitation in dieser Form gibt es außer im deutschen Sprachraum sonst nirgendwo.

Welche Rolle spielt das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten Deiner Meinung nach für die individuelle Entwicklung einer Karriere?

Ganz allgemein spielt das Selbstbewusstsein wohl eine ganz große Rolle. Das gilt nahezu in jedem Beruf und es gilt gleichermaßen für Männer wie für Frauen. Das Problem, das ich aber bei Frauen eher sehe, ist, dass dieses Selbstbewusstsein oftmals schwächer ausgeprägt ist. Viele Frauen neigen im Vergleich zu Männern eher zu Selbstzweifeln. Daher ist es die Aufgabe von Mentorinnen, einerseits als role model zu fungieren und andererseits die Mentees aufzubauen und dabei zu unterstützen, das erforderliche Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Du hast schon mehrfach Gutachten insbes. im Familienrecht geschrieben, die bei Gesetzesvorhaben herangezogen wurden. Auch wenn man Dir nicht immer auf Anhieb folgte, wurden viele Deiner Vorschläge Jahre später umgesetzt. Offenbar bist Du Deiner Zeit in diesen Fragen oft voraus. Welche Reformvorhaben siehst Du in mittlerer Zukunft kommen, die in naher Zukunft wohl noch keine Umsetzung erfahren werden?

Im Familienrecht wird es sicher um eine Neubewertung der Elternschaft gehen. Ich habe meine Gedanken dazu schon mal bei einem Referat auf dem Juristentag 2016 präsentiert. Da geht es darum, von dem Fokus auf die leiblichen Eltern wegzukommen und sozialen Realitäten mehr gerecht zu werden. Das betrifft z.B. gleichgeschlechtliche Paare, aber auch Konstellationen mit drei (sozialen) Elternteilen. 

Es geht aber auch um andere Bereiche, in denen ich mich sehr stark eingesetzt habe. Im Jahr 2012 habe ich die Schweiz mit dem sogenannten Swiss Proposal vor der Generalversammlung von UNCITRAL vertreten. Die Schweiz hatte den Antrag gestellt, über eine Vereinheitlichung des gesamten Vertragsrechts auf globaler Ebene nachzudenken. Der Vorschlag scheiterte damals leider am Widerstand der USA. Ich denke aber, dass eine weitere Vereinheitlichung kommen wird. Dies auch schon deshalb, weil es immer mehr junge Leute gibt, die gerade auch durch den Kontakt mit dem Vis Moot von der Notwendigkeit eines einheitlichen Vertragsrechts und dessen Eignung zur Erleichterung des internationalen Dialogs überzeugt sind. 

Zuletzt gilt dies auch für meine zuvor bereits geschilderten Gedanken zur juristischen Ausbildung. Bei den Verhandlungen mit Universitäten weltweit über die Übernahme des SiLS-LL.M. habe ich gemerkt, dass die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen sowie die Studierenden immer sehr begeistert von dem Konzept waren und dies als Zukunft der juristischen Ausbildung betrachteten. Bei vielen der Universitäten, seien es solche aus den USA, aus Asien, aus Deutschland oder der Schweiz, ist eine Übernahme unseres LL.M. nur an institutionellen Hürden gescheitert. Wir sind nun sehr glücklich darüber, dass Bond University diese Skepsis überwunden und unseren LL.M. telquel übernomen hat.

Gibt es etwas, das Du rückblickend anders machen würdest?

 

Nein, eigentlich nicht. Ich bin ingesamt sehr zufrieden mit meinem Beruf und dem, wie er sich entwickelt hat. Heute unterrichte ich noch mehr im Ausland, als ich es in meiner aktiven Phase in Basel getan habe. Den Kontakt zu jungen Menschen weltweit schätze ich nach wie vor sehr. Diese Möglichkeiten nehme ich als Geschenk wahr, wie es kaum ein anderer juristischer Beruf bietet.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Lore Maria Peschel-Gutzeit, die auch von breaking.through porträtiert wird. Die andere ist Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, die inzwischen leider verstorben ist. Beiden bin ich im Rahmen des djb begegnet, wo Lore Maria Peschel-Gutzeit in den frühen 1980er-Jahren Vorsitzende der Familienrechtskommision war. Sie haben sich beide zu einer Zeit durchgesetzt, als es noch ungleich schwieriger war als zu meiner eigenen Zeit. Trotzdem haben sie es geschafft, role models zu werden und erfolgreich für unsere Anliegen zu einer Zeit zu kämpfen, als es noch kaum Frauen in führenden Positionen gab. Das macht sie in meinen Augen zu Vorbildern.

Vielen herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

Frankfurt am Main / New York, 24. April 2018. Das Interview führte Nadja Harraschain.

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