Claudia Leicht im Porträt
„Der Anwaltsberuf bietet viel mehr Freiheiten als man denkt!“
Claudia Leicht, Geschäftsführerin des Hamburgischen Anwaltvereins, über ihren beruflichen Alltag, aktuelle Entwicklungen und Veränderungen in der Anwaltschaft und was eine gute Anwältin / einen guten Anwalt ausmacht.
Frau Leicht, Sie sind Geschäftsführerin des Hamburgischen Anwaltvereins. Wie sieht Ihr beruflicher Alltag dort aus?
Mein beruflicher Alltag ist sehr abwechslungsreich. Man könnte fast sagen, der geringste Anteil meiner Tätigkeit ist juristisch. Dennoch ist es hilfreich, die juristische Ausbildung bis zum 2. Examen und zur Anwaltszulassung absolviert zu haben.
Manchmal sage ich, ich bin quasi Eventmanagerin für Anwältinnen und Anwälte. Das liegt insbesondere an dem vielfältigen Veranstaltungsangebot, welches wir als Hamburgischer Anwaltverein für unsere etwa 3.500 Mitglieder anbieten. Unsere Mitglieder sind in Hamburg zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, für die wir unter anderem Fortbildungen anbieten. Das sind in etwa 100 Veranstaltungen im Jahr, die seit Corona viel online stattfinden. Ich beschäftige mich vorab damit, welche Themen wir anbieten wollen, mit welchen Referentinnen und Referenten, wann wir die Fortbildungen machen wollen und ob wir die Veranstaltung online oder präsent stattfinden lassen.
Neben dem Fortbildungsangebot geben wir auch eine Mitgliederzeitschrift heraus. Auch da stellt sich die Frage, was unsere Leserinnen und Leser interessiert. Wir versuchen den Inhalt der Zeitschrift sehr Hamburg spezifisch auszurichten. Wenn es z.B., wie jetzt gerade, einen neuen Amtsgerichtspräsidenten gibt, dann führen wir mit diesem ein Interview, weil es unsere Leserinnen und Leser interessiert zu erfahren, wie der neue Gerichtspräsident des größten Hamburgischen Gerichts mit der prekären Situation, die wir derzeit in der Ziviljustizbarkeit haben, umgeht.
Das führt dann schon zum nächsten Thema. Wir versuchen durch viele Gespräche und eingerichtete Clearing-Ausschüsse im Interesse unserer Mitglieder zu agieren. Das betrifft insbesondere Aspekte im Arbeitsalltag unserer Mitglieder, z.B. wenn Dinge im Zusammenspiel mit der Justiz oder der Justizbehörde nicht rund laufen. In diesem Rahmen regen wir Veränderungen an und fragen nach, warum gewisse Abläufe nicht funktionieren bzw. was wir noch besser machen können, um die Prozesse zu verbessern.
Ich mache daneben noch die Existenzgründungsberatung für jüngere Kolleginnen und Kollegen. Auch bieten wir für die jungen Kolleginnen und Kollegen die inzwischen erforderliche BRAO-Fortbildung an. Diese Fortbildung macht immer sehr viel Spaß, weil man mit den jüngeren Kolleginnen und Kollegen in den direkten Austausch tritt und mitbekommt, was sie beschäftigt. Ebenso haben wir ein Treffen junger Juristinnen und Juristen aufgesetzt, bei dem diese sich untereinander vernetzen können. Neben diesen vielfältigen Aufgaben gibt es dann natürlich auch noch den „normalen“ Alltag einer Geschäftsstelle. Wir haben Mitgliedsbeiträge, die eingezogen werden müssen und Dienstleisterinnen und Dienstleiter, mit denen wir zusammenarbeiten.
Es ist, um es zusammenzufassen, extrem bunt. Und das ist das, was ich daran so gut finde.
Was begeistert Sie an Ihrer derzeitigen Tätigkeit?
Ich arbeite nun seit über achtzehn Jahren beim Hamburgischen Anwaltverein und es ändert sich ständig etwas. Es stellen sich neue Herausforderungen und Themen. Zwar hat man mit der Zeit eine gewisse Routine, was auch gut ist. Dennoch sind die Themen, Aufgaben und Leute, mit denen ich zu tun habe, vielfältig. Ebenso ändern sich regelmäßig die Mitglieder des Vorstands oder die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der Justiz. Auch beim Deutschen Anwaltverein – unserem Dachverband – hat man es regelmäßig mit neuen Menschen und Ideen zu tun. Man hat sehr viele Berührungspunkte mit vielen verschiedenen Menschen und bekommt viel Input und kann, wenn man offen dafür ist, daraus viele Dinge ziehen. Das finde ich sehr spannend.
Im Vorgespräch haben Sie berichtet, dass Sie während des Studiums mit dem Gedanken gespielt haben, Ihr Jurastudium abzubrechen. Was hat Sie dazu bewogen, das Studium zu Ende zu bringen?
Ich glaube solche Gedanken sind nicht ungewöhnlich. Gerade im Rahmen der juristischen Ausbildung, kann ich mich mir sehr gut vorstellen, dass viele zu „kämpfen“ haben. Bei mir lag die Besonderheit darin, dass die Fakultät, an der ich mein Jurastudium begonnen hatte, für nur etwa 300 Studierende ausgelegt war, mein Jahrgang aber plötzlich 900 Studienanfänger*innen umfasste. Das hat die Fakultät merklich überfordert. Die Idee „aufzugeben“ kam mir relativ früh im Studium. Ich habe es als echtes Aufgeben empfunden. Letztlich hat mich eine ganz persönliche Erfahrung davon überzeugt, weiter zu studieren. Ich hatte mich in dieser Situation als Rechtspflegerin beworben und in diesem Rahmen ein Vorstellungsgespräch. Dieses Vorstellungsgespräch war so wenig wertschätzend, dass ich mir am Ende gedacht habe: Euch zeige ich es! Und das habe ich in letzter Konsequenz dann auch getan. Mein persönlicher Ehrgeiz wurde geweckt. Dieser hat mich dazu motiviert, mein Studium erfolgreich zu Ende zu bringen. Dennoch muss ich zugeben, dass das Jurastudium nichts war, was mir extrem leicht gefallen ist. Im Referendariat kam ich deutlich besser zurecht, weil es viel persönlicher war als das Studium. Das unpersönliche Agieren im Rahmen des Studiums lag mir nicht. Das war und ist auch heute nicht meine Art des Arbeitens.
Was ist die Aufgabe des Hamburgischen Anwaltvereins?
Wir verstehen uns als Dienstleister im Sinne unserer Mitglieder und als Stimme der Anwaltschaft. Wir schauen, wo es hakt und wo wir helfen und unterstützen können. Wir versuchen das volle Paket abzudecken. Über Gruppenverträge, ein eigenes Fortbildungsangebot, die Teilnahme an Clearing-Ausschüssen, das Führen von Gesprächen mit der Justizbehörde und den Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sowie das Anbieten einer Existenzgründungsberatung zum Beginn des Eintritts in die Anwaltschaft. Wir versuchen – und das gelingt uns natürlich nicht zu hundert Prozent, das ist uns klar – die Anwältin / den Anwalt im Ganzen zu sehen, mit all ihren / seinen Bedürfnissen und Fragen. Ein großes Thema sind derzeit Nachwuchssorgen im nicht-anwaltlichen Bereich. Auch dort versuchen wir zu unterstützen, indem wir z.B. auf Ausbildungsmessen gehen. Es gab ja auch mal Zeiten, in denen man gesagt hat, wir brauchen einen Zulassungsstopp für Anwältinnen und Anwälte. Jetzt aber merken wir, dass es sich mit dem demografischen Wandel ganz anders darstellt. Auch wenn wir über 100.000 Jurastudierende haben, ist es so, dass zwar ein gewisser Teil in die Anwaltschaft strebt, wiederum ein gewisser Teil davon aber nicht langfristig bleibt. Spätestens wenn es um die Familiengründung geht, wird sich häufig beruflich umorientiert. Daher müssen wir schon direkt im Studium anknüpfen und aufzeigen, was der Anwaltsberuf für ein toller Beruf ist und dass er viel mehr Freiheiten bietet, als man denkt, gerade auch im Zusammenhang mit der Familiengründung. Wir versuchen die Attraktivität dieses freien Berufs zu unterstreichen.
Auch vergeben wir seit einigen Jahren zwei sog. „Deutschland-Stipendien“. Der Hamburgische Anwaltverein hat zwei Stipendiat*innen gleichzeitig. Der bzw. die Erste ist im ersten Studienjahr, der / die Zweite im zweiten oder dritten Studienjahr, damit beide auch voneinander profitieren können. Bei dem Stipendium geht es uns insbesondere darum, den Studierenden aufzuzeigen, wie toll der Anwaltsberuf ist. Wir nehmen sie mit zum Deutschen Anwaltstag, vermitteln ihnen Praktika und unterstützen sie auch in vielen anderen Belangen und sind als persönliche Ansprechpartner für sie da. So können wir zeigen, wie bunt, vielfältig und frei dieser Beruf ist. Jede Anwältin und jeder Anwalt ist anders. Das gilt für die etwa 165.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bundesweit als auch für die etwa 11.000 Hamburger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Und auch jede Kanzlei ist anders. Nicht nur die Größe und das Rechtsgebiet unterscheiden sich. Selbst bei derselben Größe und demselben Rechtsgebiet ist keine Kanzlei wie die andere. Es sind nie dieselben Strukturen. Jede und jeder kann sich im Rahmen des Möglichen ausleben. Das kann man gar nicht früh genug aufzeigen. Die Justiz ist als Arbeitgeber bei jungen Juristinnen und Juristen deutlich präsenter. Nicht zuletzt startet man auch das Referendariat wieder mit zwei Stationen in der Justiz. Die Anwaltsstation liegt direkt vor dem Examensklausuren und verliert daher häufig an Präsenz.
Welche Veränderungen und Entwicklungen in der Anwaltschaft konnten Sie in Ihrer mehr als 18-jährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin des Hamburgischen Anwaltvereins wahrnehmen?
Natürlich gab und gibt es ständig Veränderungen. Gerade wenn ich meine vorherige Zeit bei der Rechtsanwaltskammer noch mit einrechne, sind es nunmehr schon über zwanzig Jahre, die ich in diesem Bereich tätig bin. Genauso wie sich das Berufsrecht damals geändert hat, hat sich das gesamte Berufsbild der Anwältin / des Anwalts geändert. Ich glaube schon, dass wir diverser und weiblicher geworden sind. Das sieht man auch in den Zulassungszahlen. In den letzten Jahren hatten wir sogar mehr weibliche als männliche Zulassungen zur Anwaltschaft, was aber in der Gesamtzulassungszahl immer noch bedeutet, dass der Frauenanteil bei etwa dreißig Prozent liegt. Frauen werden aber sichtbarer im Anwaltsberuf und geben diesem in Teilen auch ein neues Gepräge.
Ebenso gibt es mittlerweile einen viel höheren Spezialisierungsgrad, als noch vor zwanzig Jahren. Zwar gab es auch schon damals Spezialistinnen und Spezialisten sowie Fachanwaltschaften. Letztere bestanden damals jedoch nur aus sehr großen Bereichen wie etwa dem Verwaltungsrecht im Ganzen. Inzwischen gibt es 24 Fachanwaltschaften, in kleinteiligen und teilweise auch sehr eng aneinander liegenden Rechtsgebieten. Einige Fachanwaltschaften haben schon jetzt Probleme, Nachwuchs zu finden. Es ist kein Geheimnis, dass beispielsweise Rechtsgebiete, wie das Sozialrecht, eher unbeliebt sind. Auch Familienrecht ist nichts, was die jüngeren Kolleginnen und Kollegen noch begeistert. Der höhere Spezialisierungsgrad ist etwas, was einerseits die Nachfrage abbildet und auf der anderen Seite dazu führen kann, dass Rechtssuchende das Gefühl bekommen, mit ihren allgemeineren rechtlichen Themen, gar nicht mehr die passende Anwältin / den passenden Anwalt finden zu können. Auch spielt Legal Tech eine Rolle. Klar kann Legal Tech eine enorme Arbeitserleichterung darstellen. Andererseits spielt Legal Tech bislang hauptsächlich nur dort eine Rolle, wo es sich lohnt. Entweder durch die Masse an Verfahren oder viele gleichlautende Probleme. Immer dort wo es sehr menschelt, kommen wir mit Legal Tech – noch – an unsere Grenzen.
Was zeichnet für Sie einen guten Anwalt / eine gute Anwältin aus?
Anwältinnen und Anwälte sind Verfechter*innen des Rechts. In heutigen Zeiten mehr denn je auch Verfechter*innen des Rechtsstaats.
Neben Verschwiegenheit und Unabhängigkeit als anwaltliche Grundpflichten zeichnet die Anwältin / den Anwalt der – manchmal auch kämpferische – Einsatz für die Mandantinnen und Mandanten aus. Das bedeutet, dass man eben auch mal Verfahren bis zum Bundesverfassungsgericht bringen muss, weil man sagt, dass das Ergebnis so (noch) nicht richtig sein kann. Dieses Gefühl muss man mitbringen. Das erfordert ein gewisses Maß an Kreativität und Fantasie. Es geht darum, auch mal mit neuem Blick auf ein Gesetz zu schauen, welches man schon viele Male gelesen hat und links und rechts zu denken und zu schauen, ob das bisherige Ergebnis wirklich so richtig sein kann. Gleiches gilt auch bei der Gestaltung von Verträgen. Dort gilt es durch die Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten das Bestmögliche für die Mandantin / den Mandanten herauszuholen. Auch müssen Anwältinnen und Anwälte die Bereitschaft mitbringen, Konflikte einzugehen und auch aushalten zu können. Darüber hinaus sind Anwältinnen und Anwälte als freier Beruf letztlich auch Unternehmer*innen, was eine besondere Herausforderung ist.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Im Verlauf meiner juristischen Ausbildung hatte ich kaum ein Vorbild, an dem ich mich hätte orientieren können. Das lag daran, dass wenig Frauen überhaupt in juristischen Berufen tätig bzw. für mich nicht sichtbar tätig waren.
Meine Chefin bei der Rechtsanwaltskammer in Bremen, Frau Petra Schulze-Grönda, ist die einzige Juristin, die mir zum Ende meiner anwaltlichen Ausbildung in Erinnerung geblieben ist. Sie ist mittlerweile im Ruhestand. Ich mochte sehr, wie sie es schaffte, die vielen Fäden gleichzeitig in der Hand zu halten. Das empfand ich bei ihr als sehr bemerkenswert.
Als ich über die Frage noch etwas allgemeiner nachgedacht habe, ist mir ein Buch eingefallen, das ich vor Kurzem gelesen habe. Mir fiel erst nach dem Lesen auf, dass die Autorin nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Juristin ist und selbst einmal als Anwältin tätig war. Ich fand es schon immer spannend zu sehen, wohin es Jurist*innen so abseits ihrer eigentlichen Profession verschlägt. Die Autorin heißt Katharina Fuchs und das Buch „Neuleben“ und erzählt die Geschichte ihrer Tante, die eine der ersten Vorsitzenden Richterinnen im Nachkriegsdeutschland war.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Hamburg, 5. März 2024. Das Interview führte Lina Runge.
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