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Bettina Brückner

Dr. Bettina Brückner im Porträt

 

"Teilzeitfrauen müssen darauf achten, sichtbar zu bleiben!"

Dr. Bettina Brückner, Richterin im V. Zivilsenat des BGH, im Interview darüber, wie eine Karriere in Teilzeit funktioniert und was Frauen in der Justiz tun können, um sich bemerkbar zu machen. 

Frau Brückner, seit dem Beginn Ihrer juristischen Karriere bis zur Ernennung als Richterin des BGH sind gerade mal 13 Jahre vergangen. Wie gelingt ein so steiler Aufstieg in der Justiz in so kurzer Zeit?

Ein solcher Aufstieg ist nicht völlig ungewöhnlich. Ich bin erst relativ spät in den Beruf eingestiegen, da ich mein erstes Kind bereits im Referendariat bekommen habe. Die meisten BGH-Richter sind zwischen 45 und 50 Jahre zum Zeitpunkt der Wahl - ich war 45, so gesehen also kein Ausreißer. Ungewöhnlich war eher, dass ich bis zu meiner Wahl in Teilzeit gearbeitet hatte. Der Aufstieg selbst hängt immer auch vom Glück ab: ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Begonnen haben Sie Ihre Karriere am LG Hamburg und sind dann über das Amts- und Landgericht Osnabrück sowie dem Oberlandesgericht Oldenburg zum BGH gekommen. Was, würden Sie sagen, ist der entscheidende Unterschied zwischen der Arbeit am BGH und einem der untergeordneten Gerichte?

Dazu vielleicht eine kleine Anekdote, die es gut zusammenfasst: Ich habe vor einiger Zeit einen älteren Professor getroffen, der wissen wollte, in welchem BGH-Senat ich arbeite. Ich sagte: im fünften Zivilsenat, woraufhin er antwortete: Oh, da können Sie viel Unheil anrichten! Und da ist etwas dran: wenn wir nicht aufpassen und nicht sorgfältig arbeiten, können wir tatsächlich viel durcheinanderbringen. Denn Aufgabe des BGH ist vor allem die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; die Entscheidungen müssen deshalb sehr gut vorbereitet und durchdacht sein. Man darf die Wirkung des BGH nicht unterschätzen: Die Entscheidungen werden genau gelesen, alles wird sehr sorgfältig beäugt. Von allen Seiten wird kommentiert und bewertet. Das kann einen manchmal stark unter Druck setzen, denn wir wollen ja gerade kein Unheil anrichten, sondern im Gegenteil sollen unsere Entscheidungen das Recht vereinheitlichen und den Ausgang etwaiger Rechtsstreitigkeiten für die Menschen vorhersehbarer machen. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind hohe Güter.

Im Vergleich zu den untergeordneten Gerichten ist man am BGH nicht so nah an den Parteien dran wie als Tatrichter. Die Arbeit ist sehr viel wissenschaftlicher, und man hat mehr Verantwortung für die Rechtsentwicklung insgesamt. Nichts desto trotz war ich auch sehr gerne in den Tatsacheninstanzen tätig. Beides sind erfüllende und verantwortungsvolle Tätigkeiten.

Sie haben nebenbei auch BWL-Vorlesungen besucht. Nützen einer Richterin erweiterte Kenntnisse in den typischen Begleitfächern wie Philosophie, Politik oder Soziologie? Würden Sie Studentinnen und Studenten das Studium weiterer Fächer empfehlen?

Ja, ich kann es nur empfehlen, in andere Studienfächer reinzuschauen. Das Gespür für wirtschaftliche Zusammenhänge ist sehr wichtig, gerade wenn man Zivilrichter ist. Ich weiß aber natürlich auch, dass man mit dem Jurastudium sehr gut ausgelastet ist. Wenn ein Besuch zusätzlicher Vorlesungen also zeitlich nicht drin ist, ist das kein Weltuntergang.

Sie haben sich in ihrer Laufbahn u.a. in der Großen Strafkammer, der Zivilkammer oder als Ermittlungsrichterin mit den unterschiedlichsten Rechtsgebieten auseinandersetzen müssen. Betrachten Sie das rückblickend als wertvoll oder würden Sie jungen Juristinnen eher zum Fachbereichsschwerpunkt raten?

Ich kann ja nur für die Justiz sprechen. Dort ist es sehr wichtig, dass man breit aufgestellt ist, weil man in aller Regel in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt wird. Gerade Proberichter werden häufig versetzt und müssen sich immer wieder in andere Rechtsgebiete einarbeiten. Darüber kann man aber auch viel und schnell dazulernen. Eine breite Ausbildung und ein gutes Präsenzwissen helfen auf jeden Fall weiter. Auf meinem Gebiet, dem Immobiliarsachenrecht, stellen sich beispielsweise häufig öffentlich-rechtliche Fragen; ein Verständnis für das öffentliche Recht ist also unabdingbar. Und ganz nebenbei: Es schadet auch nicht, mal eine Staatsanwaltschaft von innen gesehen zu haben.

Auch, wenn sich in den letzten Jahren – insbesondere der Vereinbarkeit wegen - viele Frauen für ein Richteramt entschieden haben, erhöht sich der Frauenanteil bei den Aufstiegsposten in der Justiz nach wie vor nur zögerlich. Warum ist das so?

In der Justiz hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die Eingangsinstanzen sind heute nahezu paritätisch besetzt. Auch der Frauenanteil bei den R2- und R3-Stellen steigt mittlerweile an. Wo Frauen allerdings nach wie vor fehlen, ist in den Leitungspositionen. Wo sind denn die Gerichtspräsidentinnen? Die kann man leider nach wie vor an den Fingern abzählen. Das liegt aus meiner Sicht u.a. daran, dass Männer besser im Netzwerken sind und sich mehr zumuten. Das beginnt bereits beim täglichen Pendeln zur Arbeit- das machen Männer eher mit als Frauen. Sie melden sich auch eher, wenn mal eine Zusatzaufgabe zu vergeben ist - deshalb geraten sie mehr in den Fokus. Frauen sind nach wie vor die typischen Teilzeitkandidaten. Männer haben das Strategische mehr im Blut. Schnell zu erkennen, welcher Posten wichtig ist, das liegt ihnen. Davon sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Ich habe das am Anfang auch nicht durchschaut. Aber mit der Zeit lernt man dazu.

Am BGH gibt es zur Zeit etwas mehr als 30 Prozent Frauen. Das ist deutlich mehr als noch vor zehn Jahren. Aber bei den Wahlen muss unbedingt weiterhin auf den Frauenanteil geachtet werden; er kann schnell wieder sinken, wenn Kolleginnen in Pension gehen und durch Männer ersetzt werden. Bezogen auf die Senate des BGH sollte es unser Ziel sein, dass in jedem Senat sowohl Männer als auch Frauen sitzen. Um insoweit eine Quote einzuführen, ist ein einzelner Spruchkörper aber zu klein. Das wäre schlicht nicht umsetzbar.

Was können junge Frauen tun, um sich im Bereich der Justiz „bemerkbar“ zu machen?

 

Gerade die Teilzeitfrauen in der Justiz - zu denen ich selbst lange gehört habe - müssen darauf achten, nicht unsichtbar zu sein. Sie sollten an der Weihnachtsfeier oder dem Betriebsausflug teilnehmen und bereit sein, auch mal eine Extraaufgabe zu übernehmen, z.B. das Pressesprecheramt oder ähnliches, um ins Blickfeld zu geraten. Sie sollten nicht warten, bis sie entdeckt werden, sondern sich selbst aktiv einbringen. Wenn man ihnen eine Aufgabe anbietet, sollten sie nicht mit der Begründung ablehnen, dass das bestimmt jemand anderes besser kann, sondern stolz zu sich selbst sagen: Ich wurde aus gutem Grund gefragt. Auch die Abordnung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an ein Bundesgericht, das Bundesverfassungsgericht oder ein Ministerium kann neue Wege eröffnen – und das geht oft auch in Teilzeit. Frauen sollten die vielfältigen Chancen, die sie heute haben, ergreifen und ihren Aufstieg selbst in die Hand nehmen. Sie sollten nicht schon zurückschrecken, bevor sie überhaupt begonnen haben, ein eigenes Ziel zu verfolgen. 

Sie sind u.a. auch Vorsitzende der „Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe“. Was ist das und welchen Zweck verfolgen Sie? Lohnt es sich auch für Juristinnen, die noch am Anfang stehen, Mitglied zu werden?

Juristische Gesellschaften gibt es in vielen Städten. Sie bieten eine gute Gelegenheit, um Kontakte auch zu anderen Berufsgruppen zu knüpfen. Man kann sich fortbilden und über den Tellerrand schauen, denn die Vortragsveranstaltungen sind vielen verschiedenen Themen gewidmet. Es ist daher auf jeden Fall empfehlenswert, sich in einer solchen Gesellschaft zu engagieren.

Für eine erfolgreiche Frau, wie Sie, mit zwei inzwischen erwachsenen Kindern, stellte sich auch irgendwann die Frage, wie sie den Balanceakt zwischen Selbstverwirklichung im Beruf und als Mutter meistern soll? Wie leicht oder schwer fiel Ihnen die Entscheidung Mutter zu werden aufgrund Ihres Berufs als Richterin?

Dass ich Kinder haben möchte, war mir immer klar. Ich habe das erste im Referendariat, das zweite kurz nach dem Berufsanfang bekommen. Deshalb hatte ich gar nicht so große Balanceprobleme. Das Referendariat ist ein guter Zeitpunkt, um ein Kind zu bekommen, weil man noch flexibel ist. Klar, man muss natürlich auch die Lernerei unter einen Hut bekommen, aber das ist insgesamt besser, als direkt nach dem Berufsanfang wieder auszufallen. Bei dem, was ich heute mache, möchte ich keine kleinen Kinder haben. Ich würde daher dafür plädieren, die Kinder lieber früh als spät zu bekommen. Mein Mann hat auch immer viel geholfen. Wir konnten vieles aufeinander abstimmen. In den Schulferien habe ich z.B. weniger Sitzungstermine anberaumt. Und so war das alles machbar.

Sie haben die meisten Ihrer Karriereschritte bereits MIT Kindern gemacht, und zwar in Teilzeit. Können Sie das näher beschreiben?

Meine erste Stelle habe ich bereits in Teilzeit angetreten. Erst beim BGH habe ich auf eine volle Stelle gewechselt. Und das war hart. Unser jüngerer Sohn war damals erst 12. Der BGH bedeutete für uns Hausverkauf, Umzug, neue Schule, das war alles nicht so einfach. Aber mein Mann hat zur gleichen Zeit einen Ruf an die Universität Freiburg bekommen – das war ein großes Glück für uns beide.

Glauben Sie, dass dieses bzw. ähnliche Modelle, wie Jobsharing oder Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, die Antwort auf die aktuellen Vereinbarkeitsfragen sein kann oder was müsste sich aus Ihrer Sicht für Personen verändern, die sowohl Karriere als auch Familie haben wollen?

Ich finde, die Zeit, in der die Kinder klein sind, ist rückblickend kurz und kostbar; es ist wichtig, dass neben der Arbeit genug Zeit für die junge Familie bleibt. Danach ist das Berufsleben immer noch lang genug. Dafür muss die Arbeitswelt unbedingt flexibler werden. Aber das wird sie auch. Da bin ich mir sicher. Die jungen Leute fordern das jetzt schon ein und das ist auch richtig so.

Wie wichtig ist eine Partnerschaft, um eine so erfolgreiche Laufbahn, wie Sie sie bestreiten, unabhängig zu gehen? Ist die berufliche Verwirklichung einer Frau, die auch Mutter sein will, nur zusammen mit einem Partner möglich, der sie dabei unterstützt oder glauben Sie, dass dies auch für alleinstehende Frauen machbar ist?

Wenn man einen Partner hat, hat man es natürlich leichter. Ich habe aber auch Kolleginnen, die eine tolle Karriere als Alleinerziehende geschafft haben. Das ist also kein K.O.-Kriterium. Manche Männer hindern ihre Frauen auch am Aufstieg. Wir konnten die Kinderbetreuung dadurch absichern, dass mein Mann seine Vorlesungen auf einen Tag gelegt hat, an dem ich keine Sitzung hatte. Frauen müssen ihren Partnern klar kommunizieren, dass sie auf Augenhöhe sind - was in einer guten Partnerschaft ohnehin selbstverständlich sein sollte. Die Frau kann und soll einfordern, dass sie genauso Karriere machen möchte wie ihr Mann - wenn sie es möchte.

Was würden Sie jungen Juristinnen raten, die sich eine Karriere in der Justiz vorstellen können?

Wer in die Justiz geht, sollte offen sein und die Bereitschaft mitbringen, in vielen Rechtsgebieten zu arbeiten. Man sollte es bereichernd finden, für viele Dinge verantwortlich zu sein und – auch durch Fortbildungen – stetig dazuzulernen. Und man sollte sich immer wieder klarmachen, dass Richter das Bild prägen, das der Bürger vom Staat gewinnt. Denn als Bürger ist man dem Gericht ausgeliefert und sollte sich gut behandelt fühlen. Dazu gehört vor allem, dass der Richter zuhört und die von allen Seiten vorgebrachten Argumente aufnimmt und erkennbar erwägt. Das Richteramt erfordert Entscheidungskraft und Durchsetzungsvermögen – aber auch Empathie und Fingerspitzengefühl.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Dr. Renate Philipp, Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht, war mir in Studium und Beruf stets voraus und hat mich immer wieder ermuntert, Chancen zu ergreifen; ohne sie wäre ich vielleicht nicht so weit gekommen. Es ist sehr wichtig, dass man Ratgeberinnen hat, die etwas älter sind und mehr Erfahrung haben als man selbst. Vor wichtigen Entscheidungen kann man sich dann rückversichern und das gibt Sicherheit.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Freiburg / Heidelberg, den 19. Dezember 2018. Das Interview führte Alicia Pointner.

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