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Annette Feißel

Annette Feißel im Porträt

"Man kann den Bedürfnissen von Mandanten nicht nur im Rahmen einer Vollzeittätigkeit genügen."

Annette Feißel, Partnerin der Kanzlei Raue, über die richtige Kommunikation der eigenen Ziele, gelungene Frauenförderung in der Großkanzlei und ihren Verein „Working Moms“.

Frau Feißel, als Sie 1999 als Anwältin bei Oppenhoff & Rädler, dem Vorgänger der heutigen Kanzlei Linklaters, einstiegen, gab es dort unter insgesamt ca. 85 Berufsträgern am Berliner Standort nur drei weitere Frauen, die als Rechtsanwältin tätig waren. Was hat Sie damals bewegt, den Schritt in die Großkanzlei zu wagen?

Eine Bewerbung in eine international tätige Großkanzlei war für Frauen damals in der Tat noch nicht so üblich, Teilzeittätigkeit galt als undenkbar. Keine meiner befreundeten Kommilitoninnen hatte sich für diesen Weg entschieden. Diejenigen, die eine Karriere im Anwaltsbereich anstrebten, gingen entweder in kleinere Einheiten oder machten ihre eigene Kanzlei auf, zum Beispiel spezialisiert auf Familienrecht oder Strafrecht. Bei meinen Bewerbungsgesprächen wurden mir Fragen hinsichtlich Familienplanung und Schwangerschaft gestellt, die man heute als Arbeitgeber unter AGG-Gesichtspunkten nicht stellen würde. Abgeschreckt hat mich das damals nicht, ich wollte es einfach versuchen. Auf die Anwaltstätigkeit in einer Großkanzlei bin ich während einer meiner Stationen im Referendariat gestoßen. Ich hatte neben Jura noch Amerikanistik studiert, war im Ausland und hatte eigentlich andere Pläne. Mir schwebte eher eine Tätigkeit beim Auswärtigen Amt oder einer internationalen Organisation wie der UN vor. Meine Anwaltsstation verbrachte ich dann bei Oppenhoff & Rädler. Wider Erwarten wurde es meine spannendste Station. Die Tätigkeit im Prozessbereich begeisterte mich so, dass ich dort nach dem Examen gern einsteigen wollte, als man mich fragte.

Sie sind inzwischen Partnerin der Berliner Kanzlei Raue in den Bereichen Prozessführung und Schiedsverfahren, Immobilien und Infrastruktur. Nur ein Jahr nach der Geburt Ihres ersten Kindes wurden Sie zum Counsel und drei Jahre nach der Geburt Ihres zweiten Kindes zur Partnerin ernannt. Wie war das zu diesem Zeitpunkt möglich?

Ich bin jeweils nach ca. einem halbem Jahr mit einer Zweidrittelstelle wieder eingestiegen. Meine Kinder waren also früh fremdbetreut, tagsüber bei einer Kinderfrau oder im Kindergarten, später in einer Ganztagsschule. Ich habe die Kinder an einigen Wochentagen nachmittags abgeholt und mein Mann an den anderen Tagen. Babysitter und Omas haben auch geholfen. An den Tagen, an denen ich das Büro früher verlassen habe, habe ich abends oft noch von zu Hause gearbeitet. Bei internationalen Mandaten war das aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen erforderlich. Flexibilität war und ist ungeheuer wichtig, denn in unserem Job ist vieles einfach nicht planbar. Der Spagat zwischen Familie und Beruf war nicht immer einfach, aber es war eine bewusste Entscheidung: Ich wollte Familie aber auch meine Arbeit an spannenden Mandaten nicht aufgeben.

 

Die Sozietät war bereit, auch reduzierte Arbeitszeit zu ermöglichen. Eine Teilzeittätigkeit erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, Logistik und Koordination. Dass die Elternzeit aus meiner Sicht nicht das Ende meiner beruflichen Ambitionen bedeuten sollte, habe ich in der Kanzlei vor meiner jeweiligen Auszeit klar kommuniziert. Ich wollte nach meiner Rückkehr nicht nur im „backoffice“ arbeiten. Dazu muss man vor allem auch intern sichtbar bleiben und deutlich machen, dass man trotz reduzierter Tätigkeit verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen kann und möchte. Nur wenn die Kollegen wissen, wann und in welchem Umfang man verfügbar ist, wird man weiterhin in anspruchsvolle Mandatsarbeit mit eingebunden. Und wenn Kollegen positive Erfahrungen gemacht haben, spricht sich das herum. Am Anfang gab es teilweise Skepsis, aber das hat sich in der praktischen Zusammenarbeit gelegt. 

Gab es auch Phasen, in denen es nicht gut lief? Was raten Sie jungen Eltern für einen gelungenen Wiederein- und Aufstieg in der Kanzlei?

Es gibt immer wieder Phasen, wo trotz guter Planung so viel Unvorhergesehenes passiert, dass man an seine Grenzen stößt. Insbesondere Krankheiten und plötzlicher Betreuungsausfall können alles durcheinander werfen, gerade wenn die Kinder noch sehr jung sind. Wichtig ist in solchen Situationen, dass sich beide Partner gegenseitig unterstützen und man gemeinsam versucht, Termine umzuplanen und Betreuungslöcher zu stopfen. Daher sollte man sich im Vorfeld auch gemeinsam überlegen, wie wichtig die eigene Karriere für die Lebensplanung ist, welchen Stellenwert sie für den Partner hat, welche Karriereschritte bei beiden Partnern demnächst anstehen und wie man sich in der jeweiligen Lebensphase abstimmen und unterstützen kann.

Gleichfalls muss man sich selbst überlegen, welche Rollenbilder man im Kopf hat. Die Vorstellung, eine „perfekte Mutter“ sein zu wollen, ist heutzutage immer noch bei vielen Frauen verbreitet, die sich damit häufig selbst stark unter Druck setzen. Ich rate allen jungen Eltern, sich vom Perfektionismus zu verabschieden und sich auch von Erwartungen Dritter zu lösen. Man muss selbst entscheiden, welche Familienrolle man übernehmen möchte. Das Ideal der Vollzeitmutter ist in vielen Köpfen noch verbreitet. Ich halte dies für überholt – genauso wie die Vorstellung, dass man nur in Vollzeit den hohen Mandantenanforderungen genügen kann.

Der Wiedereinstieg in den Kanzleialltag ist heute meines Erachtens insgesamt einfacher als früher. Denn Dank fortgeschrittener Technik ist das mobile Arbeiten deutlich leichter geworden. Das schafft größere Flexibilität. Auch das Thema Elternzeit hat heute einen anderen Stellenwert. Wichtig ist auch hier klare Kommunikation: Wann komme ich zurück, welche Kapazitäten habe ich dann, in welchem Umfang kann ich flexibel arbeiten? Das ist jeweils von individuellen Umständen abhängig, es gibt keine Einheitslösung. Dies sollte man mit dem Arbeitgeber im Vorfeld abstimmen.

Was sagen Sie zu der bisweilen vertretenen Ansicht, die beste Zeit für Nachwuchs sei sehr früh in der Karriere, möglichst noch im Studium, oder sehr spät, wenn die größten Ziele erreicht sind?

Meiner Erfahrung nach kann man nicht pauschal sagen, wann der günstigste Zeitpunkt für Nachwuchs ist. Diese Entscheidung ist abhängig von zu vielen Faktoren, als dass man eine Empfehlung aussprechen könnte, die für alle Paare oder Familien gleichermaßen gilt. Für mich war es hilfreich, erst ein paar Jahre in Vollzeit gearbeitet zu haben, bevor die Kinder kamen. In dieser Zeit habe ich viel Erfahrung in der Mandatsbearbeitung sammeln und mir eine gewisse Routine in verschiedenen Arbeitsabläufen aneignen können, von der ich besonders nach der Geburt meiner Kinder profitieren konnte. Außerdem nimmt die Möglichkeit, eigenständig zu arbeiten mit wachsender Seniorität zu. Das schafft mehr Freiraum bei der Planung des Arbeitsalltags, was ich persönlich als sehr hilfreich empfand. Aber einen idealen Zeitpunkt? Wichtig ist, dass man sich überhaupt für Kinder entscheidet. Alles andere fügt sich erfahrungsgemäß.

Haben Sie die Väter unter Ihren Kollegen beneidet, die immer den Rücken freigehalten bekommen haben?

Nein, nie! Ich möchte die Zeit, die ich mit meinen Kindern verbracht habe, um keinen Preis missen und schätze das auch heute noch sehr. Die Lebensphase, in der man die Kinder aufwachsen sieht, ist vergleichsweise kurz und man sollte sie nach Möglichkeit nicht verpassen. Dazu gehört Anwesenheit im Alltag und nicht nur im Urlaub oder mal am Sonntag. Ich habe männliche Kollegen bedauert, die gar keine Chance gehabt haben, ihre Kinder richtig kennen zu lernen, weil sie ihre Zeit fast ausschließlich im Büro verbracht haben. Das wäre nichts für mich.

Mittlerweile sind Ihre Kinder 12 und 15 Jahre alt. Wie gestalten Sie heute das Familienprojekt neben Ihrer Tätigkeit?

Grundsätzlich wird die Gestaltung des Alltags mit zunehmendem Alter der Kinder leichter. Inzwischen sind meine Kinder unter der Woche regelmäßig selbst oft bis abends beschäftigt – durch Schule, Hobbies und Verabredungen mit Freunden.

Allerdings merke ich, dass meine Anwesenheit zuhause jetzt mindestens genauso wichtig ist wie früher. Die Herausforderungen in der Erziehung ändern sich. Mit größeren Kindern nimmt auch der Diskussionsbedarf innerhalb der Familie zu und die Verfügbarkeit der Eltern für die Kinder bleibt wichtig. Die Themen sind andere als früher, das Gefühl, gebraucht zu werden, aber nicht.

Sie haben den Verein „Working Moms“ in Berlin gegründet. Was sind die Ziele dieses Projekts? 

 

Die Working Moms sind ein Netzwerk, das sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzt. Wir haben einen Bundesverband und in vielen Städten lokale Vereine, die regelmäßig Treffen veranstalten. Dort gibt es Vorträge zu ganz unterschiedlichen Themen rund um die Themen Karriere und Familie. Ziel ist es, ambitioniert berufstätigen Müttern ein Forum zum Austausch zu bieten und Frauen zu ermutigen, sich sowohl für Familie wie auch für berufliche Karriere zu entscheiden. Es hilft ungemein, sich über Vorbehalte gegenüber dem eigenen Modell auszutauschen und von den unterschiedlichen Erfahrungen anderer Frauen in ähnlichen Situationen zu profitieren. 

Sollten nicht gerade diese Themen auch die Väter beschäftigen, damit Müttern die Last der Verantwortung abgenommen wird? Eine Frage, die auch wir von breaking.through uns stellen: Ist vielleicht eine Geschlechtertrennung bei der Behandlung von Vereinbarkeitsfragen gar nicht mehr sinnvoll?

Unbedingt, ja. Ohne Männer geht es nicht. Solange sich aber in der Realität noch der deutlich größere Anteil an Frauen mit der Vereinbarung von Familie und Beruf, Teilzeittätigkeiten, etc. beschäftigen muss, bleibt unser Ziel bei den Working Moms in erster Linie der Austausch der betroffenen Frauen untereinander.

Insgesamt denke ich aber, dass langsam ein Umdenken bemerkbar wird. In unserer Sozietät ist festzustellen, dass auch die jüngeren männlichen Kollegen mehr als einen Monat Elternzeit nehmen und den Anspruch haben, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Sie überlassen die Familienarbeit nicht automatisch ihren Partnerinnen sondern engagieren sich weit mehr, als dies früher üblich war. 

Raue hat mit 20 % einen vergleichsweise hohen Anteil an weiblichen Partnerinnen; aber es gibt noch Raum nach oben. Was können Sie als Führungskraft in einer Großkanzlei tun, um Frauen beim Aufstieg zu fördern? 

Wir ermutigen Frauen, sich auf den Karrieretrack zur Partnerschaft einzulassen. Es gibt sicherlich Berufsfelder, bei denen sich Familie und Job einfacher vereinbaren lassen. Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Mentoringprogramme, flexible Arbeitszeiten, und Teilzeitmodelle sind Bausteine, die eine Hilfestellung auf diesem Weg bieten können. Natürlich gibt es im Rahmen des Raue-Campus, unseres kanzleieigenen Fortbildungsprogramms, auch Workshops, die sich besonders auf die Themen konzentrieren, die Frauen betreffen, beispielweise Präsentationstraining für Frauen. Wichtiger als solche formalisierten Programme ist aber meines Erachtens das generelle Klima in der Kanzlei, und die Bereitschaft, weibliche Kolleginnen aktiv zu unterstützen. Bei uns gibt es einige Equity Partnerinnen, die Familie haben und reduziert arbeiten. Die Kanzlei zeigt so, dass dies möglich ist und die Unterstützung von Frauen nicht nur ein reines Lippenbekenntnis ist. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man den Bedürfnissen von Mandanten nicht nur im Rahmen einer Vollzeittätigkeit genügen kann. 

Ich habe Sie vor einiger Zeit in einer Gerichtsverhandlung erlebt. Obwohl Sie eine sehr ruhige Art haben, ist der Saal still, wenn Sie sprechen. Wie machen Sie das?

Das ist schwer zu sagen. Mit der Zeit gewinnt man an Erfahrung und Routine und strahlt das vielleicht auch aus. Dadurch vermittelt man in solchen Situationen Kompetenz. Es gibt aber leider kein Patentrezept dafür, sich Gehör und Respekt zu verschaffen. Bestimmte Dinge wie Stimmlage und Rhetorik kann man trainieren. Genauso wichtig sind aber Selbstbewusstsein und die Überzeugung: Ich kann das! Nur dann kann man authentisch auftreten.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Spaß – und was am wenigsten?

Ich wollte nie einen langweiligen Job, sondern eine abwechslungsreiche Tätigkeit. Die habe ich. Mir macht am meisten Spaß, dass kein Fall wie der andere ist. Ein Anruf oder eine E-Mail und der Tag nimmt plötzlich eine ganz andere Wendung, weil ein Mandant ad hoc Unterstützung benötigt. Dann muss man umplanen, neu priorisieren und sich in die neue Situation hineindenken. Mit jedem Mandat lernt man etwas dazu, erhält Einblicke in ganz unterschiedliche Branchen oder Unternehmenskonzepte und lernt die verschiedensten Menschen kennen. Das bleibt auch nach zwanzig Jahren Berufstätigkeit immer wieder spannend. Es ist äußerst erfüllend, mit Mandanten gemeinsam ein Ziel zu erreichen und das Gefühl zu haben, mit der eigenen Arbeit einen guten Beitrag zur Unterstützung geleistet zu haben.

Am wenigsten Spaß macht der administrative Teil des Partner-Daseins, mit dem man leider auch viel Zeit verbringen muss. 

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso? 

Ich durfte Jutta Limbach als Justizsenatorin in Berlin erleben. Ich habe damals ein studienbegleitendes Praktikum in der Pressestelle bei der Senatsverwaltung für Justiz gemacht. Jutta Limbach hat mich durch ihre herzliche und authentische Art beeindruckt. Sie hat es geschafft, nahbar und warmherzig zu sein, ohne belächelt zu werden. Sie war ohne Frage eine Respektsperson. Als erste und bisher einzig weibliche Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts hat sie sowohl eine großartige juristische Karriere gemacht, dabei jedoch nicht auf Familie verzichtet. Sie ist für mich daher ein Vorbild nicht nur als Juristin, sondern auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da sie leider 2016 verstorben ist, kann ich sie auf diesem Weg nur posthum nominieren.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 23. November 2019. Das Interview führte Jantje Niggemann.

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