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Abir Haddad

Dr. Abir Haddad im Porträt

Mehrere Kulturen und Sprachen, die ich in mir trage, machen mich reicher.

Dr. Abir Haddad berichtet im Interview über ihre Tätigkeit als Rechtsberaterin bei der UN, über sich als multikulturelle Juristin und authentisches Netzwerken.

​Abir, Du berätst die UN. Wie kam es dazu, dass Du Legal Advisor wurdest und wie kann man sich Deine Beratungstätigkeit vorstellen?

Ich war während meiner Promotion als Volunteer beim Weltklimagipfel tätig und hatte das große Glück, direkt im UN-Sekretariat eingesetzt zu werden. So bekam ich einen Einblick in die Tätigkeit des Sekretariats und durfte sofort mit anpacken – naja, erst nachdem ich gedrängt hatte. Für mich war es klar: Mit diesem Chef und diesem Team will ich arbeiten! Jetzt arbeite ich an meinem Herzensprojekt und kann meine Ideen und mein Wissen sehr gut einsetzen. Ich verwende die Rechtsvergleichung in Kombination mit Futurism, um Gesetzesentwürfe zu konstruieren, die uns in der Zukunft zu einer nachhaltigeren Welt verhelfen sollen. Also wieder durch Engagement zum Glück!

Außerdem unterrichtest Du am Institut für internationales Privatrecht der Universätit Köln das moderne Recht arabischer Staaten. Wolltest Du schon immer in die Lehre?​

Ich wollte schon immer lehren, ja. Ich liebe es, komplizierte Zusammenhänge zu vereinfachen und anderen zu erklären und damit Wissen zu vermehren. Ich stelle mich unglaublich gerne Fragen anderer und lass mich in Diskussionen herausfordern. Mit Studierenden bleibt man/frau immer demütig, weil sie alles in Frage stellen. Es war relativ klar für mich, dass ich in die Fußstapfen meines ehemaligen Doktorvaters Prof. Hilmar Krüger treten werde. Deshalb versuche ich, das Thema Recht arabischer Staaten in Köln aufrecht zu erhalten und habe auch die Arbeitsgruppe „Rechtspraxis im arabischen Rechtsraum“ gegründet.

Du bist mit 12 Jahren aus dem Irak über mehrere Länder nach Deutschland gekommen und hast dann erst Deutsch gelernt. Deine Doktorarbeit hast Du nun mit der höchsten Auszeichnung "summa cum laude" abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Was bedeutet diese herausragende Bewertung für dich?

Eigentlich bedeutet es nur, dass ich die Jahre der Promotion durchgehalten habe mit all den Durststrecken, der Einsamkeit und den Rückschlägen. Und das, weil die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten einfach zu groß ist.

Ich bin sehr dankbar für die Auszeichnung – aber die Promotionszeit an sich, vor allem mit den ganzen Forschungsreisen, dem Lernen von anderen Rechtskreisen und die Freiheit – das war die beste Belohnung.

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Was kannst du Jurist*innen für das Gelingen einer Doktorarbeit raten?

Für diejenigen, die noch nicht begonnen haben: Macht es nur, wenn ihr Spaß habt am Prozess selbst und ihr Genugtuung am wissenschaftlichen Arbeiten empfindet. Der Titel lohnt sich nicht.

 

Für die, die mittendrin sind: Die Promotion ist wie ein Baby. Irgendwann müsst ihr sie abgeben, gehen lassen, der Bewertung und auch der Kritik aussetzen. Das ist ok. Das Leben geht weiter.

Fachlich beschäftigst Du Dich rechtsvergleichend mit dem Recht und wie es in Zukunft sein sollte. Was sind die Key Learning für Dich dabei?

- Wir können viel mehr von anderen Rechtsordnungen lernen als wir meinen.  

Für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft müssen wir Recht radikal anders denken und verstehen. dabei können uns Rechtsverständnisse anderer Kulturen helfen - nicht nur kodfiziertes Recht

- Wir können die Klimakatastrophe nicht abwenden, wenn wir nicht Normen und Werte anderer Naturvölker uns zueigen machen und von ihnen lernen. 

Ich könnte noch so viel mehr aufzählen.

Du bezeichnest Dich selbst als multikulturelle Juristin. Was verstehst Du unter diesem Begriff?​

Ich stelle auf den jetzigen Zeitpunkt ab und nicht auf die Vergangenheit. Deshalb mag ich den Begriff „Migrationshintergrund“ nicht. Ich bin multikulturell, weil ich mehrere Kulturen und Sprachen in mir trage, was mich schon mal reicher macht – das erlaubt mir andere Denkansätze, erweitert meinen Horizont und erhöht meine Agilität und Flexibilität. Was bisher durch die Projektion der Mehrheitsgesellschaft immer mein Nachteil war, mache ich jetzt zu meinem Vorteil. Das fängt schon mit der richtigen Wortwahl an.

Mentor*innen spielen in Deinem Leben eine große Rolle. Wie findet man eine*n passende*n Mentor*in?

Ich habe meine Mentorinnen oder Mentoren nie taktisch gesucht, sondern mich mehr oder weniger verliebt und habe es auch nie versteckt. Wenn ich dieses Gefühl verspüre: Wow, von ihr oder ihm kann ich was lernen, dann frage ich einfach und drücke meine Bewunderung und Begeisterung ganz offen aus. Ich frage dann konkret, ob ich von ihnen lernen darf.

Du hast Dir Dein berufliches Netzwerk komplett selbst aufgebaut. Was versteht Du unter Netzwerken und welche Empfehlungen hast Du für ein nachhaltiges Netzwerk?​

Da ich nicht auf ein bestehendes Netzwerk meiner Eltern zurückgreifen konnte, musste ich relativ früh lernen, mein eigenes zu bauen.

 

Nachhaltiges Netzwerken ist ein toller Begriff. Ich habe es bisher als authentisch Netzwerken bezeichnet, was für mich bedeutet, ehrliche und authentische Beziehungen zu pflegen. Der größte Partner einer Kanzlei kann mir gegenüberstehen und mich anlächeln, ich gebe ihm nicht mal die Hand, wenn er vorher die Sekretärin arrogant behandelt hat. Hingegen gestehe ich sofort meine Bewunderung, wenn ich eine beeindruckende Persönlichkeit sehe und bin mir nicht zu schade, immer wieder den Kontakt herzustellen. 

Während einer hochrangigen UN-Konferenz bin ich einmal zu einer australischen Expertin in der Pause gegangen und habe sie gefragt, wie sie den Mut aufbringen kann mit großem Ausschnitt, roten Nägeln und Lack-High Heels auf einer solchen Konferenz aufzutreten. Ich will dieses Selbstbewusstsein auch lernen. Ganz offen und ehrlich. Sie war überrascht. Seitdem sind wir enge Freunde.

Auf Instagram und LinkedIn bist Du sehr erfolgreich - Du hast zahlreiche Follower und Deine Posts rufen regelmäßig weit überdurchschnittliche Reaktionen hervor. Was ist Dein Erfolgsrezept für soziale Netzwerke?​ 

Das kann ich wirklich nicht sagen, da ich es selbst nicht so empfinde. Ich entwickele sehr schnell Ideen, aber die wenigsten schaffen es tatsächlich in die Posts, weil mir einfach die Zeit fehlt, die Entwürfe verständlich zu überarbeiten. Was mir wiederum leid tut, weil ich weiß, wie sehr vor allem meine persönlichen Posts jungen Frauen helfen.

Ansonsten bin ich meist damit beschäftigt, den Moment zu genießen, statt über den Moment zu schreiben oder Bilder zu machen. D.h. meine größten Abenteuer oder Errungenschaften sind gar nicht auf social media sichtbar. Aber vielleicht ist es das: Ich bin einfach ich und sehr authentisch und habe keinen Plan. Ganz im Gegenteil.

Du bist nicht nur im juristischen Bereich eine gefragte Speakerin, sondern hältst auch Vorträge über Zeitmanagement. Was führt zu einem guten Zeitmanagement?

Die eigene Vision und die Priorisierung der Rollen im Leben. Manchmal ist das einfacher, manchmal schwerer. Es gibt Phasen, in der du deine Vision und Prioritäten suchst und wenn du sie gefunden hast, dann brauchst du Disziplin, um dran zu bleiben. Um genau diese Ambivalenz abzudecken, habe ich seit einigen Jahren einen Kalender für mich entwickelt, der meiner sehr kreativen und Ich-will-alles-auf-einmal-Persönlichkeit gerecht wird. Mit Hilfe des Kalenders kann ich an meinen Prioritäten arbeiten und ein spaßiges Leben führen. Die Philosophie hinter dem Kalender unterrichte ich dann in meinen Workshops. Btw: Spaß und Party sind bei mir einer der Prioritäten.

Du hast Deine Kinder im Studium bekommen. Wie klappt es, neben der fordernden juristischen Ausbildung noch zwei Kinder zu erziehen?

Sehr gut, wenn du dir erlaubst, zu nehmen, was du brauchst! Ich bin jedenfalls sehr glücklich mit der Entscheidung, auch wenn ich dadurch natürlich in allem länger gebraucht habe. Die schwierigen Phasen waren nie durch die Kinder verursacht, sondern immer durch den Druck und Erwartung der Gesellschaft um mich herum. Manchmal konnte ich es gut abschalten, manchmal nicht.

Ich habe mir aber erlaubt, die Zeit mit den Kindern zu genießen, jeden Moment auszukosten und selbst meine Kindheit wieder zu erleben. Ich habe mir das Geschenk gemacht, mit ihnen wachsen zu dürfen, an ihrem schönen Wesen mich zu erfreuen. Ich bin meinen Kindern auch sehr dankbar dafür. Ohne meine Kinder wäre ich bestimmt nicht die „erfolgreiche“ Frau, die du vor dir siehst. Und erzogen habe ich sie nicht wirklich – sie haben eher mich erzogen.

Du wirst oft als "Nomadin" bezeichnet und bist gerne auf Abenteuer. Was bedeutet es für Dein alltägliches Leben und wie kannst Du es mit Familie vereinbaren?

Es liegt wohl an meiner Lebensgeschichte, dass ich immer wieder Neues entdecken und mich selbst herausfordern will – sowohl geistig als auch körperlich. Ich verbringe gerne Zeit alleine auf einer tropischen kleinen Insel in Japan, schlafe allein in Höhlen oder gehe auf Jagdtour in der Wüste mit Beduinen (das Naturvolk im Nahen Osten). Anfangs war es sowohl für meine Familie und meinen Freundeskreis befremdlich, aber irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, die „Verrückte“ zu sein. Auf diesen Reisen weiß niemand, wer ich bin und was ich alles erreicht habe, daher kann ich uneingeschränkt ich selbst sein und lerne mich dadurch viel besser kennen.

Wenn Du ein Buch oder einen Podcast empfehlen würdest, welches bzw. welcher wäre es?

Mein evergreen seit ich 15 bin, ist definitiv Faust – die Tragödie erster Teil, für die Liebhaber auch der zweite Teil. Zur Zeit höre ich die Audioversion gelesen von Will Quadflieg. Ein Genuss! Auch wenn du die gleiche Stelle schon 100 mal gelesen hast, immer wieder entdeckst du etwas Neues. Ganz nach dem Motto: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. (Sagte der Erdgeist zu Faust im Studierzimmer)

Podcast? Absolut klar: MyGrandStory

Hast Du Vorbilder gehabt, die Dich geprägt haben?

Seit meiner Jugend und Studienzeit sind es Prof. Herta Däubler-Gmelin und Helmut Schmidt. Bei Prof. Däubler-Gmelin habe ich mich getraut und ihr meine Liebe gestanden. Sie begleitet mich seit fast zehn Jahren als Mentorin und zweite Mutter. Helmut Schmidt habe ich viele Briefe geschrieben, aber nie getraut abzuschicken. Dann kannst du dir vorstellen, wie traurig ich war über die Nachricht seines Todes. Also traut euch, bevor es zu spät ist.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Absolut klar: Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin. Meine absolute Heldin.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast! 

Köln, 20. August 2021. Dr. Abir Haddad hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellten Dr. Nadja Harraschain und Jennifer Seyderhelm.

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