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Alisia Liebeton

Alisia Liebeton im Porträt

Man braucht keine Scheu haben, unperfekt zu starten.

Alisia Liebeton, selbstständige Anwältin, im Interview über die eigene Kanzleigründung, Tipps für die Selbstständigkeit und Social Media zur Mandatsakquise.

Alisia, Du arbeitest als Einzelanwältin in den Bereichen Familien-, Sozial-, Betreuungs- und Mietrecht. Wie verläuft ein normaler Arbeitstag bei Dir?

Ich stehe gegen 6 Uhr auf und mache die Mädels fertig. Die beiden gehen um 7:30 Uhr in die Kita und um 8 Uhr starte ich spätestens mit der Arbeit. Heute Vormittag musste ich zum Beispiel ins Krankenhaus wegen einer betreuungsrechtlichen Angelegenheit. Ich habe mir meine Woche so strukturiert, dass ich Dienstag und Donnerstag (Mandant*innen-) Termine habe und die übrigen Tage Bürotage sind. Einen Tag in der Woche bin ich noch in meiner Zweigstelle in Düsseldorf und nehme dort Präsenztermine wahr. Mein Arbeitstag hört entweder so gegen 15 Uhr oder 17:30 Uhr auf. Meine Arbeitsprodukte sind ganz verschieden: Kurze Schriftsätze diktiere ich, lange Schriftsätze schreibe ich selbst auf. In betreuungsgerichtlichen Fällen stelle ich häufig Anträge auf Sozialleistungen oder telefoniere mit anderen Beteiligten. Kein Tag gleicht dem anderen – dennoch habe ich mir eine gewisse Struktur geschaffen.

Alle drei Wochen habe ich abends ein Netzwerktreffen mit Anwält*innen. Grundsätzlich mache ich tagsüber die Arbeit für die Kanzlei und die Abende nutze ich, um andere Projekte voranzubringen. Ich erstelle zum Beispiel Grafiken und Content für Social Media. Um 22 Uhr gehe ich dann schlafen. Mir hilft es, meine Monate, Wochen und Tage genau zu strukturieren und auch sehr kleine Schritte dafür aufzuschreiben.

Du hast Dich direkt nach dem zweiten Examen als Einzelanwältin selbstständig gemacht. Wie verlief Dein Weg von der Idee bis zur Gründung?​

Im Referendariat habe ich eine Station bei einem Einzelanwalt hier in der Stadt gemacht und das hat mir gut gefallen. Ich habe da einen guten Einblick bekommen und auch mal das Telefon und andere Arbeiten neben dem klassischen Bearbeiten von Fällen übernommen und dabei viel gelernt und gedacht, das würde ich gerne selbst alles machen.

Die Alternative wäre es für mich gewesen, als Juristin bei einer Krankenkasse anzufangen. Mit der Unterstützung von meinem Stiefvater habe ich nach dem Examen eine Immobilie gesucht und das alte Pfarrhaus hier im Ort gefunden, wo ich mit meiner Familie wohne. Im ehemaligen Pfarrbüro befindet sich heute meine eigene Kanzlei. Ich habe immer gedacht: es wird schon irgendwie klappen. Das sage ich mir heute noch. Für mich war immer klar, dass ich alleine gründe, weil ich Gruppenarbeit in der Schule schon gehasst habe.

Neben Rechtsgebieten, die ich aus dem Studium schon ausführlich kenne, wie das Miet- und das Familienrecht, habe ich mir das Sozialrecht ausgesucht, weil ich festgestellt habe, dass das hier in unserer Kleinstadt eine unbesetzte Nische für mich ist. Ich habe mich eingelesen und verfolge stets die aktuelle Rechtsprechung. In Betreuungssachen habe ich mich auch erst einarbeiten und einlesen müssen. Das mache ich immer wie im Studium, schaue mir Rechtsprechung an und die entsprechenden Vorschriften und schreibe mir wichtige Dinge auf. Neben dem Fachwissen braucht man natürlich auch einfach Mut, um seine eigene Kanzlei zu gründen.

Seit zwei Jahren habe ich eine Auszubildende, davor habe ich mehrere Angestellte gehabt und es auch zeitweise alleine gemacht. Eine Schwachstelle am Anfang ist einfach, dass man nicht weiß, wie man Chefin ist, wie man das gut macht. Ich habe viele Bücher dazu gelesen und werde demnächst ein Führungs-Coaching machen.

Welche Strategie hast Du Dir vor der Gründung für Deine Kanzlei überlegt? Welche Tipps hast Du diesbezüglich für Anwält*innen, die gründen wollen?

 

Am Anfang habe ich auf meine Homepage geschrieben, dass ich alles mache. Es ist ratsam, anfänglich alles anzunehmen, um zu üben. Jetzt muss ich das nicht mehr machen, sondern entscheide selbst, was ich gerne mache und was nicht. Als Anwält*in muss man auch lernen, sich von Mandant*innen abzugrenzen, die einem viel Zeit und Nerven rauben. Heute kann ich das in den meisten Fällen beim ersten Termin abschätzen.

Wichtig ist auch, dass man seine Netzwerke vergrößert, um an Fälle zu kommen. Dafür habe ich mich zum Beispiel zeitweise mit dem Frauenhaus vor Ort zusammengeschlossen, um Mandantinnen im Familienrecht zu bekommen. Außerdem habe ich ein Profil auf anwalt.de angelegt, das hilft mir sehr, weil viele Mandant*innen über gute Bewertungen zu mir kommen.

Außerdem muss man keine Scheu haben, unperfekt zu starten. Meine erste Homepage habe ich selbst gemacht und meine Fotos waren nicht professionell und es hat trotzdem geklappt. Man braucht auch keine "Dicke Hose" Räume. Ich habe mein Büro mit Second-Hand-Möbeln eingerichtet und mein Mann hat die Wände gestrichen.

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Du bist aktiv auf Facebook und Instagram. Wie nutzt Du Social Media für Deine Kanzlei und was sind weitere Wege für Dich, um Mandant*innen zu akquirieren?

Facebook nutze ich nur für Akquise und poste dort Grafiken mit Rechtstipps. Bei Instagram mache ich abwechselnd Rechtstipps und andere Themen, die mich auch privat beschäftigen. Das Feedback, das ich dafür bekomme, ist, dass ich dadurch total authentisch und nahbar wirke. Es ist für mich wie ein Hobby. Aus meiner Präsenz ergeben sich für mich auch viele Möglichkeiten, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Die neue Homepage ist mit einem Webseiten Designer entstanden, der mich über Social Media angeschrieben hat. Auch eine Podcasterin habe ich dadurch kennengelernt. Mich schreiben auch Mandant*innen darüber an, weil die Hemmschwelle niedriger ist. Social Media ist für mich auch ein Weg, meine Vorbildfunktion sichtbar zu machen.

 

Rechtliche Expert*innenartikel platziere ich auf meinem Blog, auf Instagram und auf anwalt.de. Mandant*innen kommen zu mir nicht nur aufgrund von Bewertungen, sondern auch aufgrund meiner Sichtbarkeit auf Social Media.

Du bist seit über fünf Jahren selbstständig. Welchen Rat würdest Du Deinem jüngeren Ich geben? Welche Annahmen in Bezug auf die Arbeit als selbstständige Anwältin haben sich als richtig und welche vielleicht als weniger richtig herausgestellt?

Zum einen würde ich sagen: Gerade wenn etwas negativ läuft, muss man das nicht immer zu ernst nehmen. Ich habe am Anfang einen Brief von der Kammer bekommen, dass ich einen Interessenkonflikt vertreten hätte in einer familienrechtlichen Angelegenheit. Ich saß hier und dachte, okay das war es. Es hat sich dann aber alles zu meinen Gunsten aufgeklärt. Man verfällt am Anfang einfach schnell in Panik, wenn man denkt, man hätte irgendeinen Fehler gemacht. Mein Rat: Gelassen bleiben und nicht in Panik verfallen. Der Mandant ist in der Regel dein Freund und nicht dein Feind. Den Umgang mit Mandant*innen ist auch etwas, was man lernen muss. Nicht nur super freundlich, sondern auch vorsichtig und zurückhaltend sein gehört dazu, denn der Mandant von heute kann leider auch am Ende zum Feind von morgen werden.

Zum anderen ist es wichtig, realistisch zu planen und ordentlich zu arbeiten. Ich habe einen Businessplan für meine Kanzlei geschrieben. Dort habe ich die Anzahl der Mandate aufgeschrieben, die ich jedes Jahr anlegen möchte und habe sie bis jetzt jedes Jahr übertroffen. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Mandant*innen kommen, dass man aktiv ablehnen muss.

Bevor ich gegründet habe, war ich bei meiner Bank, um ein Finanzierungskonzept zu erarbeiten. Dort wurde mein Plan, mich selbstständig zu machen, nicht unterstützt. Dann bin ich zu einer anderen Bank gegangen, sie haben zugesagt und sind bis heute großer Fan von mir. Wenn einer mal sagt, das wird nichts, dann muss man einfach woanders hingehen und nicht aufgeben.

Was macht für Dich eine gute Anwältin aus?​

Eine gute Anwältin ist für mich eine, die zuverlässig und nachhaltig arbeitet und auch mal über den Tellerrand schaut. Das Gesamtpaket, das man liefert, muss stimmen. Ganz oft schneiden Mandant*innen auch andere Bereiche an und die wissen dann, Frau Liebeton guckt überall mal drüber und denkt mit.

Wie gehst Du mit Zweifeln und Misserfolgen um?

Ich versuche gelassen zu bleiben. Aber natürlich habe auch ich Zweifel. Ich habe für mich angefangen, ein Erfolgsjournal zu schreiben. Alle Sachen, die gut gelaufen sind – das kann ein erfolgreicher Widerspruch oder eine gute Verhandlung gewesen sein –  schreibe ich in dieses Journal. Wenn ich Zweifel habe, dann schaue ich mir das an und denke, ich habe schon so viel geschafft, das Nächste werde ich jetzt auch noch schaffen. Die guten Dinge vor Augen führen, dann hören auch die Zweifel auf.

Die Gründung Deiner Kanzlei fiel bei Dir auch mit der Familiengründung zusammen. Welche Vor- und Nachteile hat die Selbstständigkeit für Dich beim Thema Schwangerschaft und Kinder?​

 

Ich habe mich 2015 selbstständig gemacht und 2016 und 2018 sind meine Mädels geboren. Nach der ersten Geburt bin ich fünf Tage zu Hause geblieben und nach der zweiten Geburt sieben Tage. Im ersten Jahr habe ich dann jeweils reduziert 30 Stunden in der Woche gearbeitet.

 

Großer Vorteil der Selbstständigkeit ist für mich die freie Zeiteinteilung. Ich konnte alle Untersuchungen so legen, dass mein Mann und ich immer beide dabei waren. Gerichtstermine muss ich natürlich einhalten, aber sonst kann ich mir meine Arbeitszeit frei einteilen. Wenn das Wetter schön ist, kann ich mal frei machen. Wenn ein Kind krank ist, kann ich selber die Betreuung übernehmen.

 

Ich habe zwei Prioritäten in meinem Leben: Das sind meine Familie und die Arbeit. Die Familie geht vor. Deshalb mache ich auch z.B. an Geburtstagen konsequent frei.

 

Der Nachteil der Selbstständigkeit ist, dass ich alleine für meine Arbeit verantwortlich bin. In der ersten Schwangerschaft war ich zum Beispiel sehr müde abends und in der zweiten war ich teilweise von Übelkeit geplagt. Hätte das länger angehalten, wäre es natürlich schwer gewesen, gleichzeitig zu arbeiten. Ich habe mich auch gegen das Stillen entschieden und auch keine richtige "Wochenbett-Zeit" mit meinen Kindern gehabt, weil ich bald nach der Geburt wieder gearbeitet habe. Meinen Kindern hat es nicht geschadet, die kennen es auch nicht anders. 

Du und Dein Mann haben zwei kleine Töchter. Wie vereinbart ihr Familie und Beruf?​ 

Wir arbeiten beide in Vollzeit. Bis jetzt arbeitet mein Mann in einem Drei-Schicht-System. Vormittags sind die Kinder in der Kita. Ich passe mich den Schichten meines Mannes an, wenn er gearbeitet hat, habe ich die Kinder genommen und anders herum. Mit einem Jahr sind die beiden zu einer Tagesmutter gegangen. Sie wurde dort von 08:00 bis 15:00 Uhr betreut. Mein Mann oder ich haben sie dann abgeholt.

Meine Mutter unterstützt uns auch bei der Kinderbetreuung. Die Kinder haben einen festen Oma-Tag in der Woche. Dies bietet mir die Möglichkeit, auch mal Zeit für mich zu haben.

Im Vorgespräch hast Du von einer Situation erzählt, in der Du Dich als arbeitende Mutter benachteiligt gefühlt hast. Wie gehst Du damit um?

Es war quasi ein Bewerbungsgespräch für weitere Betreuungen und mir wurde suggeriert, dass man das als Mutter nicht schafft und bei mehr Arbeit irgendwann zusammenbricht. Ich bin da bestärkt rausgegangen und habe gedacht, dann muss man den Leuten zeigen, dass es doch möglich ist. Man schafft das. Auch wenn man Mama ist. Da entwickele ich eine "Jetzt erst Recht" Haltung.

Es ist natürlich auch so, dass wir hier auf dem Land wohnen und da ist die Einstellung zu arbeitenden Müttern natürlich auch speziell. Das merkt man manchmal am Unterton der Leute. Da stehe ich drüber.

Du bist Rechtsexpertin bei der Female MasterClass, einer Plattform für Neugründerinnen. Welche Bedeutung haben für Dich als Unternehmerin Expert*innenwissen und Netzwerken?

Netzwerken ist extrem wichtig. Ich bin in einem Netzwerk für Anwält*innen, Mastermind Law heißt das, und dort kann man ganz viele Fragen stellen und dann gemeinsam darüber diskutieren. Das ist ein sehr bereichernder Austausch. Alle drei Wochen hält jemand einen Vortrag zu einem bestimmten Thema, in dem er*sie Expert*in ist.

Andere Netzwerke, die vielleicht nicht fachlich sind, sind auch sehr wichtig, um Mandant*innen zu akquirieren.

Ich habe auch ein eigenes Netzwerk gegründet. Female Lawyership steckt noch in den Kinderschuhen. Ich arbeite aktuell sehr viel daran. Bald wird es mehr Informationen geben.

Auf Instagram sprichst Du das Thema Dresscode bei Anwält*innen an. Wie positionierst Du Dich und was könnte zu mehr Diversität in Kleidungsfragen beitragen?

Das Kleidungsthema ist total angestaubt. Erst letzte Woche habe ich noch gelesen, dass Sozialrechtlerinnen quasi die Schluffis unter den Anwältinnen wären. Das ist natürlich Quatsch. Als Anwältin ziehe ich das an, was ich will und verstelle mich da nicht. Einen Hosenanzug habe ich nicht im Schrank hängen. Früher wollte ich immer etwas mit Mode machen, habe mich dann aber für Jura entschieden, die Begeisterung für Mode ist aber geblieben. Am Anfang war ich unentschlossener in meiner Kleiderwahl, jetzt ziehe ich das an, was ich möchte und das kommt auch gut an.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Beeindruckt hat mich Christiane Eymers, bei ihr habe ich einen Inspired Law Circle gemacht. Da habe ich mich zwei Stunden mit sechs Anwältinnen ausgetauscht, alle haben über ihre Sorgen und ihre neuen Projekte erzählt. Sie geht aus der Nische Anwalt*in heraus und nimmt einen mit. Ich finde das cool, wenn man nicht nur Anwältin ist, sondern auch darüber hinaus aktiv ist.

Außerdem inspiriert mich Anna Göbel, die ich in meiner Mastermind Gruppe kennengelernt habe. Sie findet immer die richtigen Worte für familienrechtliche Themen auf Instagram und ist wirklich eine sehr inspirierende Persönlichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast! 

Heidelberg/Heinsberg, 3. Mai 2021. Das Interview führte Jennifer Seyderhelm.

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