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Anne-Ruth Moltmann-Willisch im Porträt

 

"Manchmal muss man Mut haben, Grenzen überwinden und Umwege in Kauf nehmen!"

Anne-Ruth Moltmann-Willisch, Richterin am Landgericht Berlin a. D. und selbständige Mediatorin, über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Implementierung des Güterichterverfahrens in der Justiz und den Weg in die Selbständigkeit.

Anne-Ruth, Du bist in einem Theolog:innenhaushalt groß geworden. Wie bist du zum Jurastudium gekommen?

Gerade weil meine Eltern beide Theolog:innen waren und das in einer universitären Kleinstadt, in der man sehr oft darauf angesprochen wurde, habe ich mir schon früh überlegt, eigene Wege zu gehen. Die Idee, Jura zu studieren entstand dadurch, dass ich schon in jungen Jahren oft mit meinem Vater über Strafzwecktheorien und ähnliches diskutiert habe, was mir viel Spaß bereitet hat. Die Art und Weise, wie ich diskutiert habe und die Tatsache, dass ich schon als junges Mädchen derart meinungsstark gewesen war, hat meine Eltern beeindruckt.

Sie wussten um meine Stärken und haben mich schließlich sehr in meinem Studienwunsch unterstützt. Meine Studienzeit habe ich an den Universitäten Tübingen und Kiel verbracht. Anschließend habe ich noch einen LLM an der Universität Michigan / Ann Arbor in den USA absolviert.

Wie verlief Dein Berufseinstieg nach dem Referendariat?

 

Nach dem Referendariat in Hamburg wollte ich gern in die Rechtsabteilung eines Unternehmens oder in eine Anwaltskanzlei gehen. Ich bewarb mich bei verschiedenen Unternehmen und Kanzleien, hatte aber damals schon mein Augenmerk auf die Kanzlei Berenberg-Gossler, dort speziell auf Rechtsanwältin Dr. Gisela Wild, gerichtet. Sie war mir aus dem Juristinnenbund, für den ich damals in der Untergruppe Hamburg sehr aktiv war, ein Begriff als sehr engagierte Juristin. Meine Bewerbung wurde zunächst abgelehnt. Da ich diesen Job aber wirklich haben wollte, bin ich hartnäckig geblieben. Ich habe um einen persönlichen Termin bei Frau Dr. Wild gebeten und konnte sodann im persönlichen Gespräch überzeugen und hatte schließlich den Job! Manchmal muss man Mut haben, Grenzen überwinden und Umwege in Kauf nehmen!

 

Wie hast Du die beruflichen Möglichkeiten als Frau in dieser Zeit wahrgenommen?

Die Bewerbungen bei den Unternehmen empfand ich als schwierig, denn ich fühlte als jungverheiratete Juristin und das noch mit ebenfalls einem Juristen in den Bewerbungsgesprächen immer einen gewissen Druck, mich in Hinblick auf Familienplanung und beiderseitiger Berufstätigkeit erklären zu müssen. Hinzu kam eine unangenehme Erfahrung aus der Referendarzeit in der Behörde für Inneres, als mir bei der Eröffnung der Beurteilung der Station gesagt wurde, meine Note sei deswegen schlechter ausgefallen als die meines männlichen Kollegen, weil man mir leichtere Fälle gegeben habe. Das hat mich damals bass erstaunt und sprachlos gemacht.

Wie und warum wurdest Du im Anschluss Richterin?

Nach zwei Jahren als Rechtsanwältin rief mich der Präsidialrichter des Oberlandesgerichts Hamburg an und fragte, ob ich nicht Richterin werden wollte. So war das wohl damals, 1984, wenn man in der Referendarstation beim Oberlandesgericht besonders aufgefallen war. Angesichts einer fast unhaltbaren Situation, weil mein Mann ebenfalls Rechtsanwalt in einer Großkanzlei war und unsere beiden Kanzleien in Konkurrenz standen, war das ein attraktives Angebot für mich. Dass wir beide in einer Kanzlei tätig sind, war für mich unvorstellbar, nicht zuletzt wegen der anstehenden Familienplanung. Damals dachte ich mir, dass der Weg zurück in den Anwaltsberuf jederzeit wieder möglich sei, während das Eintrittsalter in den Richterberuf damals durch ein Eintrittsalter von etwa 30 Jahre beschränkt war.

In der Richter:innenprobezeit hast Du Deinen ersten Sohn geboren und bist nach nur sechs Monaten Elternzeit wieder in den Dienst zurückgekehrt. Auch nach der kurz darauffolgenden Geburt Deines zweiten Sohnes hast Du nicht lange ausgesetzt und das in einer Zeit, in der Kinder regelmäßig erst nach dem dritten Geburtstag für einige Stunden in den Kindergarten gingen. Wie hast Du das organisiert?

Das war eine sehr schwierige Zeit. Ich hatte zunächst eine Frau, die sich um das erste Kind kümmerte. Mit dem zweiten Kind zogen wir in die Umgebung von Hamburg. Eine neue Frau für zwei Kinder zu finden, gestaltete sich als sehr problematisch. Zumal wir in einen sehr konservativ geprägten Stadtteil von Hamburg gezogen waren und ich als berufstätige Mutter nicht den besten Stand hatte und mich auch wenig willkommen gefühlt habe. Wir fanden zwar eine Kinderfrau, aber wie oft rief diese mich morgens an meinem Sitzungstag an und meinte, sie könne heute nicht kommen. Eltern und Familie waren nicht zugegen, nur Freundinnen, die gelegentlich einsprangen. Das hat mich physisch und psychisch sehr mitgenommen.

Aus diesen Erfahrungen habe für meine späteren Suchen nach einer geeigneten Betreuungsperson mitgenommen, dass eine verlässliche Kraft am besten gefunden wird, indem man auch den Lebenspartner / Ehemann kennenlernt, der die Arbeit unterstützt und dass man der Betreuungsperson freie Hand lässt, mit dem Haushalt und den Kindern so umzugehen, wie sie es für richtig hält und diese in die Familie integriert. Das ist mir zugegebenermaßen natürlich nicht immer leichtgefallen. Rege in Erinnerung ist mir hier zum Beispiel, dass die Kinderfrau, die dann schließlich 23 Jahre bei uns fest angestellt war, den Kindern gern so eine Art „panierte Wurst“ zubereitete. Die Kinder liebten das! Ich hingegen hätte mir manches Mal mehr Gemüse auf dem Teller der Kinder gewünscht. Natürlich muss die Betreuungsperson auch angemessen bezahlt werden. Das führte dann bei mir dazu, dass fast die Hälfte meiner Besoldung für die Kinderbetreuung drauf ging. Aber mir war es wichtig zu arbeiten, weil ich auch gern arbeitete und so nahm ich das, und dass es zu oft panierte Wurst gab, gern in Kauf!

Du hast in Deiner Richter:innenkarriere von der Möglichkeit der Erprobung keinen Gebrauch gemacht. Würdest Du rückblickend andere Optionen auf Deinem Berufsweg erwägen?

Um als Richter:in befördert werden, also in die Besoldungsgruppe R2 aufsteigen zu können, muss man erprobt werden. Dies kann in einer regelmäßig neunmonatigen Erprobung in einem Spruchkörper eines Oberlandesgerichts oder durch eine zweijährige Erprobung in der Verwaltung geschehen. Man soll sich also für eine bestimmte Zeit nach der Ernennung als Richter:in auf Lebenszeit erneut „bewähren“, wird also auch wieder beurteilt. Diese Zeit ist in gewisser Weise eine lange Prüfung. Als eine Erprobung für mich anstand, war ich viele Jahre in einer „FGG-Kammer“, also einer Kammer, die hauptsächlich für Betreuungs- und Nachlasssachen zuständig ist, gewesen und hatte, da in solch einer Kammer nicht verhandelt wird, keine großartige zivilprozessuale Erfahrung. Hinzu kam, dass ich in einer persönlich schwierigen Situation mit drei Kindern und quasi „alleinerziehend“ war. Weitere Herausforderungen, wie eine Erprobung, habe ich mir damals einfach nicht zugetraut. Das habe ich gelegentlich bedauert; vielleicht hätte ich mich aus der Deckung wagen sollen. Letztlich glaube ich aber auch rückblickend, dass mich das in meiner damaligen Situation allein mit den Kindern wohl überfordert hätte.

Dein Leben veränderte sich 2004 schlagartig, als Kolleg:innen aus Niedersachsen am Kammergericht in Berlin die Mediation im gerichtlichen Kontext vorstellten. Warum war das für Dich ein Wendepunkt?

Als ich davon hörte, dass es Pilotprojekte mit der Zielsetzung gab, Mediation als ein neues Konfliktbeilegungsverfahren in den Gerichtsprozess einzuführen, war ich begeistert. Anders als im gewöhnlichen Prozess behalten die Parteien im Güterichterverfahren, das von einem Kollegen / einer Kollegin geleitet wird, der / die nicht Spruchrichter:in in derselben Streitsache ist, die Verantwortung. Sie sind eben nicht Zaungäste ihres eigenen Verfahrens, über das von dem / der Spruchrichter:in entschieden wird. Diese Art der Herangehensweise führt regelmäßig dazu, dass die Parteien eine Lösung erarbeiten, die nachhaltiger ist und die Streitigkeit langfristig beendet. Den gerichtlichen Prozess zu bereichern, indem Richter:innen die Möglichkeit gegeben wird, eine interessenbasierte und nicht nur juristisch belastbare Lösung mit den Parteien zu erarbeiten, um Konflikte langfristig zu befrieden, erschien mir sehr überzeugend. Und dass ich darüber hinaus noch ein neues Verfahren mit all seinen kommunikativen und psychologischen Verästelungen erlernen konnte, war für mich faszinierend. Diese Begeisterung hat mich seit meiner Mediationsausbildung im Jahr 2004 nicht mehr verlassen.

Heute ist das Güterichterverfahren aus der Berliner Justiz nicht mehr wegzudenken. Bis dahin waren aber einige Hürden zu nehmen. Du warst von der ersten Stunde an dabei. Wie hast Du die Zeit wahrgenommen?

2006 haben wir in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Berlin mit dem Pilotprojekt „Gerichtliche Mediation“ begonnen. Da es keinerlei gesetzliche Grundlage und auch keine Strukturen gab, mussten wir diese neu erarbeiten. Es gab dazu einen Beirat, bestehend aus den Präsidenten des Kammergerichts und des Landgerichts sowie Vertreter:innen der Amtsgerichte, der Senatsverwaltung für Justiz, der Rechtsanwaltskammer, des Anwaltsvereins und aus der Wissenschaft, von der Universität Viadrina. Der Beirat tagte etwa alle zwei Monate und diskutierte und legte verbindliche Richtlinien fest. Gleichzeitig mussten auch unsere Richterkolleg:innen, die größtenteils sehr skeptisch gegenüber diesem neuen, „unjuristischen“ Verfahren waren, überzeugt werden, uns Verfahren in die gerichtliche Mediation „abzugeben“. Hier musste viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wir veranstalteten Symposien mit der Universität Viadrina, gingen auf Mediationskongresse, wo wir auf Mediator:innen anderer Grundberufe trafen und lernten dazu. Es herrschte eine Aufbruchstimmung, die ich als ungeheuer spannend empfunden habe.

Die Stimmung änderte sich mit dem sehr kontroversen Mediationsgesetzgebungsverfahren, das 2010 begann und 2012 mit Erlass des Mediationsgesetzes endete. Die Idee einer einheitlichen Regelung von Mediation für alle Berufsgruppen wurde begraben; die Gerichte durften danach zwar Mediation anbieten, wurden aber offiziell von dem Mediationsgesetz ausgenommen. Seither nennen sich richterliche Mediator:innen „Güterichter:innen“, die andere Konfliktbeilegungsverfahren und auch Mediation anwenden dürfen, für die es aber kaum gesetzlichen Regelungen gibt.

Von 2009 bis 2021 warst Du hauptsächlich als Güterichterin am Landgericht Berlin und Koordinationsleiterin des Güterichterverfahrens in Berlin tätig. Mit Begeisterung hast Du auch am Wochenende gearbeitet und für Deinen Beruf gelebt. Was hat Dich begeistert und angetrieben?

Mit der Ernennung 2009 zur Koordinatorin der gerichtlichen Mediation in Berlin konnte ich mich auf diese Aufgabe konzentrieren. Ich hatte Führungsverantwortung für das Projekt und für meine Mitstreiter:innen. Ich habe den Gesetzgebungsprozess begleitet, Aufsätze mit Kolleg:innen geschrieben und veröffentlicht, Vorträge gehalten, Kongresse besucht, im RBB dazu gesprochen, im Handbuch für Mediation mitgeschrieben, ein Ausbildungskonzept mit einer Kollegin entworfen, um Güterichter:innen in Mediation auszubilden. Mit diesem immer wieder neu überdachten Konzept bilden wir seit 2010 Richter:innen aus. Diese Tätigkeit hat mich so begeistert, dass ich gern rund um die Uhr dabei war. Meine Kinder waren inzwischen – fast – aus dem Haus.

2021 musstest Du Deine Tätigkeit als Richterin aufgeben, weil Du in den Altersruhestand versetzt wurdest. Du steckst voller Energie und Ideen. Wie füllst Du Deinen Ruhestand?

Mein Ruhestand, dem ich voller Unruhe entgegensah, fühlt sich inzwischen sehr gut an. Ich hätte gern weitergearbeitet als Richterin und Güterichterin und habe sehr bedauert, dass dies in Berlin – anders als in anderen Bundesländern – auch nicht optional möglich ist.

 

Aber nun habe ich mich neu eingerichtet. Zugegeben war der Schritt in die Selbständigkeit für mich, die das ganze Berufsleben in der sicheren Verbeamtung verbracht hat, stellenweise sehr aufregend und spannend. Mittlerweile arbeite ich als freiberufliche Mediatorin und bin weiterhin für die Justiz tätig, indem ich Güterichter:innen ausbilde, Supervisionsgruppen führe und oft als Moderatorin / Coach eingesetzt werde. Ich habe eine Lehrbefugnis an der Universität Viadrina, bilde aus und trainiere für die IRZ und GIZ Richter:innen im Ausland in Mediation. Nebenher bin ich als Schiedsrichterin und Vorsitzende des Beschwerdeausschusses der GEMA tätig. Außerdem leite ich den Freundeskreis einer Kirche, arbeite als Schulmediatorin einen Tag in der Woche an einer Grundschule und bin offen für weitere Tätigkeiten, die mein Leben bereichern, solange ich noch fit bin!

Wenn eine junge Kollegin Dich nach einem Rat fürs Berufsleben fragte, welchen würdest Du geben?

In dem gewählten Beruf als Juristin immer Ausschau halten nach Nischen und Spezialisierungen und im privatem Kontext Sicherheiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schaffen.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte?

Neben Frau Dr. Wild und Frau Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit in meinen jüngeren Jahren Frau Prof. Dr. Ulla Gläßer, die sich mit einem unfassbaren Engagement für Mediation und Konfliktmanagement einsetzt und an der Europa-Universität Viadrina als Professorin für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre lehrt.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 18. März 2025. Das Interview führte Dr. Stefanie Schweizer.

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