Su Reiter im Porträt
„Meine Herangehensweise war schon immer 'Learning by Doing'.“
Su Reiter, Jurastudentin und Marketing Director bei Advofleet, über den Sprung von der Medienwelt zu Jura, ihren Weg in die Selbstständigkeit, digitales Nomadentum, Netzwerken und die Bedeutung von kultureller Zugehörigkeit.
Su, Du hast zunächst Medienwissenschaften studiert und bist dann zu Jura gewechselt. Warum hast Du Dich für das Jurastudium entschieden?
Ich habe nach dem Abitur 3 Jahre lang im Medienbereich gearbeitet, weil ich nach einer beruflichen Orientierung gesucht habe. So habe ich unter anderem als Redakteurin bei unterschiedlichen Zeitschriften oder im Fernsehen gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen, weil die Tätigkeit als Redakteurin sehr abwechslungsreich war und sich jeder Tag anders gestaltet hat. Diese Zeit hat mir sehr viele Einblicke in die Medienwelt ermöglicht. Gleichwohl wusste ich auch, dass ich sehr gerne studieren wollte. Sobald ich also für das Fach Medienwissenschaft zugelassen wurde, war mir klar, dass ich auf jeden Fall meinen festen und gut bezahlten Job aufgeben werde. Letzten Endes hat mir meine praktische Erfahrung auch wichtige Erkenntnisse für mein Studium gebracht.
Ich habe mich dann für den Studiengang in Köln vor allem auch wegen des Schwerpunkts Medienrecht entschieden. Im Rahmen des Schwerpunkts bin ich das erste Mal mit der juristischen Methodik in Berührung gekommen. Ich habe großes Gefallen daran gefunden, juristische Probleme zu analysieren und einer angemessenen Lösung zuzuführen. Besonders viel Freude bereitet es mir, ein Handwerkszeug zu erlernen, mit dem ich jedes Problem analytisch lösen kann. Bis heute begeistert mich die sprachliche Präzision der Jurist:innen. Darüber hinaus ist das Recht allgegenwärtig und betrifft nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft. Mit dieser Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben hat es mich neugierig gemacht, mehr über die Rechtsordnung zu erfahren. Daher fiel mir die Entscheidung, zu Jura zu wechseln, nicht allzu schwer.
Welchen Tipp würdest Du jungen Studienanfänger*innen im Fach Jura geben?
Ich frage Personen, die mit dem Gedanken spielen, Jura zu studieren, ganz bewusst nach ihrer Motivation für ihr Studium. Das Jurastudium ist noch immer ein sehr großes zeitliches Investment und erfordert über Jahre hinweg eine hohe Frustrationstoleranz und viel Durchhaltevermögen. Während andere innerhalb von drei Jahren ins Berufsleben einsteigen können, müssen angehende Jurist:innen insgesamt ca. sieben Jahre mit den beiden Staatsexamina ausgebildet werden. Teilweise dauert es auch noch länger, wenn man eine Promotion oder einen L.L.M anstrebt. Gleiches gilt auch für den Fachanwaltstitel, selbst wenn man in dieser Zeit bereits beruflich tätig ist. Auch der Weg ins Notariat dauert ewig. Man steigt also relativ spät ins Berufsleben ein und ist trotz der langen Ausbildungszeit als Berufsanfänger:in praktisch unerfahren. Hinzu kommt die Fülle an Lernstoff und das 18-Punkte-System, bei dem die Mehrheit der Studierenden unter der Note "vollbefriedigend" liegen. Dieser Druck wird durch die Illusion aufrechterhalten, dass sich der ganze Aufwand nur lohnt, wenn man es in eine Großkanzlei schafft.
Dabei gibt es so viele alternative, teilweise sogar neuartige juristische Berufe, über die selten gesprochen wird. Dass das Jurastudium grundlegend reformiert werden müsste, ist seit Jahren Gegenstand vieler Diskussionen. Und obwohl bis 2030 ein enormer Personalmangel in der Justiz erwartet wird, ist keine spürbare Besserung in Sicht. Um das Ziel vor Augen nicht zu verlieren, muss man sich in diesem Studium immer wieder selbst aufs Neue motivieren können. Daher empfehle ich, sich vor dem Studium ausführlich Gedanken um diese Dinge zu machen, um einerseits Enttäuschungen und Frustration zu vermeiden, aber andererseits auch, um eine Motivationsquelle zu finden, auf die man immer wieder zurückgreifen kann.
Du bist große Befürworterin davon, komplexe juristische Probleme in Bildern darzustellen. Fehlt Dir dieser Aspekt in der juristischen Ausbildung?
Vielleicht liegt es an meiner Neigung zur Medienwelt, aber ich habe schon immer gern visuell gelernt. Und wenn wir einen Blick zurückwerfen, sehen wir auch, dass visuelle Elemente schon immer Teil von Lernprozessen waren. Kleinkindern wird Wissen über Bilderbücher vermittelt. Auch in den ersten Schuljahren lernen wir das Lesen, Schreiben und Rechnen vorwiegend visuell. Auf der weiterführenden Schule, etwa im Biologieunterricht, ist Wissensvermittlung ohne Illustrationen undenkbar. Aber im Jurastudium fehlt diese Komponente, obwohl das Recht – wie nahezu jedes andere Fach – vorwiegend durch Bücher gelehrt wird. Das ist doch sehr überraschend, wo doch auch wissenschaftlich bewiesen ist, dass wir uns Farben und Formen viel besser merken können als Textblöcke.
Noch besser ist es, wenn wir Dinge selbst tun, anstatt passiv zu konsumieren. Aus diesem Grund habe ich angefangen, juristische Sachverhalte und ihre Lösungen während des Lernens zu zeichnen. Zum einen erhalte ich durch diese „Sketchnotes“ einen viel besseren Überblick über den Sachverhalt, zum anderen kann ich mir die Konstellationen und Kausalitätsketten viel besser einprägen, wenn ich sie räumlich darstelle. Diese Vorgehensweise hat meinen Lernerfolg gesteigert – ich bin gespannt, wie sich diese Erkenntnis nächstes Jahr aufs Examen auswirken wird.
Du bist Marketing Director bei der Advofleet Legal Tech Group in Berlin. Was genau machst du dort?
Ich leite die Marketingabteilung bei Advofleet, einem kleinen Start Up aus dem Legal Tech-Bereich. Wir digitalisieren klassische Rechtsberatung, indem wir den Zugang zum Anwalt erleichtern. Konkret sorgen wir dafür, dass in Zusammenarbeit mit Anwält:innen eine rechtliche Ersteinschätzung zu dem jeweiligen Sachverhalt erfolgt und die Suche nach einem geeigneten Anwalt schneller und leichter erfolgt. Meine Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass unser Marketingteam gut funktioniert, dass wir als Unternehmen gut sichtbar und erreichbar sind und dass wir mit unserem schnellen Online-Beratungsservice die rechtlichen Probleme vieler Menschen lösen können.
Du hast Dich im Jahr 2019 selbstständig im Content Marketing für Jurist*innen gemacht. Wie entstand damals die Idee hierzu?
Ich bin als Digital Native schon relativ früh mit sozialen Netzwerken und WordPress, dem bekanntesten Content-Management-System, in Berührung gekommen. Es hat mir schon immer großen Spaß gemacht, Webseiten zu erstellen, Beiträge visuell aufzubereiten und ansprechende Onlinetexte zu schreiben. Diese Dinge hatte ich mir schon während der Schulzeit selbst beigebracht. Während meines Jurastudiums ist mir zudem aufgefallen, dass dieser Bereich auf dem Rechtsmarkt noch ziemlich unterrepräsentiert ist. Es fehlte vor allem an juristischen Inhalten, die informierend und beratend für eine entsprechende Zielgruppe laienverständlich und teilweise auch visuell aufgearbeitet wurden. Daher kam ich auf die Idee, die fehlende Lücke mit einer Content-Marketing-Strategie zu füllen.
Konkret ist die Idee, meine Kund:innen dabei zu unterstützen, juristische Texte laienverständlich und suchoptimiert aufzuarbeiten. Ein Kunde möchte beispielsweise von mir eine kurze knappe und für Laien verständliche Übersicht erstellt haben, wie ein Hauskauf aus juristischer Sicht funktioniert. Dazu arbeite ich zunächst das juristische Wissen hierzu auf und stelle es möglichst verständlich und ggfs. auch visuell dar. Für die Suchoptimierung nutze ich dann Tools aus dem Marketing, die einem helfen, bestimmte Keywords aus dem Themenbereich herauszufiltern, die besonders häufig in Suchdatenbanken gesucht werden. So verändere ich den Text entsprechend, dass diese in den Suchdatenbanken leicht gefunden werden können.
Von meiner Idee zur Umsetzung in die Praxis musste ich einige Hürden überwinden. Ich hatte ehrlicherweise zu Beginn meiner Idee gar keine Erfahrungswerte, wie es ist, selbstständig zu sein. Ich hatte auch keine/n Mentor:in, mit dem ich Schritt für Schritt meine Organisation und meine Meilensteine besprechen konnte. So banal wie es klingt, habe ich mir deshalb viele Youtube-Videos zur Selbstständigkeit angeschaut und von den Erfahrungswerten dieser Videos sehr profitiert. Es gibt so viele Dinge, die man so nicht auf dem Schirm hat, wie man z.B. die Finanzen abzurechnen hat, ein Team koordiniert, mit Kund:innen kommuniziert etc..
Ich bin dann einfach ins kalte Wasser gesprungen. Meine Herangehensweise dabei war schon immer „Learning by Doing“. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass das auch für mich der beste Ansatz war. Andere Personen, die sich mit ihrer Idee selbstständig machen wollen, fahren möglicherweise besser damit, sich externe Unterstützung durch erfahrene Mentor:innen einzuholen. Bei mir hat mein Ansatz für mich sehr gut funktioniert – auch wenn die Selbstständigkeit mich sehr viel Mut und Überwindung gekostet hat. Ich bin aber sehr froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe und habe aus dieser Erfahrung extrem viel für mich persönlich lernen können.
Hattest du nicht auch mal die Sorge, dass Deine Idee so auf dem Markt nicht ankommen wird?
Sicherlich hatte ich am Anfang große Zweifel, ob meine Idee auch so zu der Nachfrage auf dem Markt passt. Ich habe auch meinen Vorsatz zu gründen immer wieder zeitlich rausgezögert. Ich war aber die ganze Zeit sehr neugierig, wie meine Idee sich umsetzen lässt. Und den Bedarf im Jurabereich habe ich auch erkannt. Letztlich habe ich den Mut gefasst, einfach mal loszulegen. Als ich dann meinen ersten Kund:innen hatte, war ich überglücklich. Das hat mich darin bestärkt, dass Leute Interesse an meiner Arbeit haben, sodass ich dann weiter gemacht habe.
Natürlich mache ich mir Gedanken darüber, wie die Selbstständigkeit so läuft. Es ist gleichwohl ein entscheidender Faktor, dass ich neben meiner Selbstständigkeit studiere. Mein Jurastudium sehe ich in dieser Hinsicht als eine erhebliche Entlastung an. Ich wusste zu jeder Zeit, dass ich immer noch mein Studium habe, wenn Selbstständigkeit so nicht funktioniert. Ich musste mir also nie Gedanken machen, was mein Plan B zur Selbstständigkeit ist.
Natürlich ist es nicht so einfach, diese Doppelbelastung, mit Studium und dem eigenen Unternehmen unter einen Hut zu bekommen. Andererseits ist genau die Mischung aus beidem eine sehr gute Abwechslung, man erhält viel Anerkennung und Lob für seine Arbeit, was teilweise im Jurastudium und insbesondere in der Examensvorbereitung zu kurz kommt.
Insbesondere im Jurabereich gründen Frauen viel weniger als Männer. Was müsste sich aus Deiner Sicht verändern, damit mehr Frauen gründen?
Ich finde – zunächst unabhängig vom Geschlecht –, dass das Thema Unternehmertum viel früher (am besten schon zu Schulzeiten) gefördert werden muss und zu Unrecht zu selten thematisiert wird. Wenn Jugendliche gefragt werden, was sie später einmal beruflich machen möchten, antworten die wenigsten damit, dass sie gern ein eigenes Unternehmen gründen würden. Da wirkt ein Beruf mit einem vorgezeichneten Weg viel greifbarer. Aber in einer Zeit des Wandels braucht es mutige Menschen, die ihre Ideen verwirklichen und auf diese Weise einen Beitrag zur Gesellschaft leisten.
Auch ich habe mich während meiner gesamten Schulzeit nie mit der Frage beschäftigt, ob ich gern gründen würde, weil ich mir schlichtweg über diese Möglichkeit nicht bewusst war. Ich bin auch fest überzeugt davon, dass viele in einer Gründung ein großes Risiko sehen und sich von der Bürokratie, die auf einen zukommt, abschrecken lassen. Nicht zu wissen, ob man sich mit dem eigenen Weg einen Gefallen tut, bringt viele Menschen in ein Angestelltenverhältnis, mit dem sie nicht zufrieden sind.
Im Hinblick auf Frauen denke ich, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sich die Zahlen ausgleichen werden. Denn gerade in den letzten Jahren sind sehr viele Frauen, die es „vormachen“, enorm sichtbar geworden. Das inspiriert mich, denn ich habe seit meinem 16. Lebensjahr in den verschiedensten Unternehmen gearbeitet und meine Chefs waren alle ausnahmslos männlich. Natürlich steht es allen frei, selbst den ersten Schritt zu machen, aber wir dürfen den Einfluss von Vorbildern in diesem Kontakt auch nicht unterschätzen.
Du sagst von Dir selbst, dass Dein Laptop Dein Arbeitsplatz ist. Damit bezeichnest Du Dich als Digitale Nomadin. Was verstehst Du darunter?
Ich finde den Gedanken, dass ich nicht an einen bestimmten Ort gebunden bin, sondern mir überall den „idealen“ Arbeitsplatz schaffen kann, sehr erfrischend. Aus diesem Grund habe ich mich in den vergangenen Jahren intensiv mit digitalen Nomaden beschäftigt. Für mich leben diese Menschen das Maximum an Freiheit, das man im Leben haben kann. Sie verbinden ihre eigenen Wünsche und Interessen mit ihrem Beruf, lernen andere Sprachen und Kulturen kennen und lassen sich immer wieder auf die Herausforderung, etwas völlig Neues zu erleben, ein. Dieser Lebensstil steigert nicht nur die eigene Kreativität, sondern ermöglicht auch einen Perspektivwechsel, was auch am Arbeitsplatz sehr nützlich sein kann. Veränderungen und Innovationen sind immer durch Menschen entstanden, die ausgetretene Pfade verlassen und sich auf etwas Neues eingelassen haben. Natürlich ist das nicht in jedem Beruf möglich und vielleicht ist das Arbeiten während des Reisens auch nicht für alle eine schöne Erfahrung. Mir hat es jedenfalls die Möglichkeit geschenkt, mein Leben flexibel zu gestalten, und darauf möchte ich nicht mehr verzichten.
Du nutzt LinkedIn aktiv als Austauschplattform. Wie wichtig ist es, sein Netzwerk aufzubauen?
Viele Menschen sehen in LinkedIn eine reine Business-Plattform, auf der ausschließlich berufliche Netzwerke auf- und ausgebaut werden. Ich habe dazu eine etwas differenziertere Meinung: für mich ist LinkedIn an erster Stelle ein soziales Netzwerk, wo die Menschen hinter den Profilen im Mittelpunkt stehen. Ich teile dort täglich meine Gedanken über gesellschaftliche Themen, aber auch über das Jurastudium, über mentale Gesundheit und Zukunftsvisionen. Vielleicht kommt meine offene Haltung auch daher, dass ich zwischen meinem beruflichen und meinem privaten „Ich“ keine strikte Trennung vornehme. Für mich steht auch im Business-Kontext der Mensch im Vordergrund, mit all seinen Ideen, Fähigkeiten und seiner Lebensgeschichte. Ich hoffe, dass wir eines Tages damit aufhören, Menschen merkwürdig zu finden, die sich am Arbeitsplatz und auch auf LinkedIn mit ihrer ganzen Persönlichkeit zeigen, nicht nur mit einer oberflächlichen Facette.
Welche Tipps kannst Du aus Deiner eigenen Erfahrung fürs Netzwerken weitergeben?
Mein größter Tipp: Interessiere Dich für die Dinge, die Menschen Dir erzählen. Ich hatte neulich ein Gespräch mit einer Jurastudentin, die über gesundheitliche Probleme klagte. Anstatt sie zu vertrösten und mich anderen Dingen zuzuwenden, habe ich mich voll und ganz auf ihre Erzählung eingelassen. Ich habe ihr ein Dutzend Fragen gestellt und wir haben uns intensiv über das Jurastudium und die eigene Gesundheit ausgetauscht. Nach diesem Gespräch hat sie sich mit folgenden Worten bei mir bedankt: „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der sich so brennend für meine Geschichte interessiert hat“. Sie ging mit einem guten Bauchgefühl nach Hause und ich mit unendlich viel Wissen über eine Krankheit, die ich selbst nie hatte. Menschen zuzuhören und die Welt für einen Moment aus ihrer Perspektive zu sehen, ist für mich das Wichtigste am Netzwerken. So entstehen nachhaltige Beziehungen, die über einen flüchtigen Smalltalk hinausgehen. Dieses Prinzip wende ich auch im Berufsleben an, denn auch dort sind die Beziehungen zwischenmenschlicher Natur.
Welche Momente hast Du in Deinem bisherigen Werdegang als besonders herausfordernd empfunden?
Für diese Frage muss ich etwas weiter ausholen. Ich bin mit vier Jahren nach Deutschland gekommen, weil mein Vater in der Türkei aufgrund seiner Karikaturen politisch verfolgt wurde. Ich wurde ein Jahr später eingeschult und konnte zu diesem Zeitpunkt noch kein Deutsch. Dennoch habe ich es mit Fleiß und Mühe geschafft, diese Sprache von Grund auf zu lernen und sogar meinen türkischen Mitschüler:innen an der weiterführenden Schule Deutsch-Nachhilfe zu geben. Obwohl ich immer gerne gelernt habe, war die Schulzeit für mich eine große Herausforderung. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich mit meinem Leben nach der Schule anfangen wollte. Obendrauf fühlte ich mich zu keiner Kultur so richtig zugehörig – weder zur deutschen, noch zur türkischen. Sich wegen der eigenen Identität keine Grundsatzfragen stellen zu müssen, ist ein Privileg, das die wenigsten Einwandererkinder haben. Diese Situation hat sich durch alle Entscheidungen in meinem Leben gezogen: Soll ich mich selbstständig machen und wenn ja, was kommt da wohl auf mich zu? Soll ich Jura studieren oder lasse ich es lieber bleiben und mache eine Ausbildung? Da mir meine Eltern bei diesen Fragen nicht helfen konnten, musste ich sie mir selbst beantworten. Ich kenne nicht viele Menschen, die ein derart hohes Maß an Eigenverantwortung an den Tag legen mussten, um „irgendwo anzukommen“. Denn auch wenn wir in Deutschland Chancengleichheit haben, starten junge Menschen doch mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen ins Berufsleben. Rückblickend bin ich für diesen „steinigen Weg“ sehr dankbar, der mir den Mut gegeben hat, einen völlig anderen Weg zu gehen als andere.
Hast Du jetzt schon konkrete (Karriere-)Ziele? Wenn ja welche und was tust Du, um sie zu erreichen?
Mein wichtigstes Ziel ist es, im nächsten Jahr das 1. juristische Staatsexamen erfolgreich zu bestehen. Danach würde ich gerne einige Jahre weiterhin in der freien Wirtschaft an der Schnittstelle zwischen Medien und Recht arbeiten. Ich möchte unser Team vergrößern und mehr über Leadership lernen. Allgemein ist es mir sehr wichtig, in den nächsten Jahren mehr meiner Intuition nachzugehen, mich selbst nicht allzu sehr unter Druck zu setzen und zu schauen, wohin mich meine Neugier und mein Tatendrang führen. Wer weiß, vielleicht geht es danach für mich auch wieder zurück an die Uni, wo ich einen L.L.M.-Studiengang absolviere, promoviere oder doch noch das Referendariat mache?! Es bleibt spannend.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Mir hat Anna Murk mit ihrer Zeitschrift für Nicht-Jurist:innen (LEGAL LAYMAN) und mit ihren Beiträgen auf LinkedIn sehr viel Mehrwert schafft. Sie vereinfacht das „Juristendeutsch“ wie keine andere Person und hat sich damit dem Erfolg verschrieben.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Düsseldorf / Stuttgart, 29. Oktober 2021. Das Interview führte Hülya Erbil.
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