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Stephanie Gamp

Dr. Stephanie Gamp im Porträt

Ein funktionsfähiger Rechtsstaat ist keine Selbstverständlichkeit!

Dr. Stephanie Gamp, Richterin am Bundesverwaltungsgericht, über ihre Liebe zum Öffentlichen Recht, dessen Wichtigkeit für einen funktionierenden Rechtsstaat und über eine Karriere in der Justiz mit vier Kindern.

Frau Dr. Gamp, Sie sind Richterin am Bundesverwaltungsgericht. Warum haben Sie sich für das Öffentliche Recht entschieden?

Das Jurastudium ist ja relativ breit gefächert. Das kam mir sehr entgegen. So hatte ich die Möglichkeit, mir viele unterschiedliche Rechtsgebiete anzuschauen. Ich habe mich sowohl vertiefter mit dem Gesellschaftsrecht beschäftigt, in dem zivilrechtliche Fragen im Vordergrund stehen, als auch mit dem angrenzenden Bilanz- und Steuerrecht. Letzteres führte ins Öffentliche Recht. Neben dem klassischen Polizei- und Ordnungsrecht interessierte ich mich für das Wirtschaftsverwaltungsrecht. Auch das Strafrecht fand ich spannend, hier lag mein Interesse auf dem Wirtschaftsstrafrecht. Mit der Frage, wo strafrechtliches Verhalten im Alltag anfängt, speziell im Kontext von Steuerstraftaten, habe ich mich im Rahmen meiner Dissertation befasst. Im Referendariat habe ich es als bereichernd empfunden, mir die praktische Arbeit in den verschiedenen Rechtsgebieten anschauen zu können. Ich habe meine Stationen beispielsweise beim Verwaltungs- und Finanzgericht, in einem Finanzamt und einer wirtschaftsstrafrechtlichen Abteilung bei der Staatsanwaltschaft absolviert. Ich kann also sagen, dass ich mir wirklich alles angeschaut habe. Nichts hat mir so gut gefallen wie das Öffentliche Recht. Es ist nah dran an den aktuellen Fragen, die uns in der Gesellschaft umtreiben, etwa bei dem Umgang mit der Migration, bei der Bewältigung der Coronapandemie oder bei der Klimakrise. Außerdem halte ich gerade die Verwaltungs-gerichtsbarkeit im gelebten Rechtsstaat für unverzichtbar. Aus den ersten 16 Jahren meines Lebens in der ehemaligen DDR habe ich die Erfahrung mitgenommen, dass es keineswegs selbstverständlich ist, Träger öffentlicher Gewalt einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Daran heute mitzuwirken, ist mir wichtig und bereitet mir Freude.

Sie haben Ihre Dissertation unmittelbar nach dem Studium angefertigt, bevor Sie in das Referendariat eingetreten sind. Würden Sie diesen Zeitpunkt für eine Promotion empfehlen?

Für mich war dieser Zeitpunkt ideal. Noch hatte ich keine familiären Verpflichtungen. Ein Promotionsstipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft hat mir den nötigen wirtschaftlichen Freiraum gegeben. Gegen Ende der Dissertationszeit war ich Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl meines Doktorvaters, was mir einen guten Einblick in den Universitätsbetrieb ermöglichte. Vor allem der kollegiale Austausch am Lehrstuhl und das Unterrichten der Studierenden haben mir gut gefallen.

Warum wollten Sie Richterin werden?

Ich habe den Beruf im Referendariat für mich entdeckt. In meiner ersten Station war ich für sechs Monate einer Mietberufungskammer am Landgericht Berlin zugewiesen. Die äußeren Rahmenbedingungen wirkten auf den ersten Blick eher abschreckend. Das Gericht – ein prächtiger alter Justizpalast – liegt im heutigen Zentrum Berlins, befand sich aber vor der Wende im Ostteil der Stadt und war noch nicht renoviert. Ich erinnere mich an eine halb herabhängende staubige Gardine im Büro meines Ausbilders, die erstaunlicherweise bis zuletzt hielt, an das Fehlen von Computern, und Sitzungssäle, Flure und Sanitäranlagen, die den Charme der alten Zeit versprühten. Das alles konnte meiner Begeisterung keinen Abbruch tun. Ich schätze die unabhängige Arbeit am Gesetz, die große Bandbreite der Fälle und die Sinnhaftigkeit dieses Berufs. Es ist auch nach vielen Jahren als Richterin ein sehr befriedigendes Gefühl, zum Funktionieren des Rechtsstaats beizutragen. Insofern haben sich meine Erwartungen vollauf bestätigt. Und zum Glück sind die Gerichtsgebäude nach und nach modernisiert worden.

Sie haben vier Kinder und Sie haben nach jedem Kind ein gutes Jahr ausgesetzt. In der freien Wirtschaft erfahren Eltern häufiger Diskriminierungen wegen genommener Elternzeiten. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Der Umstand, dass ich nach den Geburten jeweils ein gutes Jahr ausgesetzt habe, ist von meinen Kolleginnen und Kollegen am Gericht, von der Präsidentin des Verwaltungsgerichts sowie von der Justizverwaltung durchweg positiv aufgenommen worden. Ich habe immer Zuspruch und Unterstützung erfahren. Es war einfach eine Selbstverständlichkeit.

Der Wiedereinstieg nach der Elternzeit war allerdings beim ersten Mal besonders aufregend. Nach unserem ersten Kind, das ich noch in der richterlichen Probezeit bekommen habe, konnte ich an das Verwaltungsgericht Berlin wechseln. Das war von Beginn an mein Wunsch, ich hatte mich extra in eine Interessentenliste aufnehmen lassen, die für diese Fälle geführt wurde. Als mich dann gegen Ende der Elternzeit der damalige Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg anrief, und fragte, ob der Wunsch noch aktuell sei, habe ich mich einerseits gefreut. Andererseits war mir auch etwas bange, gerade zu diesem Zeitpunkt in die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu wechseln, mit einem kleinen Sohn, in Teilzeit, an ein Gericht, das sich durch eine im Vergleich überdurchschnittliche Präsenz der Richterinnen und Richter auszeichnete. Der Präsident hat mir zugehört und mir dann mit persönlichen Beispielen erläutert, dass sich – natürlich – auch die Verwaltungsgerichtbarkeit mit einer Familie vereinbaren lässt. Dafür bin ich ihm rückblickend sehr dankbar. Die nachfolgenden Wiedereinstiege waren gemessen daran unspektakulär, da ich in der Regel einfach nur anderen Spruchkörpern am Verwaltungsgericht Berlin zugewiesen worden bin. An meiner richterlichen Tätigkeit hat sich dadurch nichts verändert.

Sie waren die erste Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Berlin, die in Teilzeit tätig war und haben auch die Abordnungen in Teilzeit wahrgenommen. Ist es in der Justiz unproblematisch möglich, auch in Teilzeit Karriereschritte gehen zu können?

Ja, nach meiner Erfahrung ist das möglich. Ich habe während meiner Erprobung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ohne Probleme in Teilzeit arbeiten können und konnte sogar den Beginn des Abordnungszeitraums auf Nachfrage an meine familiären Bedürfnisse anpassen. Als nach meiner Rückkehr an das Verwaltungsgericht Vorsitzendenstellen ausgeschrieben worden sind, habe ich mich bei der Präsidentin des Gerichts erkundigt, ob dieses Amt auch in Teilzeit ausgeübt werden könne. Sie sagte mir sinngemäß, der Umstand, dass es dies noch nicht gebe, bedeute nicht, dass es nicht möglich sei. Das war für mich ein Schlüsselmoment, ein ganz starkes Signal, und hat mich damals bestärkt, mein Interesse für eine der ausgeschriebenen Stellen zu bekunden. Nach meinem Eindruck kann jedes Amt in Teilzeit ausgeübt werden. Erforderlich ist lediglich ein hohes Maß an Organisation, auch Absprachen mit den Kolleginnen und Kollegen sind natürlich sehr wichtig. Das hat sich auch später bei meiner Abordnung in die Personalabteilung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung bestätigt. Ich denke, Eltern, die in Teilzeit arbeiten, sind besonders effizient bei der Erledigung ihrer Arbeit, weil sie an feste Betreuungszeiten gebunden sind und keine Zeit zu verschenken haben.

Was hat Sie an der Abordnung an die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gereizt?

Ich war in der Personalabteilung für die Bearbeitung der dienstrechtlichen Verfahren der Richter- und Staatsanwaltschaft in Berlin zuständig. Oftmals ging es um Eilrechtsschutz gegen anstehende Beförderungen. Mit dienstrechtlichen Fragen hatte ich mich schon in meiner Anfangszeit am Verwaltungsgericht befasst. Hieran konnte ich fachlich anknüpfen. Darüber hinaus habe ich an Gesetzentwürfen mitgearbeitet und erfahren, wie die Justizverwaltung arbeitet. Ich bin sehr dankbar, dass diese Abordnungsmöglichkeit damals an mich herangetragen worden ist, weil sie mir eine ganz neue Perspektive ermöglicht hat. Juristischen Rat für Entscheidungen in einer Behörde zu geben, möglichst rechtssicher, aber oft unter Zeitdruck nach nur kurzer Überlegungszeit, das war eine völlig neue Erfahrung, auch wegen der großen Bandbreite der Themen. Als Richterin beurteilt man den Fall immer im Nachhinein, hat bereits alle Argumente und den gesamten Sachverhalt auf dem Tisch. Diese andere Arbeitsweise in einer Behörde persönlich kennengelernt zu haben, ist für meine Tätigkeit als Richterin wertvoll. Mich hat neben dem Perspektivwechsel auch gereizt, das Land Berlin in den gerichtlichen Verfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu vertreten. Die Vorstellung, vorübergehend die Verfahrensrolle eines Beteiligten einzunehmen, gefiel mir.

Wie haben Sie Ihre herausfordernde berufliche Tätigkeit mit Ihrer Familie vereinbaren können?

Für mich war die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, ideal. Ich musste mich nicht entscheiden, sondern konnte sowohl einen wunderbaren Beruf ausüben als auch für meine Familie da sein. Die Arbeitsteilung mit meinem Mann war ebenfalls wichtig. Ich konnte mich immer darauf verlassen, dass er notfalls alles im Büro stehen und liegen lässt und die Kinder abholt. Auch die Unterstützung durch die Großeltern war hilfreich. Eine gehörige Portion Organisationsvermögen gehörte dazu, auch Anstrengungen natürlich, und hier und da ein Quäntchen Glück, beispielsweise, dass unsere Kinder nie ernsthaft krank waren. Dafür gab es im Gegenzug ein ganz erfüllendes Gefühl, das mir auch Kraft gegeben hat. Mir war wichtig, meinen Kindern und insbesondere meinen Töchtern vorzuleben, dass man Beruf und Familie unter einen Hut bekommen kann. Das funktioniert nur, wenn es auf beiden Ebenen gut läuft. Dafür muss man reflektieren, was man wo braucht und dies offen kommunizieren.

Sie waren in Ihrer beruflichen Laufbahn in allen möglichen Rechtsgebieten unterwegs. Wie haben Sie diese kontinuierlichen fachlichen Wechsel empfunden?

Das Einarbeiten in neue Rechtsgebiete ist natürlich mit einem gewissen Aufwand verbunden. Zu Beginn scheint vieles unklar. Da hilft nur, weiter dranzubleiben. Jede Entscheidung, die man liest, jeder Kommentar, in dem etwas nachgeschlagen wird, führen weiter. Irgendwann scheint eine Struktur auf, egal, ob es um Finanzdienstleistungsaufsichtsrecht oder Regulierungsrecht geht. Das ist dann mit positiven Gefühlen verbunden. So war es bei jedem Wechsel. Aus der Gewissheit, das schon mehrfach bewältigt zu haben, kann ich Kraft schöpfen. Außerdem ermöglicht ein fachlicher Wechsel einen anderen Blickwinkel, verschafft neuen Schwung und hält gewissermaßen jung. Es hilft auch, sich mit den neuen Kollegen auszutauschen und offenzulegen, wo noch Unsicherheiten bestehen. Und zusätzlich muss man eine gewisse Unerschrockenheit mitbringen und darf unbekannte und unbequeme Fälle nicht auf die lange Bank schieben.

Woher nehmen Sie die Kraft, neue berufliche Herausforderungen zu meistern?

Ach naja, meist schlafe ich vor der Entscheidung über eine neue berufliche Veränderung eine Nacht. Außerdem bespreche ich mich mit meinem Mann und mit den Kindern. Ihre Meinung hat eine große Bedeutung für mich. Der Rückhalt meines Mannes ist mir wichtig und bestärkt mich. Oft hat mich gerührt, wie schnell mir gerade meine Kinder zu neuen Aufgaben zugeraten haben, obwohl ich dadurch per Saldo erst einmal weniger Zeit für sie aufbringen konnte. Wir haben stets gemeinsam überlegt, ob und wie wir die Veränderung als Familie hinbekommen.

Wie sind Sie Richterin am Bundesverwaltungsgericht geworden?

 

Ich bin gefragt worden, ob ich mir verstellen könnte, an das Bundesverwaltungsgericht zu wechseln. Über die damit verbundene allergrößte berufliche Wertschätzung habe ich mich riesig gefreut. Nach einer ausgiebigen Beratung mit meiner Familie habe ich zugesagt und zum Glück hat es dann ja auch geklappt.

Gerade sind gut 35 % der Richter:innen an den Bundesgerichten weiblich. Wie stehen Sie zu einer Frauenquote in der Justiz?

Ich bin keine Befürworterin einer Frauenquote in der Justiz. Vorgegebene Quoten sehe ich deswegen kritisch, weil sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe eher hervorheben und verfestigen. Außerdem begünstigen sie Forderungen weiterer Gruppen, auch deren tatsächliche Gleichstellung über eine Quote herbeizuführen. Mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe Sonderrechte zu begründen, wirft immer die Frage auf, warum andere Gruppen nicht in vergleichbarer Weise privilegiert werden. Ich halte es für eine zentrale Errungenschaft unseres Rechtssystems, dass wir gerade nicht mehr in Ständen und Gruppen denken. Vor dem Gesetz sind alle gleich.

Außerdem ist die tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen nicht nur in den Fokus der Gesellschaft gerückt, sondern nach meiner Wahrnehmung auch in der Justiz seit langem ein wichtiges Anliegen. Da hat sich in den letzten 23 Jahren, in denen ich Richterin bin, bereits einiges getan, und zwar zunehmend auch bei den Führungspositionen. Wir brauchen deshalb keine zusätzliche Quote. Während meiner Tätigkeit in der Auswahlkommission für den richterlichen und staatsanwaltlichen Probedienst im Land Berlin habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich inzwischen sogar deutlich mehr Frauen als Männer für die Justiz interessieren und auch eingestellt werden.

War es schon von Beginn an Ihr Wunsch und Ziel, Bundesrichterin zu werden?

Nein. Ich habe mich vor vielen Jahren für den Richterberuf entschieden und diese Entscheidung nie bereut. Alles Weitere hat sich einfach ergeben. Außerdem ist das Amt einer Bundesrichterin keines, auf das man gezielt hinarbeiten kann.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich habe nie bewusst nach weiblichen Vorbildern Ausschau gehalten. Das wäre auch schwer gewesen, nach meiner Erinnerung waren beispielsweise sowohl die Professoren im Studium als auch die Ausbilder im Referendariat durchweg Männer. Die Spruchkörper, in denen ich tätig war, sind in der Regel ebenfalls von Vorsitzenden Richtern geführt worden. Ich habe mich gefreut, dass es Ihnen gelungen ist, eine so umfangreiche Portraitsammlung beeindruckender Juristinnen zusammenzustellen, darunter auch Kolleginnen aus der Berliner Justiz, die ich sehr schätze. Vorschlagen möchte ich Ihnen Frau Dr. Tamara Zieschang. Sie ist die Ministerin für Inneres und Sport in Sachsen-Anhalt. Ihr Werdegang zeigt, dass Juristinnen auch außerhalb der klassischen juristischen Pfade erfolgreich sein können.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin, 11. April 2023. Das Interview führte Dr. Stefanie Schweizer.

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