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Sharon Robinette im Portrait

"Habt Mut zur Sichtbarkeit!"

 

Sharon Robinette, Legal Counsel im Bereich Corporate / M&A bei der Aareon Group, über ihren Entschluss, mit kenianischem Abitur in Deutschland Jura zu studieren, die Möglichkeit, sich über die sozialen Medien mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und ihre Tätigkeit als Unternehmensjuristin im Transaktionsbereich.

Sharon, Du bist Legal Counsel bei der Aareon Group, einem Softwareunternehmen, das im Immobiliensektor tätig ist. Wie sieht Dein Alltag als Unternehmensjuristin aus?

Gemeinsam mit zwei Kolleg*innen bin ich für den Bereich Gesellschaftsrecht und M&A-Transaktionen zuständig. Wir beschäftigen uns überwiegend mit Transaktionsarbeit, wobei wir uns die einzelnen Transaktionen untereinander aufteilen und jeder sehr selbstständig im Rahmen seines Projekts arbeiten kann. Ich begleite den gesamten M&A-Prozess vom sog. NBO (non-binding offer) über die Due Diligence (Prüfungsphase), den Entwurf sowie die Verhandlung der erforderlichen Verträge bis zu deren Vollzug. Dabei bleibt es indes nicht: Im Anschluss wirke ich an der Integration der Zielgesellschaft in die Gruppe oder deren Weiterverkauf mit. Sowohl in M&A-Transaktionen als auch in laufenden Angelegenheiten bin ich zudem für wesentliche Aspekte des Gesellschaftsrechts wie der Integration von Gesellschaften, Satzungsfragen, Gesellschaftervereinbarungen, dem Wechsel der Geschäftsleitung und internen Verschmelzungen zuständig. Außerdem betreue ich auch die Koordination mit externen Kanzleien, die wir im Rahmen einzelner Projekte mandatieren. Je nach Terminlage kann ich dabei entweder im Büro oder im Homeoffice arbeiten.

Während und nach dem Studium hast Du in den Corporate-Abteilungen mehrerer Großkanzleien gearbeitet. Was hat Dich dazu bewogen, dennoch nach dem Zweiten Staatsexamen direkt in der Rechtsabteilung eines Unternehmens zu starten?

Ursprünglich wollte ich als Associate im Bereich M&A in einer Großkanzlei anfangen, habe dann jedoch das Angebot von der Aareon Group erhalten. Letztlich habe ich mich für die Tätigkeit als Unternehmensjuristin entschieden, weil ich das Gefühl hatte, dort das Beste aus beiden Welten zu erhalten: Bei meiner Inhouse-Tätigkeit kann ich mich auf den M&A-Bereich spezialisieren und gleichzeitig von den beratenden Expert*innen lernen. Da unser Team nicht groß genug ist, um eine Transaktion vollständig selbst durchzuführen, arbeite ich – auf Mandantenseite – überwiegend mit Associates und Partner*innen aus den Großkanzleien zusammen.

Wie unterscheidet sich Deiner Wahrnehmung nach im Bereich M&A die Inhouse-Tätigkeit von der Tätigkeit in der Großkanzlei?

Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass man nicht nur einen kurzen Ausschnitt einer Transaktion mitbekommt, sondern „seinen“ Mandanten in Form des Unternehmens umfassend betreut. Das heißt, dass ich eine Transaktion nicht nur bis zum Closing begleite, sondern auch darüber hinaus bei der Integration ins Unternehmen oder auch einem späteren Weiterverkauf der Gesellschaft mitwirke. Als Unternehmensjuristin stehe ich in engem Austausch mit vielen anderen Abteilungen und sogar dem Management und lerne die unterschiedlichen Interessen kennen. So erhalte ich meiner Meinung nach einen besseren Überblick über die Abläufe in einem Unternehmen als etwa Associates, die – wenn sie überhaupt selbst Kontakt zu der Mandantin bzw. dem Mandanten haben – in der Regel nur im Austausch mit der zuständigen Person der Rechtsabteilung stehen. Zudem habe ich im Unternehmen eine ausgeglichenere Work-Life-Balance. Auch wenn die reine Stundenzahl inhouse nicht unbedingt geringer ist als in der Großkanzlei, habe ich im Unternehmen eine größere Flexibilität bei der Ausübung meiner Tätigkeit, insbesondere aufgrund der überwiegenden Projekttätigkeit, im Rahmen derer ich mir die Arbeit innerhalb der Deadlines weitgehend selbst einteilen kann.

Du bist in Kenia aufgewachsen und hast dort Deinen Schulabschluss gemacht. Wie kamst Du dazu, nach Deutschland zu kommen?

Nach meinem Abitur habe ich mich zunächst um einen Jurastudienplatz in Kenia beworben, denn ich wollte  schon immer Anwältin werden. Allerdings wurde ich dort abgelehnt und habe nur einen Platz für einen anderen Studiengang erhalten, der mich nicht begeisterte.

Als ich dann auch noch schwanger wurde, schlug meine Schwester, die bereits als Au-pair nach Deutschland gekommen war, mir vor, Deutsch zu lernen und hier zu studieren. Noch während meiner Schwangerschaft habe ich auf einer Sprachschule in Kenia einen Deutschkurs mit dem Level A1, dem niedrigsten Einstiegslevel, absolviert. Im Anschluss bin ich dann selbst als Au-pair nach Deutschland gekommen, erstmal um die Kultur kennenzulernen, die Sprache richtig zu lernen und zu schauen, wie es mir in Deutschland gefällt.

Natürlich kann man grundsätzlich überall alles werden, was man möchte. Leider gilt das häufig aber nur, wenn man es sich leisten kann. In Kenia konnte ich das nicht. In Deutschland habe ich dagegen festgestellt, dass man aufgrund der im internationalen Vergleich so geringen Studiengebühren alles studieren kann, was man möchte, solange man nur fleißig ist. Darin sah ich meine große Chance, meine Träume zu verwirklichen.

Warum hast Du Dich nach nur zwei Jahren in Deutschland für ein Jurastudium auf Deutsch entschieden?

Nach Abschluss meines Au-pair-Jahres musste ich mich entscheiden, ob ich wieder zurück nach Kenia kehre oder in Deutschland bleibe. In der Zwischenzeit hatte ich mich bereits um einen Studienplatz beworben. Als Nicht-Muttersprachlerin und weil ich nicht das deutsche Abitur absolviert hatte, musste ich vor Beginn meines Studiums allerdings noch für ein Jahr ein Studienkolleg besuchen, welches ausländische Studienbewerber*innen auf ein wissenschaftliches Studium an einer deutschen Hochschule vorbereitet. Nach Abschluss des Studienkollegs hatte ich mich zunächst für ein Lehramtsstudium entschieden, da ich dieses zum Teil auf Englisch absolvieren konnte. Nachdem ich viel mit einem Bekannten gesprochen habe, der mich zum Nachdenken brachte, welchen Beruf ich wirklich für den Rest meines Lebens ausüben möchte, habe ich mich dann aber trotz der sprachlichen Herausforderung doch dazu entschieden, meinen Traum zu verwirklichen und Jura zu studieren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich anfangs gar nicht genau informiert hatte, was es bedeutet, in Deutschland Jura zu studieren. Hätte ich das vorher getan, hätte mich das wahrscheinlich abgeschreckt. (lacht).

Gab es während Deines Studiums Momente, in denen Du das Gefühl hattest, aufgrund Deiner Herkunft benachteiligt zu werden?

Während meines Studiums habe ich mich natürlich anders gefühlt. Oft war ich die einzige schwarze Frau. Das war ein neues Gefühl für mich, da ich damit, bevor ich nach Deutschland kam, natürlich nie konfrontiert war.

 

Auch ist mir in dem ein oder anderen Moment bewusst geworden, dass ich keine Muttersprachlerin bin. Das erste Semester im Jurastudium war für mich nicht einfach. So war meine erste Klausur zwar inhaltlich gut, hatte aber einfach zu viele grammatikalische Fehler. Ich habe das jedoch nie als Benachteiligung empfunden. Vielmehr hat mich diese zusätzliche sprachliche Hürde nur motiviert, noch härter zu arbeiten. Ich habe meine Herkunft nie als Schwäche empfunden. Im Gegenteil: Ich sehe es als Stärke, dass mein Werdegang anders ist. Denn mein besonderer Weg ist das, was meinen Lebenslauf interessant macht.

 

Allerdings gab es auch die „informellen Hürden“, mit denen ich umzugehen lernen musste. So wurde ich etwa noch bei meiner Vereidigung als Rechtsanwältin – mit zwei juristischen Staatsexamina! – gefragt, ob ich Deutsch spreche. Eine weitere Situation ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil sie meine Sichtweise sehr beeinflusst hat: Nach dem vierten Semester habe ich mich für mein erstes Wahlpraktikum in einer Kanzlei beworben. Wir waren sechs Praktikant*innen. Vor Ort habe ich aus Gesprächen mit diesen erfahren, dass alle anderen Praktikant*innen ihre Zusage direkt am Telefon erhalten hatten, während ich meine Fähigkeiten noch in einem Vorstellungsgespräch mit zwei Partnern unter Beweis stellen musste. Da wurde mir bewusst, dass ich anders bin, dass mein Lebenslauf anders ist. Dennoch habe ich mich nie unwohl gefühlt und mein Anderssein immer als etwas Positives wahrgenommen. Letztlich hat mich diese Erfahrung auch dazu ermutigt, nach dem Praktikum aktiv auf einen der Partner zuzugehen, ihm meine Stärken, insbesondere in der englischen Sprache, darzulegen und mein Interesse zu bekunden, weiter neue Dinge zu lernen. Und so habe ich schließlich in dieser Kanzlei meine erste Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bekommen.

Hattest Du damals ein Vorbild?

In den vier Kanzleien, für die ich während meiner Studien- und Ausbildungszeit tätig war, habe ich mit sehr vielen kompetenten Kolleg*innen zusammengearbeitet, die mich sehr inspiriert und eine große Rolle in meiner Karriere gespielt haben. Ich habe sehr viel gelernt und hatte hier immer einen „safe space“, Fragen zu stellen. Teilweise arbeite ich auch jetzt in meiner Inhouse-Rolle weiter mit diesen zusammen.

Ein Vorbild, das einen vergleichbaren Weg wie ich gegangen ist, hatte ich jedoch nicht. Es gibt in der Fernsehserie „Suits“ den Charakter Jessica Pearson, die als schwarze Frau an der Spitze einer erfolgreichen Kanzlei steht. Ich habe immer gesagt, dass ich auch in der Realität eine schwarze erfolgreiche Frau in einer deutschen Kanzlei sehen möchte, damit ich meine Ziele visualisieren kann. Aber es gab leider keine. Inzwischen weiß ich, dass es viele Anwält*innen mit Migrationshintergrund gibt. Wir sind nur teilweise noch nicht so sichtbar.

Wenn Du auf Deinen bisherigen Weg zurückblickst, gibt es eine Entscheidung, die Du im Nachhinein lieber anders getroffen hättest? 

Ja, ich hätte früher mit dem Personal Branding und mit dem effektiven Netzwerken anfangen sollen. Zwar habe ich in mehreren Kanzleien gearbeitet und versucht, mit vielen Anwält*innen in Kontakt zu treten. Jedoch habe ich mir beispielsweise erst nach dem Ersten Staatsexamen meinen LinkedIn-Account erstellt und so die Chance verpasst, mich nachhaltiger mit diesen Kontakten zu vernetzen.

Seit einem Interview in der azur-online im November 2022 hat sich Deine Reichweite in den sozialen Medien enorm vergrößert. Wie fühlst Du Dich in Deiner neuen Vorbildrolle?

Ich freue mich, dass sich damit die Tür geöffnet hat, als Vorbild zu fungieren. Ich stehe aktuell viel im informellen Austausch mit Interessierten über LinkedIn, plane aber in nächster Zeit über die sozialen Medien, z.B. auch über Instagram, ein 1:1-Mentoring anzubieten. Denn das bietet mir nicht nur die Möglichkeit, anderen zu helfen, sondern auch selbst weiter zu lernen. Mein großes Ziel ist es, Menschen dabei zu helfen, die formellen sowie informellen Hürden (wie z.B. Vorurteile aufgrund der Herkunft) zu überwinden. Ich bin auch seit kurzem Mitglied des Afro-Deutsche Jurist:innen e.V. Der Verein wurde im Februar 2022 von einer Gruppe von Schwarzen Jurist:innen gegründet und bietet einen „safe space“ für Afro-Deutsche Jurist:innen, sich untereinander zu vernetzen, über rechtspolitische Themen zu diskutieren und Erfahrungen aus Studium und Beruf auszutauschen.

Wie wird sich die juristische Welt in Deutschland Deiner Meinung nach durch eine größere Repräsentanz von People of Color verändern?

Wenn man allgemein über das Thema Diversity spricht, sieht man aktuell eine klare Tendenz dahingehend, dass es mehr Frauen in Führungspositionen in Großkanzleien oder auch in den Rechtsabteilungen von Unternehmen schaffen. Es trifft schon zu, dass aktuell in Deutschland noch deutlich weniger People of Color in juristischen Führungspositionen sind als in anderen Ländern, z.B. in Großbritannien. Allerdings denke ich nicht, dass in Deutschland diesbezüglich per se schlechtere Chancen bestehen, sondern dass das bisher auch am mangelnden Nachwuchs aus dieser Zielgruppe lag. Wenn ich mir mittlerweile die Studierenden ansehe, ist der Anteil an People of Color wesentlich größer als früher. Daher hoffe ich und denke, dass sich künftig auch der Anteil an People of Color in sichtbaren juristischen Positionen im privatwirtschaftlichen juristischen Sektor vergrößern wird. Eine ähnliche Entwicklung erhoffe ich mir natürlich auch für den Staatsdienst.

 

Ein Problem stellt für viele ausländische Bewerber*innen immer noch die Sprachbarriere dar. In Frankfurt und auch in anderen größeren deutschen Städten habe ich jedoch bemerkt, dass in letzter Zeit immer mehr juristische Seminare oder LL.M.-Programme auf Englisch angeboten werden. Und wer weiß – vielleicht wird ja irgendwann sogar die Studienordnung angepasst, sodass auch ausländische juristische Abschlüsse in Deutschland anerkannt werden.  

Hast Du einen Ratschlag für junge People of Color, wie sie ihre eigene Sichtbarkeit steigern können?

Obwohl ich selbst in mehreren Kanzleien tätig war, wusste ich lange Zeit nicht, dass es schon einige People of Color in Kanzleien gibt. Inzwischen weiß ich, dass es sie gibt – ihre Geschichten müssen nur erzählt werden. Deshalb ist mein Ratschlag: Habt Mut zur Sichtbarkeit! Außerdem empfehle ich, immer authentisch zu bleiben, denn das macht Euch interessant. Jeder Mensch ist einzigartig und sollte dies als seine Stärke begreifen. Zudem ist es sicherlich hilfreich, früh anzufangen, sich ein Netzwerk aufzubauen, sei es auf LinkedIn, Instagram, TikTok oder auch über alle anderen formellen und informellen Kanäle.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Christine Uwase – sie stammt aus Ruanda und kam als Kind nach Deutschland. Nach dem Jurastudium in Deutschland war sie zunächst als Associate im Bereich M&A in einer Großkanzlei tätig und ist mittlerweile Legal Counsel bei VARO Energy. Aufgrund dieser Parallelen hat mich ihr Werdegang sehr für meine eigene Karriere inspiriert.

Vielen Dank für das spannende Interview! 

Frankfurt am Main / Berlin, Februar 2023. Das Interview führte Kathrin Klose.

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