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Ivana Mikešić

Dr. Ivana Mikešić, LL.M. im Porträt

„Jedes professionelle Individuum hat sein eigenes Momentum.“

Dr. Ivana Mikešić, LL.M., Gründerin und Partnerin der Kanzlei R&P Legal, über die Unterschiede zwischen Großkanzlei und eigenständigem Unternehmertum, den Sinn von Rechtsphilosophie und die Evolution der weiblichen Beziehungen im professionellen Umfeld.

Frau Mikešić, Sie haben nach mehrjähriger Tätigkeit als Großkanzleipartnerin 2016 Ihre eigene Kanzlei gegründet, die Sie seitdem erfolgreich führen. Wie unterscheidet sich die Arbeit als Partnerin in der eigenen Kanzlei zu der Arbeit als Partnerin in einer Großkanzlei?

Der Unterschied ist der, dass es für mich jetzt ein Beruf ist. Davor war es tatsächlich im Wesentlichen nur Arbeit. Ich kann in dem selbst geschaffenen Rahmen alle Elemente, die das Dasein als Rechtsanwältin ausmacht, in allen Facetten – Inhalte, Schwerpunkte, Auswahl der Mandanten, kommerzielle Ausrichtung, Haltung als Beraterin, Haltung als Organ der Rechtspflege, Ethik und Ästhetik – vollständig zur Geltung bringen. Und Sie fragen mit dem durchaus richtigen Vokabular; ja, vorher war ich "Partnerin", davor "Associate", es war eine "Tätigkeit" mit Funktionsbezeichnungen. Doch Rechtsanwältin: das konnte ich nur sehr bedingt sein.

Vieles davon hat mit unserem Spezialgebiet zu tun. Großkanzleien sind heute – unbeschadet der Tatsache, dass es mittlerweile eine große Bandbreite an Ausformungen der Großkanzlei gibt – zunehmend strategisch durchregierte Organisationen. Das ist folgerichtig, und glücklich sind die, die über fähige Manager an der Spitze verfügen. Manchmal, selten, Managerinnen. Öffentliches Wirtschaftsrecht und Regulierung in allen Anwendungsformen können Sie im Rahmen einer Großkanzlei heute nicht mehr wirtschaftlich effizient beraten. Sie verlieren zu viel Zeit auf strikt budgetierten und schlecht eingepreisten Transaktionen, in denen Ihr Spezialisten-Team eine Zuarbeiter-Rolle einnimmt. Die Stunden Ihres Teams sind die ersten, die beim obligatorischen fee-overrun von den federführenden Transaction Lawyers ausgebucht und nicht abgerechnet werden.

Das ist Verschwendung. Und glücklich macht es niemanden: weder das Kanzleimanagement noch Sie selbst. Und sehen Sie, das ist der wesentliche Unterschied. Jetzt sind die Kanzleimanager, denen ich mit meiner Unzufriedenheit in den Ohren lag, mich los. Und ich bin sie los. Was in manchen Fällen auf der menschlichen Seite sehr schade ist, aber auf der betriebsorganisatorischen, strategischen und wirtschaftlichen Seite ganz wunderbar.

Gibt es etwas, was jetzt in der Selbstständigkeit ganz anders ist, als Sie es sich vorgestellt haben?

Nein, nichts. Die Selbstermächtigung hat in einem Ausmaß Wirkung gezeigt, die man sich vielleicht schwer vorstellen kann, während man sich noch in dem Umfeld bewegt, das man 18 Jahre gekannt hat. Insofern kann man von einer Übererfüllung der eigenen Erwartung sprechen, von einer Überraschung, die man sich durch eine richtige Entscheidung selbst bereiten konnte.

Hervorzuheben ist die Erfahrung, das professionelle Netzwerk unter neuen Vorzeichen wieder aufzubauen. Wenn Sie sich in einem institutionalisierten internationalen Netzwerk bewegen, Kanzlei X, Y oder Z, ist Vieles selbstverständlich vorgegeben, das nimmt man, während man sich darin bewegt, gar nicht so deutlich wahr. Unser Mandat hat einen Bezug zu Italien? Ok, wo haben wir Büros, sind die Kollegen in Rom oder Mailand besser, kennt man dort schon jemanden? Wir brauchen steuerrechtliche Expertise? Die Strukkis aus Berlin oder Frankfurt, wen rufen wir an? Die einen sind netter, die anderen erfahrener … Das fällt alles von einem Tag auf den anderen weg. Und Sie denken zunächst: Oh Göttin! Alles weg! Alles leer! Diesen Moment der Leere müssen Sie durchleben und transformieren. Bis Ihnen klar wird: Alles neu! Alles auf Anfang! Freie Bahn und volle Kraft voraus.

Welchen Rat würden Sie Anwältinnen mitgeben, die sich selbständig machen wollen?

Der wichtigste Rat ist, und jetzt kommen (endlich) diejenigen zur Sprache, ohne die eine Anwältin nicht weit kommt: Die hingebungsvolle Pflege Ihrer Mandantinnen und Mandanten steht im Zentrum all Ihrer Worte und Taten. Sie müssen sich prüfen und sich selbst beweisen, ob Sie in der Lage sind, über lange Zeiträume anspruchsvolle, fachlich und menschlich belastbare Beziehungen zu erstklassigen Mandanten aufzubauen. Ohne das wird der Schritt in die Selbständigkeit nicht funktionieren.

Und um eine Lanze für die internationalen Großkanzleien zu brechen: Es sind Orte, an denen man mit brillanten Kolleginnen und Kollegen aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommt, von und mit denen man lernen darf. An denen sich großartige und komplexe Fälle stellen, anhand derer man Organisation, Übersicht, Kooperation trainieren kann. Das kann man nirgendwo sonst, das möchte ich nicht missen und das würde ich genau so wieder machen.

 

Was hätten Sie gerne vorher gewusst und was würden Sie jetzt gegebenenfalls anders machen?

Ich persönlich, aber das ist eine Einzelfallbetrachtung, würde mich aus heutiger Sicht früher in meiner Karriere zu dem Schritt in die Eigenständigkeit entschieden haben. Ich bewundere viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die das schon in jüngeren Jahren gewagt haben, und vermutlich mit größeren wirtschaftlichen Risiken, als ich sie eingegangen bin. Aber das ist wohl etwas, das man erst etwas später im Leben erkennt und akzeptieren kann: Jedes professionelle Individuum hat sein eigenes Momentum. Es bringt nichts, sich bei den Timing-Fragen oder auch bei sonstigen Entscheidungen an Anderen zu orientieren.

Ihr Wunsch, Jura zu studieren, wurde bestärkt durch die Vorlesungen eines bekannten deutschen Philosophen und Soziologen, Jürgen Habermas. Was hat er berichtet, das Sie für Jura begeistert hat?

Ach ja, die berühmten habermas'schen Demokratie-Vorlesungen Ende der Achtziger Jahre in Frankfurt. Die Frankfurter Juristenfakultät vertrat damals einen stark Grundlagen-bezogenen Ausbildungsansatz und es gab zahlreiche Studierende, die sich wie ich für Rechtsphilosophie oder Rechtsgeschichte begeistern konnten. Wir sind hingepilgert, es war sehr anregend, Niklas Luhmann lebte noch, es gab einen lebendigen und spannend-konfrontativen Dialog zwischen Theorie des kommunikativen Handelns und Systemtheorie, der fächerübergreifend geführt wurde.

Vieles, was ich früher mit großer Verve entschieden habe, verstehe ich erst heute.

Kennen Sie diese Leute, die Ihnen mit leuchtenden Augen erzählen, sie hätten Yuval Noah Harari gelesen, und jetzt würden sie endlich ALLES verstehen, Kurze Geschichte der Menschheit, Homo Deus undsoweiter, Ecce Homo! Tun Sie mir den Gefallen, lesen Sie es mal mit den Augen der Juristin: Alles Diskursive wird dort in Grund und Boden gerammt, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Narrativität, rationales Argumentieren, alles überflüssiger Quark, Juristen sind sowieso das Letzte, universale Menschenrechte und demokratische Regeln Blendwerk, braucht kein Mensch. Sobald die künstliche Intelligenz die Steuerung übernommen hat, können wir uns entspannt zurücklehnen und uns diese ständigen Diskussionen endlich schenken. Es überrascht mich immer wieder, wie anziehend auch sehr intelligente Menschen mit anspruchsvollen Berufen und in gehobenen Positionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die das lesen, den Gedanken finden, sie könnten sich all diese mühsamen Diskussionen um unsere gemeinsamen gesellschaftlichen, politischen und lebensweltlichen Grundlagen ersparen. Über aktuelle politische Umwälzungen will ich an dieser Stelle nicht reden, aber man wird sagen können: Altehrwürdige, vorbildhafte Demokratien in so manchem Winkel der Welt sind in den letzten Jahren in überraschendem Ausmaß Prüfungen ausgesetzt, die an ihren Grundverständnissen rütteln. Es ist ein Trend der Abkehr von den als umständlich empfundenen Ritualen demokratischer Entscheidungsfindung spürbar.

Wir brauchen mehr denn je zuvor Jurist*innen, die daran arbeiten, dass wir solchen Versuchungen intellektueller Bequemlichkeit, die etwas Todessüchtiges haben, nicht erliegen. Die ihren Beruf auf eine Art und Weise ausfüllen, die die Bedeutsamkeit einer diskursiven Verständigung über unsere geteilten Lebensbedingungen auch in scheinbar kleinteiligen rechtlichen Fragestellungen aufscheinen lässt und für jeden verständlich macht. Das ist unser Beitrag. Das habe ich dort gelernt.

Sie haben neben dem Jurastudium auch Philosophie und Slawistik studiert. Hat Ihnen die Interdisziplinarität im Jurastudium geholfen?

 

Ohne das parallele Philosophie-Studium hätte ich in Jura nichts verstanden. Allerdings habe ich zum Ersten Staatsexamen hin länger gebraucht, um mich geländegängig zu machen für die handgreifliche Subsumtionspraxis. Den Umweg war es mir wert.

Im Vorgespräch erzählten Sie davon, dass das Studium für Sie nach einer erfolgreichen Schulzeit vor allem von Selbstzweifeln geprägt war. Außerdem hätten Ihnen Vorbilder gefehlt. Was würden Sie sich für eine Reform der Juristenausbildung wünschen?

Juristen und Juristinnen, die niemals an Selbstzweifeln leiden, würde ich immer vorsichtig gegenübertreten. Soviel vorab.

Aber diese Weisheit fehlt natürlich im Studium, und dann steht man ja vor allem unter Leistungsdruck, weil die hohe Relevanz der Noten von Anfang an kommuniziert wird und allesdurchdringend ist, mit steigender Dringlichkeit zum Ende hin.

Es gab durchaus Professorinnen während meines Studiums Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre, wenn auch wenige. Übrigens kümmerten sie sich vornehmlich – bitte, Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel – um die schönen Dinge im Juraleben, weniger um die knochenharten dogmatischen Fächer. Es war ein bisschen so wie in den Großkanzleien, wo die wenigen Partnerinnen gerne mit den Management-Aufgaben Dekoration des Büros, Organisation von Team-Events und Marketing-Broschüren bedacht werden (do not tell me otherwise, ich habe es selbst erlebt). Was während meiner Studienzeit tatsächlich fehlte, waren Juristinnen, die in der aktuellen Rechtsanwendungspraxis profiliert und wahrnehmbar waren. Das hat sich enorm verändert – auch durch Initiativen wie die Ihre.

Die Juristenausbildung in Deutschland ist, wie sie ist. Love it or leave it. Es gibt immer wieder Situationen im Mandat, in denen ich mir vor Augen führe, dass uns diese gnadenlose, nervenzehrende, kompetitive und insgesamt etwas ständisch-verblasene Ausbildung auf den Berufsalltag doch recht realitätsnah vorbereitet hat. Und dass uns nichts Menschliches fremd blieb, dafür haben schon die höfisch organisierten Lehrstuhlapparate an den Universitäten gesorgt, und wie nicht erst die exzentrischen Existenzen, die uns dann in der Referendarausbildung beglückt haben. Was ich vernünftig fände, wäre eine Abschichtung der Leistungskontrollen in den einzelnen Stationen auf dem Weg zum Zweiten Staatsexamen. In dem großen Aufriss am Ende des Referendariats – Klausuren in allen Fächern in enger zeitliche Abfolge, einen ganzen Tag lang mündliche Prüfung im Kaffeekränzchen-Format – kann ich, anders als noch beim Ersten Staatsexamen, keinen Sinn erkennen.

Sie hatten die Möglichkeit, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am BVerfG zu werden. Was können Sie jungen Juristinnen raten, die dort tätig werden wollen? Warum haben Sie sich letztendlich dagegen entschieden?

Wenn Sie die wissenschaftliche Laufbahn anstreben oder Richterin sind: nichts wie hin! Suchen Sie den Kontakt zu aktiven Verfassungsrichterinnen oder nehmen Sie ein Parteibuch (oder beides). Ich wurde damals zu einem Zeitpunkt angesprochen, als ich das Zweite Staatsexamen bereits absolviert hatte. Ich war während des gesamten Referendariats schon begleitend in einer renommierten deutschen Sozietät als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig gewesen und hatte aufgrund dieser Erfahrung eine klare Vorstellung von meiner beruflichen Zukunft, ich wollte wirtschaftsberatend als Anwältin tätig sein. Außerdem war ich in den letzten Zügen meiner Dissertation – es war nicht mehr der richtige Zeitpunkt für eine Station in Karlsruhe, ich wollte voranschreiten.

Mittlerweile tragen auch viele Frauen Doktortitel und absolvieren einen LL.M. Auch Sie haben sich für beide Ausbildungsstationen entschieden. Wie kam es dazu und welche Relevanz messen Sie beidem zu?

Eine Frage, die sich mit Schlichtheit beantworten lässt. Wenn man von der persönlichen Komponente absieht, dass ich eine große akademische Neugier besaß, der ich Raum geben wollte, war mein Grundverständnis: Wenn Du als Frau und Migrantenkind in einem urdeutschen bzw. urnationalrechtlich geprägten Beratungsgebiet unterwegs bist und einen Doktortitel hast, stellt keiner blöde Fragen nach Deiner fachlichen Qualifikation. Wenn Du über einen im englischsprachigen Ausland erworbenen Mastertitel verfügst, stellt keiner die blöde Frage, ob Du ordentlich englisch kannst. Diese Rechnung ist gut aufgegangen. Auf Dauer Respekt verschaffen muss man sich ohnehin mit Substanz – es hilft kein Titel dieser Welt weiter, wenn es daran fehlt.

Während Ihrer Tätigkeit in einer Großkanzlei haben Sie versucht, ein kanzleiinternes Frauennetzwerk aufzubauen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Es war still geworden um die Frauenbewegung in der Zeit um die Jahrtausendwende. Gleichzeitig wurde mir und meinen Mitstreiterinnen in der Kanzlei immer klarer, dass Geschlechterparität in unserem beruflichen Umfeld nicht existierte und auf Sicht auch nicht zu haben war. Das wurde nicht thematisiert, es wurde totgeschwiegen: Das Anwaltsleben, zumal in der Großkanzlei, ist halt hart, nicht wahr, auch für die armen Männer. Wenn mal einzelne Frauen nach oben kamen – nun, die waren halt extraextrembesonders gut. Allein ihr persönlicher Verdienst, Ausnahmeerscheinungen. So lautete die Legende und das war das meist unausgesprochen gebliebene Selbstverständnis. Bedrückend war, dass wir als Associates häufig die uns persönlich vorgelebte Führungspraxis der einzelnen Exponenten, unserer Chefs, nicht nachvollziehen konnten, uns aber aus Interesse an unserer Karriere weitgehend fügten und das hinnahmen.

Diese Sprachlosigkeit beunruhigte mich, die Situation baute einen inneren Druck in mir auf, dem ich nicht standhalten konnte. Ich wollte handeln. Gleichzeitig ahnte ich, dass ich mir mit einer solchen Initiative wenige Freundinnen und noch weniger Freunde machen würde. Es war in geschlechterpolitischer Hinsicht eine bleierne Zeit, und bleiern waren auch die überwiegenden Reaktionen auf unsere Ideen.

Welche Hürden mussten Sie überwinden?

Besonders naiv war die Annahme gewesen, wir könnten bei den wenigen Partnerinnen des Frankfurter Standorts meines damaligen Arbeitgebers Unterstützung, gar Protektion unserer Netzwerk-Idee finden. Das absolute Gegenteil war der Fall. Es war sehr schnell klar, dass so etwas wie eine Kanzlei-Initiative, zumal von Associates angestoßen, keine Perspektive hatte. Nach vielen zaghaften Gesprächsversuchen fand ich aber doch ein offenes Ohr: Bei dem damaligen Office Managing Partner des Standorts, einem weltoffenen, kunstsinnigen und vorurteilsfreien Mann. An ihn hatte ich als Letzten gedacht, was von meiner geringen Menschenkenntnis und mangelnder Erfahrung spricht. Er erlaubte uns, in den Räumen der Kanzlei eigenständig Netzwerk-Treffen zu organisieren, die wir dann recht schnell über den internen Rahmen hinaus ausgeweitet haben. Wir haben Frauen aus der Frankfurter Business-Community und der Kunst- und Designszene angesprochen, und es entstand ein eingeschworener Salon-Zirkel, der sich bald auch in anderen Räumen traf und über sieben Jahre intensiv blühte. Es war zwar nichts aus der kanzlei-internen Initiative geworden, aber der von mir heute noch geschätzte und verehrte Klaus-Albert Bauer war der Geburtshelfer für eine Bewegung in meinem und dem Berufsleben meiner Kolleginnen und weiterer Frauen, die uns alle gestärkt hat.

Ein oder zwei Jahre, nachdem wir den Salon konstituiert hatten, schossen auf einmal die Frauen-Netzwerke wie Pilze aus dem Boden. Es war faszinierend zu beobachten, wie viele Spielarten entstanden. Es wurde zum Selbstläufer. Den Rest der Geschichte kennen Sie, Sie haben sie miterlebt und gestalten sie heute.

Bereitet der Berufseinstieg Frauen andere Herausforderungen als Männern?

Ja klar! Immer noch!

Sie beschreiben, dass Ihr Vorschlag zur Gründung eines Frauennetzwerkes bei den damaligen Partnerinnen der Kanzlei nicht auf Unterstützung stieß. Können Sie sich erklären, woher dies kam?

Damals konnte ich nicht ahnen, unter welch unermesslichem Konformitäts-Druck man als weibliche Partnerin einer internationalen Großkanzlei steht. Der Verdacht, man könne junge Frauen fördern, nur weil sie Frauen sind, nicht etwa ausschließlich nach Leistungskriterien, musste von vornherein und präventiv ausgeräumt werden. Die Legende, dass die extraordinär Besten es aus eigener Kraft schaffen, war wirkmächtig. Sie gehörte durchaus auch zur Selbstlegitimation.

Seit die Führungsspitzen der Kanzleien in London oder Seattle Diversity verordnen, muss man sich jedenfalls an diese Stelle als Partnerin keinen Zwang mehr antun, man darf jetzt zusammen mit seinem Management den Feminismus pflegen – und das ist doch durchaus ein Fortschritt, über den wir uns im Jahr 2020 einmal ordentlich zusammen freuen können.

Für wie wichtig halten Sie (Frauen-)Netzwerke und sind Sie heute noch in Netzwerken zur Unterstützung von Frauen aktiv?

Netzwerke aller Art sind extrem wichtig, und Frauennetzwerke sind noch wichtiger. Tun Sie es! Entwickeln Sie Gestalt, Form und Idee des Netzwerks weiter, bestärken Sie einander.

Für mich persönlich ist es ein lebensgeschichtlich abgeschlossenes Thema, in einem frauenspezifischen Netzwerk aktiv zu wirken. Notwendig bleibt es gleichwohl, ohne Einschränkungen.

Mein Engagement nimmt heute andere Wege. Das hindert mich nicht daran, Frauen in meinem Einflussbereich zu fördern, wo immer ich kann. Wenn sie es erlauben.

Neben Ihrer Tätigkeit als selbständige Anwältin betreiben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann ein Yoga-Studio in Frankfurt. Wie schaffen Sie es die doppelte Selbständigkeit, soziales Engagement und Familie miteinander zu vereinbaren?

Der Familiensinn meines Ehemannes und meiner Eltern, mit denen wir in einem Drei-Generationenhaus zusammenleben, macht es möglich. Unsere Tochter ist unser einziges Kind / Enkelkind, und wir alle waren entschlossen, dass wir für sie mit vereinten Kräften weitgehend selbst sorgen wollen. Nach sechs Jahren sind wir ein eingeübtes Team und spielen uns die Bälle zu – es war ein Prozess für alle Beteiligten.

Wenn Sie mit Mitte vierzig ein Kind bekommen, haben Sie nicht mehr das Gefühl, irgendetwas zu verpassen, wenn Sie gerade nicht in die Oper, zu der coolen Off-Vernissage oder ins Kino können. Alles schon gehabt, alles schon erlebt. Umso mehr sind Sie auch bereit, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Das Wesentliche bedeutet für mich auch: Mein Mann hat die meiste Zeit mit unserem Kind verbracht, trotzdem oder gerade deshalb möchte er sich beruflich verwirklichen. Die Yoga-Schule ist unser gemeinsames Projekt, in dem wir miteinander etwas entwickeln können, mein Mann als charismatischer Lehrer und Vermittler aber klar im Zentrum steht. Wir managen dabei keine dieser großen Einrichtungen mit einer großflächigen Immobilie, Kursplan, ständiger social media-Präsenz mit Event-Zirkus und Yogalehrer-Ausbildung. Das würde uns in der Tat überfordern, wir wären außerdem gezwungen, Personal einzustellen und teilweise den Unterricht zu delegieren. Wir bieten kleine, hochintensive, stark auf einen individuellen Teilnehmerkreis ausgerichtete Unterrichtseinheiten an. Die Teilnehmerzahl ist bewusst klein gehalten, der und die Einzelne steht im Mittelpunkt, wir kennen alle persönlich und unterrichten ausschließlich selbst. In dieser Form ist es für uns eine Bereicherung, Qualität geht uns über alles, das Konzept passt in Substanz und Ausrichtung zu dem, was wir sonst tun. Es fühlt sich schlüssig an, und deshalb kann auch eins ins andere fließen.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Da würden mir schon einige einfallen. Ich fokussiere mich, passend zu meiner Vita, auf Anwältinnen, die mir mit Ihrer Laufbahn den Weg gewiesen haben: Claudia Seibel, neben Ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin und Notarin aktuell Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins, wegen ihrer unverwechselbaren Geradlinigkeit, die sich um Gefälligsein, Mainstream und Konformitätszwang nie geschert hat. Tanja Pfitzner, die als eine der ersten in Frankfurt nach langer Zeit im Magic Circle eine unglaublich erfolgreiche Spezialboutique hingelegt hat, in ihrem Fall für Capital Markets Litigation; aus der Anschauung dieser Erfolgsgeschichte habe ich enorme Zuversicht geschöpft.

 

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

 

Frankfurt, 21. Oktober 2020. Dr. Mikešić hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Karen Kelat.

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