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Gigi Deppe im Porträt

„Ohne Übersetzung für juristische Laien ist Demokratie nicht machbar.“

Gigi Deppe, Leiterin der ARD-Rechtsredaktion Hörfunk, erzählt über ihren Weg vom Jurastudium in den Justizjournalismus, die Notwendigkeit bei juristischen Laien ein Verständnis für Zusammenhänge zu wecken und was es braucht, damit sich mehr Frauen für den Beruf der Journalistin interessieren.

Frau Deppe, nach Ihrem Studium und dem Referendariat sind Sie ohne Umwege Journalistin geworden. War das schon immer Ihr Ziel oder haben Sie die „klassischen“ juristischen Berufe einfach nicht überzeugt?

Das war offensichtlich schon sehr früh mein Ziel, wie mir erst später aufgefallen ist. Denn in meiner Bewerbung für ein Austauschjahr hatte ich mit 15 Jahren schon geschrieben: „In the future I want to become a journalist.“ Allerdings war ich dankbar für das juristische Referendariat, weil ich so in die verschiedenen klassischen juristischen Berufe mal reinschnuppern konnte. Ich fand sie alle irgendwie interessant, aber das mit dem Journalismus ging mir nicht aus dem Kopf.

 

Nachdem Sie einige Zeit als politische Redakteurin tätig waren, sind Sie in den Justizjournalismus gewechselt. Wie kam es dazu?

Die Spezialisierung kam schnell, weil es weit und breit keine Juristinnen in den Redaktionen gab. Und es machte mir auch mehr Spaß, weil ich deutlich qualifizierter juristische Sachverhalte beurteilen konnte – so wie etwa den Jugoslawienkrieg, den ich als politische Redakteurin auch zu betreuen hatte. Allerdings durfte ich damals in der Deutschen Welle keine Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen kommentieren. Man meinte, ich sei mit Anfang dreißig zu jung. Das fand ich einigermaßen empörend, glaube aber, dass das heute dort nicht mehr so entschieden werden würde.

Wie unterscheidet sich der Alltag einer Justizjournalistin von dem einer klassischen Zeitungsjournalistin? Warum haben Sie sich für den Hörfunk als Medium entschieden?

Als Justizjournalistin beschäftige ich mich natürlich vor allem mit Urteilen, Gerichtsverhandlungen und Gesetzentwürfen – ich versuche, da auf dem Laufenden zu bleiben. Arbeit als Fachjournalistin heißt: Ich berichte aus der Justiz und berate zusätzlich auch noch diejenigen, die in den Redaktionen alle Themen im Blick haben müssen. Als klassische Redakteurin könnte ich mich nicht so spezialisieren, sondern müsste vor allem viele journalistische Produkte verwalten. Also eher Sendungen planen und moderieren. Ich arbeite auch für das Fernsehen und für die Onlineredaktion, aber der Hörfunk hat es mir besonders angetan: Wer zuhört, muss sich in ein Thema versenken. Das heißt, ich habe eine besonders aufmerksame „Kundschaft“, die auch emotional zu erreichen ist, weil sie auf Stimmfarbe und Geräusche reagiert. Besonders verbunden fühle ich mich denjenigen, die mir erzählen, dass sie im Auto sitzen geblieben seien, weil sie noch eine Reportage oder einen Bericht von mir zu Ende hören wollten.

Kommunikation und Sprache spielen sowohl im Recht als auch im Journalismus eine große Rolle. Jurist*innen wird oftmals vorgeworfen, sich unverständlich auszudrücken. Ist es in den Rechtswissenschaften überhaupt möglich, viele Lebenssachverhalte unter eine abstrakte Norm verständlich zusammenzufassen?

Wenn sich die Mitglieder der Justiz unverständlich ausdrücken, ist das natürlich schlecht für die Rechtsunterworfenen. Ich denke aber öfter, dass mir das immerhin meine Tätigkeit garantiert und mich nicht arbeitslos werden lässt: Ohne Übersetzung für juristische Laien ist Demokratie nicht machbar. Es ist natürlich die Aufgabe von Jurist*innen, darüber nachzudenken, welche abstrakte Norm das wirkliche Leben am besten umfasst. Mir imponiert, wie z.B. am Bundesverfassungsgericht häufig intensiv darüber nachgedacht wird, was ein bestimmtes Urteil für Folgen haben könnte. Auf jeden Fall gehört zu meiner „Übersetzungstätigkeit“, ein grundsätzliches Verständnis für die Zusammenhänge zu wecken. Denn diejenigen, die von einem bestimmten Urteil erfahren, denken meist erst mal nur in eine Richtung. Und dann ist es meine Aufgabe, darauf hinzuweisen, was die Entscheidung auch noch bedeuten könnte.

In einem Interview 2015 haben Sie gesagt, Sie seien der festen Überzeugung, dass die Richterschaft deutlich besser kommunizieren lernen müsse. Warum war das damals Ihr Eindruck und konnten Sie in der Zwischenzeit eine Verbesserung feststellen?

Immer wieder stelle ich Defizite in der Kommunikation fest. Erst neulich war ich bei einer Verhandlung in einem Instanzgericht, bei dem der Vorsitzende Richter recht leise sprach und sehr umständlich formulierte. Kein Wunder, dass die Laien im Gerichtssaal oft nachfragen mussten, was er von ihnen wollte. Ich finde es dramatisch, dass in unserer juristischen Ausbildung darauf offensichtlich immer noch nicht genug eingegangen wird: Rechtliche Verhältnisse zwischen Menschen können nur zufriedenstellend geklärt werden, wenn die Justiz sie überhaupt erreicht. Aber es ist besser geworden; manchmal bin ich geradezu beglückt, wenn ich etwa beobachte, dass eine Vorsitzende Richterin angemessen mit einem Zeugen umgeht und der sie offenbar auch wirklich versteht. Trotzdem gibt es noch Luft nach oben. Die Pressearbeit der Gerichte ist auf jeden Fall besser geworden; bei dem Leitungspersonal gibt es jetzt doch Verständnis dafür, dass die Justiz Brücken bauen und erklären muss. Der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat dazu auf einem Juristentag einen eindrücklichen Vortrag gehalten und alle in der Justiz aufgerufen, sich hier mehr Mühe zu geben.

Welches juristische Handwerkszeug ist außer der Kommunikation für die Arbeit als Journalistin wertvoll?

Sehr wichtig ist die Analysefähigkeit, die wir ja im Studium und im Referendariat lange trainieren. Wenn ich junge Kolleg*innen beobachte, sehe ich es ganz deutlich: Diejenigen mit juristischem Hintergrund können leichter Strukturen erkennen. Sie können schneller benennen, warum etwas z.B. unverhältnismäßig ist. Und natürlich ist es von Vorteil, wenn man Staatsrecht gelernt hat. Dann lassen sich politische Vorgänge schneller erfassen.

Sie waren lange Zeit Vorsitzende der Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. (JPK), einer unabhängigen Arbeitsgemeinschaft von Journalist*innen, die insbesondere über die obersten Gerichte und über rechtspolitische Fragen berichten. Wie wichtig sind solche Netzwerke für Ihre tägliche Arbeit?

 

Natürlich könnte ich auch über die Justiz berichten, wenn ich einem solchen Netzwerk nicht angehören würde. Aber es macht viel Spaß, sich im Kolleg*innenkreis auszutauschen. Die gemeinsamen Diskussionen sind oft sehr fruchtbar. Dazu kommt, dass sich die Justiz etwas leichter tut, mit mir als Journalistin umzugehen. Wie gesagt, die Justiz ist in Sachen Öffentlichkeitsarbeit oft ziemlich unbeholfen. Wenn die Pressesprecherin eines Gerichts weiß, dass ich zu dem Netzwerk gehöre, insofern also wirklich diesen juristischen Schwerpunkt habe, ist sie möglicherweise offener.

Die Justizpressekonferenz hat 38 Vollmitglieder, darunter immerhin 15 Frauen. Inwiefern bildet diese Verteilung auch den tatsächlichen Anteil an Justizjournalistinnen nach und wie könnten mehr Frauen für den Justizjournalismus begeistert werden?

Wir haben in der Redaktion sehr regelmäßig Praktikant*innen und Rechtsrefendar*innen. Das sind fast durchgehend sehr beeindruckende Menschen, und es ist ein großes Vergnügen, sie auszubilden. Sie können viel, sind tatkräftig und sehr engagiert. Interessanterweise scheinen aber die Frauen sich tatsächlich weniger auf diesen speziellen Beruf zu fokussieren. Wir stellen fest, dass sie später nach ihren Examina in der Regel beruflich sehr gut unterkommen, meist aber nicht im Bereich Journalismus. Darüber habe ich schon viel nachgedacht. Es könnte sein, dass es für Männer eher ein Idealbild des „coolen, cleveren Journalisten“ gibt und dass für Frauen ein solches erstrebenswertes Stereotyp immer noch nicht existiert.

Wie kann man Mitglied werden und würden Sie jungen Juristinnen solche Verbände und Vereinigungen, insbesondere zum frühen Netzwerken, ans Herz legen? 

Die Satzung, die auf der Internetseite www.justizpressekonferenz.de zu finden ist, beschreibt die Voraussetzungen. Man muss einen gewissen Schwerpunkt im Justizjournalismus haben. Ja, natürlich sollten Berufsanfängerinnen unbedingt versuchen sich zu vernetzen. Das könnte aber auch die Gewerkschaft sein oder ein politischer Verein, der ein bestimmtes Anliegen hat. Alles, was die Perspektive öffnet, ist bereichernd.

Hat der Justizjournalismus besondere Herausforderungen für Frauen?  

Nicht mehr als anderer Journalismus. Wie bei denjenigen, die über Medizin oder wirtschaftliche Zusammenhänge berichten, ist natürlich darauf zu achten, ob die Lebenswirklichkeit von Frauen wirklich angemessen wiedergegeben wird. Da hapert es immer wieder, und da ist noch viel zu tun.

Inwiefern lässt sich eine Tätigkeit als Justizjournalistin mit der Familie vereinbaren? Können Sie uns Ihren familiären Alltag kurz beschreiben?

Viele Journalistinnen müssen im Schichtbetrieb arbeiten, also auch nachts, frühmorgens, abends oder am Wochenende. Das ist zum Glück beim Justizjournalismus nicht so ausgeprägt. Denn die Gerichte arbeiten typischerweise tagsüber. So hatte ich meist ein freies Wochenende. Bei Eilentscheidungen muss ich auch mal am Abend arbeiten. Denn bei den elektronischen Medien muss grundsätzlich rund um die Uhr berichtet werden. Besonders das Fernsehen ist da nicht sehr familienfreundlich.

​Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) spricht nach wie vor von einer „gläsernen Decke“ bei der Besetzung der obersten Richter*innenstellen. Zum Beispiel waren auf der Vorschlagsliste für die letzte Wahl der Richter*innen am Bundesgerichtshof 26 Personen im Rennen, davon gerade mal sechs Frauen. Wie sehen Sie das?

Es ist ein ermüdendes Dauerthema. Und es ist nicht zu verstehen, warum die Justiz da so schwerfällig ist. Oder besser: Warum sich die Politik hier nicht mehr Mühe gibt. Die Frauen in der Justiz tun gut daran, hier gebetsmühlenartig an die Vielfalt in diesem Lebensbereich zu erinnern und Gleichberechtigung einzufordern.

Seit Februar 2020 sind Sie auch bei dem Podcast „Die Justizreporter*innen“ beteiligt. Was unterscheidet diese Form der Berichterstattung von den klassischen Medien? Was reizt Sie daran?

 

Beim Podcast ist die Form freier, persönlicher, und es sind auch mehr menschliche Eigenheiten erlaubt. Es kommt dem Gespräch am Küchentisch, bei dem man wirklich wichtige Dinge bespricht, viel näher. Wir können längere Interviews führen als im traditionellen Radio. Und wir können auch etwas mehr Vorwissen voraussetzen und dadurch Themen noch mehr vertiefen. Aber ich mag auch das klassische Radio sehr. Das verlangt unbedingt eine strukturierte Konzeption, und die ist auch ein wichtiger Service für diejenigen, die zuhören.

 

Was würden Sie jungen Juristinnen raten, die sich für eine journalistische Karriere interessieren?

 

Tauchen Sie so viel wie möglich in die Praxis ein, um das Handwerkszeug zu lernen. Besuchen Sie Workshops oder Lehrgänge, die das vermitteln. Und scheuen Sie sich nicht, auf Medien zuzugehen und Beiträge anzubieten. Im Internetzeitalter gibt es eine Menge Foren, auf denen man schreiben und sichtbar werden kann. Und nicht scheu sein: Das Metier verlangt nach Selbstdarstellung. Also immer wieder dran bleiben, auch wenn der jeweilige Chefredakteur sich selbst als König sieht und wenig Interesse für andere hat.

 

 

Mentoringprogrammen wird ein großer Mehrwert bei der Frauenförderung zugesprochen. Wie wichtig ist es, im Journalismus Unterstützer*innen zu haben? Wie wurden Sie gefördert?

 

Jede Unterstützerin ist willkommen. Deswegen unbedingt danach suchen. Bei mir gab es noch keine Mentoringprogramme. Wenn, dann wurde ich einfach von wohlmeinenden Kollegen unterstützt und in meiner Arbeit bestärkt. Aber es ist sicher sinnvoll, sich systematisch Gesprächspartnerinnen zu suchen, die mehr Erfahrung auf dem jeweiligen Gebiet haben und die Denkanstöße geben können.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Beim Wort Vorbild schrecken Journalist*innen schnell zurück: Es lassen sich viele beeindruckende Persönlichkeiten finden, aber häufig haben diese auch Schattenseiten. Ich finde allerdings meine Kolleginnen, egal ob bei den öffentlich-rechtlichen Medien oder im Bereich Print bzw. Online, durchgängig sehr beachtlich. Jede musste sich auf die eine oder andere Weise durchbeißen. Und jede hat interessante Dinge zu erzählen. Vielleicht wäre hier die Berliner Fernsehjournalistin Christine Olderdissen erwähnenswert, weil sie sehr viel für das journalistische Handwerk tut. Sie fährt durchs Land und klärt über das Gendern auf: Wie schaffen wir es, unsere Sprache zu öffnen, so dass Frauen mehr darin vorkommen, ohne verquast zu formulieren? Wenn in zwanzig Jahren „genderleichte“ Sprache selbstverständlich geworden sein sollte, ist das bestimmt auch das Verdienst von Christine Olderdissen.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Berlin / Karlsruhe, 3. Oktober 2022. Das Interview führte Alicia Pointner.

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