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Prof. Dr. Elisa Marie Hoven

Prof. Dr. Elisa Marie Hoven im Porträt

"Vorbilder sind wichtig, um andere zu ermutigen."

Prof. Dr. Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig, im Interview über die persönliche und wissenschaftliche Bereicherung durch Forschungsaufenthalte und ihre Leidenschaft für Strafrecht.

Frau Prof. Dr. Hoven, Sie sind seit diesem Jahr Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig. Vorher hatten Sie bereits eine Juniorprofessur für Strafrecht an der Universität Köln inne.  Warum haben Sie sich für eine Spezialisierung im Strafrecht entschieden?

Ursprünglich habe ich im Öffentlichen Recht angefangen. Ich habe an einem öffentlich-rechtlichen Lehrstuhl zu Fragen des Völkerstrafrecht promoviert und habe dabei gemerkt, dass mich besonders die Fragen interessieren, die strafrechtlicher Natur sind. Am Strafrecht zeigt sich der Zustand einer Gesellschaft. Man kann an dem Umstand, welche Verhaltensweisen kriminalisiert werden, ablesen, wie liberal oder konservativ eine Gesellschaft ist, welche Ängste sie hat und welche Wertevorstellungen. Zudem sind viele strafrechtliche Fragen hoch politisch. In meiner Vorlesung behandle ich zum Beispiel gerade die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe: dieses Thema berührt ganz grundlegende religiöse und ethische Konflikte. Das finde ich unheimlich spannend.

 


Als Lehrstuhlinhaberin können Sie diesen auch gestalten. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Ein Schwerpunkt meines Lehrstuhls liegt im Medienstrafrecht und der Digitalisierung. Da befassen wir uns mit Fragen, die ich sehr wichtig finde und die uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beschäftigen werden. Ein großes Forschungsprojekt meines Lehrstuhls widmet sich der Strafzumessung. Wir untersuchen, wie Richter Strafen bemessen – man findet dazu ja nicht allzu viel im Gesetz. Wir schauen uns auch an, wie die Bevölkerung urteilen würde, ob sie härter oder milder als das Gericht straft. Einen anderen Schwerpunkt habe ich im Wirtschaftsstrafrecht. Dort interessiert mich insbesondere die Sanktionierung von Unternehmen. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, werden aller Voraussicht nach verstärkte Sanktionen für Unternehmen kommen. Auch das ist wieder ein politisch hoch spannender Bereich.

Mir ist auch wichtig, dass wir neben den klassischen Vorlesungen viel für die Studierenden anbieten. Ich finde es nicht schön, dass viele Studierende bereits im ersten Semester an das Examen denken – auch wenn ich das unter den gegebenen Umständen verstehe. Ich möchte aber, dass die Studierenden erst einmal sehen, dass Jura total spannend ist und dass ihr Fach Spaß macht. Das ganze gesellschaftliche Leben ist von Recht durchzogen. An der Universität Köln habe ich zum Beispiel eine Vortragsreihe zum Thema "Sexualität und Recht" organisiert. Hier an der Universität Leipzig habe ich die Rechtspolitischen Gespräche ins Leben gerufen. Bei der Auftaktveranstaltung befassen wir uns anlässlich des Falls von Sami A. mit Recht und Rechtsempfinden. Es geht darum, mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen und juristische Zusammenhänge zu erklären. Daneben habe ich auch den ersten bundesweiten strafrechtlichen Moot Court initiiert. Das wird super angenommen, wir haben schon ganz viele Bewerbungen bekommen.

Ihre Forschungstätigkeit hat Sie bereits viel ins Ausland geführt, Sie waren unter anderem in Phnom Penh, Harvard, Cambridge, Berkeley, Basel und Paris. Wie wesentlich sind solche Auslandsaufenthalte einerseits für die Forschung und andererseits für eine wissenschaftliche Karriere?

Für die Karriere sind Auslandsaufenthalte durchaus hilfreich, aber nicht unbedingt entscheidend. Für einen selbst sind sie aber unverzichtbar und erweitern den Horizont. Es ist spannend zu sehen, wie Recht im Ausland funktioniert. Ich habe den deutschen Strafprozess erst richtig verstanden, als ich das amerikanische Strafverfahren kennen gelernt habe. Andere Rechtsordnungen und Modelle kennenzulernen, hilft aber nicht nur, das eigene Recht besser zu verstehen, sondern man kann sich auch davon inspirieren lassen. Wenn man zum Beispiel darüber nachdenkt, in Deutschland ein Unternehmensstrafrecht einzuführen – dann lohnt es sich zu schauen, wie das in anderen Ländern funktioniert. So lässt sich übernehmen, was sich bewährt hat, und vermeiden, was Probleme bereitet.

Sie sind Sprecherin des Kriminalpolitischen Kreises, organisieren Vortragsreihen, veröffentlichen Fachbeiträge und initiieren jetzt an der Universität Leipzig den ersten strafrechtlichen Moot Court. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?

Man muss schon wirklich viel arbeiten, da führt kein Weg daran vorbei. Ich habe das Glück, dass das Strafrecht nicht nur mein Berufswunsch ist, sondern auch mein Hobby und meine Leidenschaft. Auch wenn ich Freizeit habe, mache ich das einfach gerne.

Und spätestens jetzt durch die Kinder habe ich gelernt, sehr effizient zu arbeiten. Man lernt in kürzerer Zeit viel konzentrierter zu arbeiten.

Wenn man Ihren Lebenslauf liest, fällt auf, dass Sie unzählige Preise gewonnen und Stipendien bekommen haben. Im zweiten Examen haben Sie den Listenplatz 1 belegt und Ihre Promotion mit summa cum laude abgeschlossen. Was bedeuten diese Auszeichnungen für Sie?

Für mich sind diese Auszeichnungen eine schöne Bestätigung dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist und sich die Arbeit, die man investiert, auch auszahlt. Es motiviert mich, weiter zu machen und wenn es funktioniert, dann macht man auch gerne weiter. Stipendien haben mir viel ermöglicht. Zum Beispiel habe ich dadurch als Nachwuchswissenschaftlerin erste eigene Tagungen organisieren können.

Im Jahr 2009 haben Sie in Kambodscha für eine Opferanwältin im Tribunal gegen die Roten Khmer gearbeitet. Im November dieses Jahres wurden zwei Vertreter des damaligen Regimes schließlich verurteilt. Was ist Ihrer Meinung der Hauptzweck völkerstrafrechtlicher Verfahren und wem sollen diese primär dienen?

Es ist schwer zu sagen, was der Hauptzweck ist. Ich würde sagen, es ist vielmehr eine Kumulation verschiedener Zwecke. Es geht dabei um Gerechtigkeit und Schuldausgleich, aber auch darum, dass die Weltgemeinschaft kommuniziert, dass selbst Menschen in staatlichen Führungspositionen nicht nach Belieben agieren können, sondern elementare Menschenrechte wahren müssen. Das hat – neben einer möglichen Abschreckungswirkung – auch eine symbolische Bedeutung: Die Weltgemeinschaft ist nicht mehr bereit, schwere Verbrechen mit Hinweis auf nationale Souveränität hinzunehmen.

Ob solche Verfahren auch den Opfern etwas bringen, muss man differenziert beantworten. Die Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof finden weit entfernt von den Ländern statt, in denen die Verbrechen begangen wurden. Es stehen Täter vor Gericht, die von den Opfern meist nicht individuell erlebt wurden. Zudem ist es für viele Opfer irritierend, dass Verfahren lange dauern, dass Urteile – vermeintlich – zu milde ausfallen und dass es im Zweifel keine oder nur eine geringe finanzielle Entschädigung gibt.

Warum wollten Sie Professorin werden?

Ich wusste schon relativ früh, gegen Ende des ersten Semesters, dass ich Professorin werden wollte. Und dann habe ich das auch recht konsequent verfolgt und bereits im Studium erste Aufsätze geschrieben. Ich fand es toll, mich mit rechtlichen Fragen wirklich intensiv zu beschäftigen. Bei Klausuren kann man nicht in die Tiefe gehen. Bei Seminararbeiten war das anders und das hat mir Spaß gemacht. Das Schöne am Beruf der Professorin ist, dass man morgens aufsteht und sich überlegen kann, über was man sich heute Gedanken machen möchte. Ob man sich zum Beispiel lieber mit Korruption oder mit Strafzumessung beschäftigen möchte. Man kann kreativ nachdenken, Entwürfe entwickeln und das machen, woran man Interesse hat. Neben der Forschung ist mir auch die Lehre sehr wichtig. In der Vorlesung bin ich ja mit denjenigen im Austausch, die später einmal das Recht in der Justiz und Politik prägen werden. Man hat die Hoffnung, dass man etwas weitergeben kann und die eine oder den anderen für die Sache begeistern kann.

Als Sie früher noch Studentin waren, haben Sie vielleicht auch mal in der Universität gedacht "Das mache ich dann später besser als Professorin". Welche Situationen fallen Ihnen dazu ein?

Mir fällt da keine Situation ein, ich hatte eher positive Vorbilder. Ich habe gedacht, die machen das toll, die hatten Spaß, so will ich das auch machen. Manche hatten richtig Lust darauf, etwas an ihre StudentInnen weiterzugeben und auch über den Stoff hinaus Dinge zu vermitteln. So möchte ich auch werden, habe ich gedacht.

Seit fünf Monaten sind Sie Mutter von Zwillingen. Wie erleben Sie die Vereinbarkeit von Lehrstuhl und Säuglingen?

Ich könnte mir keinen besseren Job vorstellen, um das zu vereinbaren. Als Professorin bin ich sehr flexibel und kann auch von zu Hause arbeiten. Ich habe keinen Nine-To-Five-Job und kann dafür abends von neun bis zwei Uhr nachts arbeiten, wenn die Kinder schlafen. Diesen Luxus, seinen Tag so frei zu gestalten, den hat man selten. Und ich habe auch großes Glück mit meinem Ehemann. Mein Mann hat ein Jahr Elternzeit genommen. Ich nehme keine Elternzeit, kann meine Zeit aber, wie gesagt, frei einteilen; dadurch teilen wir uns das ziemlich hälftig auf. Dann arbeite ich vier Stunden und er kümmert sich um die Kinder und dann läuft das anders herum. Das ist nicht nur für alle Beteiligten wichtig, sondern auch einfach nur fair, dass jeder die Hälfte macht. Für mich war es immer entscheidend, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der meinen Berufsweg unterstützt.

Haben Sie sich viele Gedanken über den "perfekten Zeitpunkt" für Kinder im Rahmen Ihrer wissenschaftlichen Karriere gemacht?

Ja, ich habe mir in der Tat Gedanken über den "perfekten Zeitpunkt" gemacht. Das ist vielleicht auch der einzige Nachteil an der Lehrstuhltätigkeit. Für mich war klar: bevor ich meine Habil fertig habe, kommt das für mich nicht in Betracht. Das wäre eine extreme Belastung gewesen. Kinder fordern auch viel. Und daneben hätte man dann den Druck gehabt, dass man keinen sicheren Job hat. Ich wollte meine Habilitationsschrift abgeschlossen haben und dann wissen, dass ich mich bewerben kann. Ich habe relativ spät mit 35 Jahren Kinder bekommen, aber ich wollte erstmal das Berufliche in trockene Tücher bekommen. Vielleicht sollte man sich überlegen, wie man im Rahmen einer wissenschaftlichen Karriere mehr Sicherheit für junge Eltern schaffen kann.

An Universitäten gibt es immer noch weniger Professorinnen als Professoren. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Da spielt sicherlich die Unsicherheit mit rein, die einen auf dem Weg zur Professur begleitet. Man kann sich nicht darauf verlassen, wann man einen Ruf erhält. Und wenn man eine Familie gründen möchte, dann ist so eine Unsicherheit ungut. Das gilt aber natürlich sowohl für Männer als auch für Frauen – aber Männer können mit der Familienplanung notfalls auch etwas länger warten. Ein Punkt ist sicherlich auch, dass einige Frauen sich das nicht zutrauen. Manchen fehlt das Selbstbewusstsein, um den langen Weg zu gehen oder sie denken, sie wären nicht gut genug. Manche haben auch die Sorge, dass man sehr extrovertiert sein und sich gut vernetzen können muss. Das ist in der Tat hilfreich – aber wenn man gut ist, dann das geht auch so.

Als ich angefangen habe zu studieren, gab es keine einzige Professorin an meiner Fakultät. Ich habe mich wirklich kurz gefragt, ob Frauen überhaupt Professorinnen werden dürfen. Das änderte sich dann in meinem dritten Semester. Wir bekamen eine Juniorprofessorin, bei der ich auch gleich begonnen habe zu arbeiten. Ich finde das Projekt mit den Vorbildern ganz wichtig, um andere zu ermutigen. Wenn da niemals eine Frau vorne steht, dann traut man sich das viel weniger zu. Und wenn dann eine Frau vorne steht, dann kann das andere Frauen ermuntern zu denken "das wäre doch auch etwas für mich".

Motivieren Sie Ihre Mitarbeiterinnen eine wissenschaftliche Karriere zu wählen?

 

Ja, das mache ich auf jeden Fall, wenn ich Neigung und Potenzial erkenne. Ich versuche sie dann zu motivieren, mit mir zusammen einen Aufsatz zu schreiben oder mit mir auf Tagungen zu gehen und stelle sie dort den entsprechenden Leuten vor. Eine wissenschaftliche Karriere ist aber natürlich nicht für jeden etwas. Ich habe auch einige tolle Mitarbeiterinnen, bei denen weiß ich aber, dass sie besser in der Praxis als in der Wissenschaft aufgehoben sind.

Hatten Sie ein Vorbild, dass Sie privat oder beruflich geprägt hat?

 

Ein berufliches Vorbild hatte ich aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe, leider nicht so richtig. Privat würde ich meine Mutter als Vorbild nennen. Sie war Finanzamtsvorsteherin, hat immer gearbeitet und hatte Spaß an ihrer Arbeit. Ich habe von ihr gelernt, dass es wichtig ist, persönlich und finanziell unabhängig zu sein, dass man einen Beruf wählen sollte, der einen inspiriert, der Spaß macht und auf den man sich jeden Morgen freuen kann. Und dass man sich gleichzeitig auch ganz leidenschaftlich um die Familie kümmern kann. In der Verbindung von Familie und Beruf war meine Mutter immer ein großes Vorbild für mich.

Frau Prof. Dr. Hoven, gibt es etwas, dass Sie jungen Juristinnen auf den Karriereweg mitgeben möchten?

Wenn ich das ein bisschen generalisieren würde, dann würde ich sagen: erkennen, wo die eigenen Fähigkeiten liegen und diese fördern. Wenn man ein Ziel hat, dann muss man den Weg dahin planen und sich dahinterklemmen. Der Einsatz, den man zeigt, zahlt sich in aller Regel auch aus. Und man sollte stets selbstkritisch bleiben, um sich verbessern zu können.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Da fallen mir gleich zwei ein! Prof. Dr. Tatjana Hörnle ist Strafrechtsprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war die erste Juristin, die mich richtig beeindruckt hat; alles, was sie schreibt, ist sehr gut durchdacht und sie bleibt auch bei emotionalen Themen – wir arbeiten beide zum Sexualstrafrecht – immer ruhig und souverän.

Und dann denke ich noch an Frau Prof. Dr. Frauke Rostalski. Sie ist gerade eine Kollegin an der Universität Köln geworden und hat einen einjährigen Sohn. Sie ist sehr selbstbewusst, intelligent, kreativ und total motiviert – und dabei noch unheimlich sympathisch.

Vielen Dank für das nette Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Leipzig / Frankfurt, 27. November 2018. Das Interview führte Jennifer Seyderhelm.

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