Claudia Böckstiegel im Porträt
„An die richtigen Projekte mit entsprechender Bedeutung zu geraten, benötigt auch etwas Glück.“
Claudia Böckstiegel, General Counsel bei der Roche Gruppe, über die Grundhaltung, dass man Stolpersteine und Misserfolge nicht als persönliche Kränkung empfindet, sondern als Chance, etwas daraus zu lernen.
Frau Böckstiegel, Sie sind General Counsel bei der Roche Gruppe und Mitglied der Erweiterten Konzernleitung. Ihre Zuständigkeit umfasst Legal, Patents, Group Audit & Risk Advisory, Sustainability und Compliance sowie Safety, Health & Environment. Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Da ich inmitten der Covid-19 Pandemie meine neue Rolle antrat, bin ich mir nicht sicher, ob ich schon einen typischen Tag hatte. Generell ist mein Tag geprägt durch viele Videokonferenzen und virtuell geführte Gespräche mit meinen Kolleg*innen. Inhaltlich deckt meine Abteilung eine große Themenvielfalt ab, das ist sehr spannend. In Zukunft werde ich wahrscheinlich wieder etwas mehr reisen und externe Kontakte pflegen können – je nach Entwicklung von Covid-19.
Ihr Job erfordert einen großen Arbeitseinsatz. Was treibt Sie dabei besonders an?
Mich reizt es zu gestalten und Neues zu lernen. Ebenso wichtig ist mir die Möglichkeit mit Menschen zusammenzuarbeiten und mich mit ihnen auszutauschen. Mich mit meiner Energie dafür einzusetzen, dass Patient*innen geholfen werden kann, ist allerdings der wichtigste Motivationsfaktor. Dieses Ziel verlieren wir alle bei Roche nie aus den Augen.
Können Sie Wendepunkte Ihrer Karriere identifizieren, die für Ihre Ernennung als Mitglied der Konzernleitung eine entscheidende Rolle gespielt haben?
Sicher gab es entscheidende Momente und Entscheidungen in meiner beruflichen Laufbahn, die für meine jetzige Rolle hilfreich waren. So habe ich an einem Punkt entschieden, dass ich gerne international arbeiten möchte und kam für mich zum Schluss, dass dies in einem grossen Unternehmen am ehesten möglich und auch mit meinem Familienleben kompatibel ist. Spannend am Arbeitsplatz Roche, der diesen Vorstellungen entspricht, finde ich nach wie vor die globale und interdisziplinäre Arbeit. Ich habe demzufolge die meiste Zeit in internationalen Projekten verbracht. An die richtigen Projekte mit entsprechender Bedeutung und Visibilität zu geraten, benötigt immer auch etwas Glück. Gleichzeitig habe ich sich bietende Gelegenheiten immer gern genutzt, ohne Rücksicht darauf wie das exakt in meinen Lebenslauf passt.
Der Weg zum Mitglied der Konzernleitung ist sicher ein langer, mit Höhen und Tiefen. Wie sind Sie mit etwaigen Stolpersteinen umgegangen?
Hier habe ich beruflich wie privat die gleiche Grundhaltung, nämlich dass man Stolpersteine und Misserfolge nicht als persönliche Kränkung empfindet, sondern als Chance, etwas daraus zu lernen. Manchmal stelle ich so fest, dass ich es besser hätte machen können, manchmal war das auch nicht möglich. Eine sportliche Grundhaltung und ein gesunder Optimismus helfen hier sehr.
Sie haben zwei mittlerweile erwachsene Töchter. Wie haben Sie Beruf und Familie unter einen Hut bekommen?
Wenn ich ganz ehrlich bin, frage ich mich das heute manchmal selbst. Aber grundsätzlich denke ich waren hier zwei Faktoren wichtig. Erstens: Meine Töchter waren gesund und hatten keine besonderen Bedürfnisse, sonst hätte ich mich eingeschränkt. Außerdem habe ich mir ein gutes Netzwerk mit Plan B und C für die Kinderbetreuung aufgebaut. Zweitens: Ich hatte Chefs, die meine private Situation respektierten.
Ihre erste Tochter ist noch während Ihres Referendariats zur Welt gekommen. Die Chance, nach dem Zweiten Examen in die Justiz zu gehen, lehnten Sie ab, weil Sie erst noch ein zweites Kind bekommen wollten. Welche Argumente sprachen für diesen Weg?
Damals hatte ich die Vorstellung, dass das Timing gut passt und mit der Referendariatszeit kompatibel ist. Zudem war es mein Wunsch, meine Kinder nicht in zu großem Abstand zu bekommen. Ich habe immer geglaubt, dass man auch danach noch durchstarten kann – und so war es auch. Allerdings würde ich niemals behaupten, dass das der einzig richtige Weg ist: Das muss jede*r selbst wissen – jede*r soll seinen eigenen Weg finden. Außerdem hängt eine solche Entscheidung von vielen Faktoren, auch von wirtschaftlichen Überlegungen, ab – diese sind sehr individuell. Heute bin ich jedenfalls froh, bei einem Unternehmen wie Roche zu arbeiten, das mich mit dem Fokus auf medizinische und diagnostische Innovation nach wie vor anspricht.
Haben Sie sich damals Gedanken dazu gemacht, wie Ihr Einstieg in die Berufswelt mit zwei kleinen Kindern sein würde?
Meine positive Grundhaltung hat mir sicher viel geholfen – ich hatte nie daran gezweifelt, dass das möglich sein würde, solange es für mich und meine Familie insgesamt stimmt. Es war sicher nicht von Anfang an mein Plan, General Counsel zu werden, das hat sich über etliche Jahre als Vorstellung entwickelt.
Damals gab es einfach so gut wie keine Frauen in diesen Positionen, das ist heute glücklicherweise anders. Meine Förderer waren alles Persönlichkeiten, die langfristig gedacht haben, in mir Potenzial erkannt haben und mich deshalb förderten. Sie glaubten auch an meine Belastbarkeit, ohne diese immer gleich bis an die Grenze auszutesten.
Auch Sie sind mit Ihrem Lebensweg und Ihrer jetzigen Position ein Vorbild für andere. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie ein Vorbild sind?
Das habe ich tatsächlich relativ spät gemerkt – sehr lange habe ich meinen Weg nicht als etwas Besonderes gesehen. Erst als eine meiner Töchter (jetzt auch Juristin) mich darauf aufmerksam machte, dass meine Laufbahn für andere interessant sein könne, wurde mir dies bewusst. Zudem kamen mit dem Erreichen einer bestimmten Führungsebene bei Roche auch Einladungen zu Events zur Förderung von Frauen oder Mentoringprogramme. Der Austausch mit anderen Kolleginnen in diesem Rahmen war – so denke ich – wichtig. Mein Credo ist auch hier sich selbst treu zu bleiben und die Teilnehmenden dazu zu ermuntern, ihren individuellen Weg zu gehen.
Wenn Sie nun auf Ihren Lebensweg zurückblicken: Welchen Rat würden Sie Ihrem früheren Ich geben?
Ich glaube, ich hätte früher ein Gespür dafür entwickeln können, wie man als Frau, die eine Karriere verfolgt, von anderen Kolleginnen gesehen wird und welche Vorbildfunktion man haben kann – da hätte ich schon in der Vergangenheit mehr bewirken können.
Auf einer von Ihnen besuchten Weihnachtsfeier wurden Sie und das weitere Publikum mit den Worten „Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Juristen“ begrüßt. Was ist Ihre Handlungsempfehlung für berufliche Situationen, in denen Frauen und Männer mit stark veralteten Rollenbildern konfrontiert werden?
Das ist sehr lange her. Ich finde es hängt sehr von der Situation ab, wie man reagieren sollte: manche Dinge kann man mit Humor nehmen oder mit Schlagfertigkeit begegnen – ich unterstelle nicht gleich böse Absicht. Es gibt aber Situationen, in denen es wichtig ist, die Menschen auf die Problematik ihrer Formulierung aufmerksam zu machen oder auch freundlich, aber bestimmt in ihre Schranken zu weisen.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Ich habe Freundinnen/Weggenossinnen, zu denen ich gerne den Kontakt herstelle.
Vielen Dank für das Interview!
Basel, 1. Oktober 2020. Frau Böckstiegel hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Sita Rau.
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