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Charlotte Schmitt-Leonardy

Prof. Dr Charlotte Schmitt-Leonardy im Porträt

„Der Umgang mit Selbstzweifeln ist ein work in progress.“

Prof. Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy, Professorin an der Universität Bielefeld, über ihre Karriere in der Strafrechtswissenschaft und den Umgang mit gelegentlichen Selbstzweifeln.

Frau Schmitt-Leonardy, Sie sind seit drei Jahren Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Universität Bielefeld. Was fasziniert Sie am Strafrecht?

Es fasziniert mich, dass es so viele verschiedene Lebensbereiche berührt, mit seinem Steuerungsanspruch immer wieder scheitert und diesen gleichwohl nicht aufgibt. Um diese kryptische Antwort etwas auszuführen: Strafrecht soll normativ wirken in Bereichen, die man ohne Bezugswissenschaften wie Ökonomie, Psychologie, Soziologie u.v.a. nicht verstehen kann. Einblicke in diese Ebenen von Mensch und Gesellschaft zu gewinnen, finde ich besonders bereichernd. Zudem beleuchtet die Strafrechtswissenschaft die vermeintlich „dunkle Seite der Gesellschaft“ und doch erscheint sie mir am spannendsten, wenn der Scheinwerfer auf uns zurückstrahlt und wir uns als Gesellschaft fragen müssen, was Kriminalisierung über uns aussagt, inwiefern Pönalisierung nicht funktioniert (z.B. wenn das Straftatniveau unverändert bleibt) und wo wir uns selbst ein (zu) gutes Gefühl damit geben, auf „der richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen … weit weg von „dem anderen“.

Wie sieht Ihr Alltag als Professorin aus?

Ich muss meine Zeit zwischen Lehre, Forschung, Nachwuchsförderung und universitärer Selbstverwaltung einteilen –  und die Zwischenräume sind mit vielen Mails und den langen Fahrten einer Pendlerin gefüllt. Ich stehe daher meistens gegen 5:30 Uhr auf, versuche blockweise zu arbeiten (meine Vorlesungen halte ich an maximal zwei Tagen – meistens passen ein paar Meetings und Gremiensitzungen noch in diese Tage) und reserviere bewusst Zeiträume, während derer ich offline schreibe. Die Organisation meiner Tagungsreihen und verschiedener Projekte ist mit meinem fabelhaften Team gut eingespielt, sodass ich vieles auf den Fahrten und nebenher erledigen kann. Und die Schriftleitung der Fachzeitschrift „wistra“ mache ich nun seit vielen Jahren mit dem besten Redaktionskollegen und guten Freund Prof. Dr. Roland Schmitz so gerne, dass unsere Telefonate zu Manuskripten irgendwann in einem Glas Wein und Gesprächen über das Leben münden. Mein Alltag ist also recht dicht, aber erfüllend. Um ihn nachhaltig zu schaffen, jogge ich drei bis fünf Mal pro Woche mit lauter Musik und habe das Glück, mich während der dichten Tage auf Abende mit meinem Mann Wolfram und unserer Hündin Yetta zu freuen … mit gutem Essen und allem, was das Leben schön macht. Ich hatte immer den Eindruck, dass es dieses Glück ist, das mich letztlich auch durch anstrengendere Phasen trägt. 

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Wie „planbar“ ist eine Karriere in der Wissenschaft?

 

Ich bin mir nicht sicher. Ich selbst habe sie nicht geplant, sondern bin meiner fachlichen Neugier und gewissermaßen „Einladungen“ zu nächsten beruflichen Kapiteln gefolgt. Ich würde sogar sagen, dass meine Karriere vielleicht am meisten von vermeintlich „gescheiterten Plänen“ profitiert hat, da hierauf tiefe Reflektion, neue Prioritäten und bereichernde Begegnungen folgten. Ich kann also keinen Masterplan anbieten, aber vielleicht eine Beobachtung: „Glück“ im Kontext der Karriere (und das sage ich bei gleichzeitiger Anerkennung meines ebenso grundsätzlichen wie großen Privilegs in dieser Welt) ist oft der Kreuzungspunkt zwischen Vorbereitung und Gelegenheit. Es dürfte also keine schlechte Strategie sein, in guten wie in schlechten Zeiten mit der Qualität seiner Arbeit und seines Charakters beschäftigt zu sein.

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Professorinnen sind im rechtswissenschaftlichen Bereich nach wie vor unterrepräsentiert. Worin sehen Sie die Ursachen dafür?

Oh, das ist ein großes Thema, das andere besser beurteilen können. Vielleicht ist es eine Kombination aus teilweise noch zu „traditionellen“ Strukturen und dem Umstand, dass am Ende eines anspruchsvollen, akademischen Weges ziemlich wenige Stellen aufgeteilt werden müssen. Insofern haben Sie einen Karriereweg, der notwendigerweise von starker Konkurrenz geprägt ist, von Pendeln (teilweise quer durch Deutschland), von wenig Jobsicherheit (in der Regel sind es ja Zwei-Jahres-Verträge als wissenschaftliche Mitarbeiterin), von Konferenzen am Wochenende und Nachtschichten, um Deadlines einzuhalten usw. Und das alles findet in einem Lebenszeitfenster statt, in dem – für Frauen – auch der Kinderwunsch eine Rolle spielen kann. Da kumulieren schon ziemlich viele Herausforderungen.

Ist das für Sie in Ihrem Berufsalltag konkret spürbar?

Naja, sagen wir so: Frauen sind an den langen, mit Partnern besetzten Konferenztischen der oberen Etagen Frankfurter Hochhäuser, an denen ich war, sicher nicht in der Mehrzahl. Es ist aber auch so, dass sich – im Wirtschaftsstrafrecht und in der Rechtswissenschaft im Allgemeinen – wirklich etwas zu bewegen scheint. Wenn in diesen Räumen nur ein einziger Stuhl mit einer Frau besetzt ist, scheint das mittlerweile bei den meisten ein Störgefühl auszulösen. Das war überfällig und liegt nicht zuletzt daran, dass wir Frauen gelernt haben, die Knappheitsmentalität zu transzendieren und uns nicht um „den einen Stuhl“ zu streiten, sondern einen weiteren hereintragen lassen … und dann noch einen und noch einen usw.

Inwiefern sehen Sie sich als Inhaberin eines Lehrstuhls mittlerweile selbst in der Position, auf eine höhere weibliche Repräsentanz in der Wissenschaft Einfluss zu nehmen?​

 

Ich sehe mich vor allem in der Verantwortung. Und ich denke, es fängt im Hörsaal an mit der Frage, wie man Frauen in seinen Fällen porträtiert, setzt sich in der eigenen Team-Zusammensetzung fort und ist in Gremiensitzungen – nicht zuletzt in Berufungskommissionen – von besonderer Bedeutung. Und zwar auch auf subtileren Ebenen, d.h. nicht nur in der Nominierung einer Frau für die Stelle, sondern zudem in der Kommunikation, dass sie die Stelle eben nicht nur bekommen hat, „weil sie eine Frau ist“ (denn manchmal ist die implizite Unterstellung auch, dass wir nur noch unseren Namen fehlerfrei schreiben müssen, um den Job zu bekommen). Und schließlich hinterfrage ich mich immer wieder, ob ich in den unterschiedlichsten Situationen gerade die Kollegin/Chefin/Mentorin bin, die ich selbst an der ein oder anderen Abzweigung gebraucht hätte.

Welche Vor- und Nachteile bietet die Tätigkeit als Professorin hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist da eine relative zeitliche Flexibilität, die man gut für die Familie – in meinem Fall war das bislang die sog. „Care-Arbeit“ für demenzkranke Angehörige – nutzen kann. Auf der anderen Seite ist da aber (zumindest bei mir) das permanente Gefühl, Arbeit nachholen oder vorziehen zu müssen – und dabei insgesamt niemals im grünen Bereich zu sein. Ich beobachte das noch viel mehr bei den Kolleginnen, die Kinder haben (ganz besonders in der Corona-Zeit). Und letztlich wissen wir es alle: Wenn wir wollen, dass Beruf und Familie wirklich vereinbar sind, müssen Frauen sicher sein, dass es am Ende – d.h. in Bewerbungsverfahren – nicht nur auf die Anzahl der Veröffentlichungen ankommt.

Sie haben zusätzlich eine Ausbildung zur Mediatorin absolviert. Wie genau ist diese abgelaufen und wie planen Sie, diese einzusetzen?

Die Ausbildung fand blockweise am Friedensbildungswerk in Köln statt. Mit sechs Modulen von je einer Woche ließ sich das gut über ein Jahr strecken und mit meiner Promotion vereinbaren. Die Erkenntnisse daraus waren in vielerlei Hinsicht von unschätzbarem Wert. Schon das grundsätzliche Verständnis dafür, dass hinter (manchmal absolut erscheinenden) Positionen immer Interessen und dahinter Bedürfnisse stehen, hat meine Herangehensweise an viele Situationen differenzierter werden lassen. Wenn man zudem, wie ich, ganz gerne auch mal über Alternativen zum Strafrecht nachdenkt, ist es sehr nützlich etwas über alternative Konflikterledigungsmechanismen zu wissen, die schon in einigen Gesellschaftsbereichen ausprobiert werden (Stichwort „Transformative Justice“) und zu denen die Mediation einen Beitrag leisten kann.

 

Aber auch in strategischer Hinsicht wirken die Erkenntnisse aus der Ausbildung weiter. Mediation fußt bekanntlich auf dem Harvard-Prinzip, das als erstes die sog. „win-win-Lösung“ ausbuchstabierte und damit die Perspektive auf Verhandlungen weichenstellend prägte. Mein Interesse für Konflikt- und Verhandlungsmanagement, dessen Strategien sich seit dem Harvard-Prinzip extrem weiterentwickelt haben, ist gewissermaßen damals in Köln geboren. Das ist in wirtschaftsstrafrechtlichen, aber auch allgemeinen strafprozessualen Konstellationen (über 60 % der Strafverfahren werden schließlich durch eine konsensuale Verfahrensbeendigung i.w.S. [also § 153a StPO, Verständigung nach § 257c StPO usw.] abgeschlossen) von hoher Relevanz.

Das Wirtschaftsstrafrecht, in dem Sie promoviert haben und auf dem einer Ihrer Forschungsschwerpunkte liegt, ist nach wie vor ein eher männerdominierter Rechtsbereich. Wie sind Sie als junge Wissenschaftlerin mit Situationen umgegangen, in denen Sie „die einzige Frau am Tisch“ waren?​ 

Wahrscheinlich mit dem typischen disease to please, das ich seit Jahren versuche abzuschütteln. (lacht) Ich hatte zwar das Privileg, gewissermaßen „von Außen“ an diese Tische gebeten zu werden und insofern vielleicht in einer anderen Rolle zu sein als die Frauen auf dem Partner-Track, die es sicher deutlich schwerer hatten. Aber es war – insbesondere zu Beginn – oft sehr einschüchternd und löste bei mir eher das Bedürfnis aus, mich zu beweisen und „hyper-vorbereitet“ zu sein. Mit der Zeit habe ich dieses „Impostor-Syndrom“ etwas abgeschüttelt und vielleicht hat dabei anfangs auch geholfen, dass ich mir (das klingt jetzt wirklich sehr jung, aber so war es eben) beim Betreten dieser Räume vorgestellt habe, dass die Frauen, die mir den Weg zu dieser Tür geebnet haben, mit mir über diese Schwelle treten. Ich glaube, ich hatte dieses geistige Bild aus irgendeinem Maya Angelou-Text und es hat sehr geholfen (lacht).

Haben Sie einen Tipp für die Steigerung der eigenen Sichtbarkeit und den Umgang mit Selbstzweifeln?

Ich habe für Strategien um „Sichtbarkeitsfragen“ recht spät Bewusstsein entwickelt, deshalb wäre mein Tipp: Haltet Ausschau nach den Frauen, die sich schon länger und besser dafür einsetzen (nicht zuletzt: der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb)) und unterstützt deren Arbeit. Was den Umgang mit Selbstzweifeln angeht so ist meine Erfahrung, dass es keine Ziellinie gibt. Es bleibt work in progress. Hier hilft ein Forum, in dem man angenommen wird und authentisch sein kann und zudem sicher ist, dass einem konstruktiv der Spiegel vorgehalten wird. Das kann alles Mögliche sein: Familie, Therapie oder irgendeine Form von Gemeinschaft. Für mich sind es vor allem meine Freunde, die seit Jahrzehnten in meinem Leben sind und die manchmal schlicht „Raum halten“, damit man sich selbst wieder findet.

Hatten Sie private oder berufliche Vorbilder, die Ihre Karriere geprägt haben?
 

Um heute bei den Frauen in meinem Leben zu bleiben: Den Juristinnen, die ich in der letzten Frage benenne, bin ich erst sehr spät auf meinem Berufsweg begegnet. Ich habe aber immer Vorbilder in meiner Nähe gehabt, die meinen Charakter und meinen Weg ganz signifikant geprägt haben. So waren die Sekretariate an den Lehrstühlen, an denen ich gearbeitet habe, mit wirklich beeindruckenden Frauen – Elke Völker (Saarbrücken) und Heike Brehler (Frankfurt a.M.) – besetzt, die mir oft den entscheidenden Rat gaben und heute noch Freundinnen sind. Aus meinem privaten Bereich denke ich vor allem an meine langjährige Mentorin Bettina Jung, der ich meinen moralischen Kompass zu verdanken habe. Und in intellektueller Hinsicht denke ich an die ambitionierten Frauen, die „zu früh“ geboren wurden – z. B. an meine Freundin Elke Kreis, die in ihren 80ern ist und auf Wunsch ihres Vaters nach der „Volksschule“ aufhören musste. Sie hat sich im Laufe ihres Lebens neben Französisch und Englisch auch Arabisch und Russisch beigebracht, an der Universität des Saarlandes über das sog. Frauenstudium-Weiterbildungsprojekt studiert und gehört zu den gebildetsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Das sind – neben vielen anderen Frauen in meinem Leben – Vorbilder, die nicht darauf achten, ein solches zu sein und vielleicht genau deshalb einen derart starken Eindruck hinterlassen.

Worin sehen Sie für sich in der Zukunft die größte Herausforderung?
 

Eine Balance zu finden zwischen den Belangen meines Lebens, die mir wichtig sind.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ich kann mich nicht auf eine beschränken: Ich denke an die Strafverteidigerinnen, die mich seit Jahren beeindrucken und die mir und uns Nachfolgenden Türen zum Wirtschaftsstrafrecht aufgestoßen haben, also Dr. Margarethe von Galen, Dr. Gina Greeve, Dr. Regina Michalke, Dr. Annette Rosskopf, Dr. Imme Roxin, Renate Verjans, Dr. Anne Wehnert. Ich denke an meine Freundin Melanie Poepping (Head of Global Investigations in einem multinationalen Konzern), die ich vor vielen Jahren auf einer Tagung kennengelernt habe als ich eine wissenschaftliche Mitarbeiterin war, die „nichts zu geben“ hatte (sie allerdings von allen wichtigen Leuten im Raum angesteuert wurde) und die mich mit einer Aufmerksamkeit und Zugewandtheit behandelt hat, die ihresgleichen sucht. Und ich denke an meine lieben Kolleginnen der Fakultät für Rechtswissenschaft in Bielefeld, mit denen ich mich regelmäßig zu allen erdenklichen Themen austausche und die mir wahrlich und kontinuierlich eine Inspiration sind.

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

Bielefeld / Berlin, Oktober 2023. Prof. Dr. Schmitt-Leonardy hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Kathrin Klose.

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