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Dr. Asmaa El Idrissi im Portrait

„Hört auf Euer Bauchgefühl!“

Dr. Asmaa El Idrissi, Projektleiterin bei der SWANS-Initiative und freiberufliche Diversity- und Antidiskriminierungsberaterin sowie Speakerin, über die Hintergründe einer Verfassungsbeschwerde, die sie bereits als Referendarin eingelegt hat und die Wichtigkeit, auf das eigene Bauchgefühl zu hören.

Asmaa, wo hast Du Jura studiert und was war damals Dein leitendes Motiv für das Studium?

Ich habe Jura an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main studiert. Tatsächlich wollte ich Soziologie oder Psychologie studieren, wurde aber dann für meine dritte Option, nämlich Jura, genommen. Mein leitendes Motiv war schon immer die Gerechtigkeit. Ich habe mich schon von klein auf sehr stark dafür interessiert und mich stark gemacht für diejenigen, für die ich mich stark machen konnte – noch völlig ohne Studium und Kenntnisse, aber mit den mir schon damals zur Verfügung stehenden Ressourcen. Ich muss zugeben, dass ich Jura in der Regel langweilig fand; der gutgläubige Erwerb von Hypotheken bringt mein Blut nicht in Wallungen. Meine Leidenschaft wurde dann durch meinen Schwerpunkt „Steuerung durch Recht“ entfacht. Im Rahmen dessen habe ich mich mit gesellschaftlichen Phänomenen beschäftigt und wie das Recht darauf einwirken kann – und umgekehrt.

Also Steuerung durch Recht, nicht Steuerrecht?

Genau, auf gar keinen Fall Steuerrecht. Ich habe dort fast alle Seminare, Hausarbeiten und Klausuren belegt im Schnittstellenbereich Gesellschaft, Recht und Diskriminierung. Das hat mich unglaublich interessiert, sodass ich mich letztendlich dann auch dazu entschieden habe, in diesem Bereich zu promovieren.

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Was macht man denn bei Steuerung im Recht? Kannst Du einen konkreten Fall schildern, der das veranschaulicht?

Es gab zum Beispiel ein Seminar, in dem Integrationskonflikte behandelt wurden. Dort wurde aufgezeigt, wie man straffälligen Jugendlichen durch Resozialisierungsangebote helfen kann und allgemein, wie das geltende Recht grundrechtsfreundlicher ausgestaltet und ausgelegt werden kann. Es betraf also Themen, die uns heute – knapp 20 Jahre später – immer noch stark interessieren.

Wie ging es dann für Dich weiter?

Ich habe promoviert und in meiner Dissertation die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung ab Mitte der 1970er Jahre bis zur zweiten Kopftuchentscheidung im Jahr 2015 analysiert. Im Zuge dessen habe ich eine Menge dazugelernt in Bezug auf verfassungsrechtliche Argumentation und Verfassungsdogmatik. Ganz konkret habe ich gelernt, wie man Brüche in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennen kann; und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem andere Religionsgemeinschaften als die katholische und evangelische Kirche auftreten. Ich fand es auch super spannend zu sehen, wie das Recht versucht, an dieser Stelle Kontrollmechanismen und neue Parameter zu entwickeln. Darüberhinausgehend habe ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit beim Exzellenzcluster Normative Orders mit der arabischen Revolution und den damit einhergehenden Verfassungsprozessen beschäftigt. Letztendlich bin ich dann beim Projektmanagement gelandet und darüber zur Antidiskriminierungsarbeit gekommen. Ich habe eine hessenweite Antidiskriminierungsstelle, das ADIBE-Netzwerk, geleitet. Dort habe ich viel darüber gelernt, was es heißt, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in den Alltag zu übersetzen, z.B. indem ich Betroffene dabei unterstützt habe, gegen erfahrene Diskriminierungen vorzugehen.

Das war bereits nachdem Du Referendarin warst, oder? Du hast uns im Vorgespräch nämlich verraten, dass Du Dich im Referendariat für Dich selbst, aber auch gegen Diskriminierung im Allgemeinen eingesetzt hast?​

Genau. Kurz zuvor hatte ich tatsächlich das Land Hessen verklagt. Denn dieses hatte mir damals, im Jahre 2017, die vollumfängliche Jurist*innenausbildung verwehrt. Genau genommen wurde mir der komplette praktische Teil verwehrt, weil ich meinen Hijab getragen habe.

Du hast Dich also fürs Referendariat angemeldet. Irgendwann hat man bemerkt, Du trägst Hijab und dann hat man Dir erzählt, dass Du praktisch nichts machen darfst?

Genauso war es. Man hat mir eine E-Mail geschickt mit einem Hinweisblatt, das ich mir anschauen und prüfen sollte, ob das Referendariat noch für mich in Betracht komme. In diesem Hinweisblatt stand, dass muslimische kopftuchtragende Referendarinnen, wenn sie das Kopftuch anbehalten wollen, alle praktischen Teile der Jurist*innenausbildung nicht wahrnehmen dürfen. Konkret heißt das, man darf die Staatsanwaltschaft nicht vertreten, keine Beweisaufnahme durchführen und auch nicht im Gerichtssaal neben der richtenden Person sitzen. Mir waren also alle Tätigkeiten verwehrt, die in irgendeiner Form den Staat repräsentieren oder die mich zum Staat hätten rechnen können.

Wie hast Du darauf reagiert?​

Ich wusste aufgrund meiner Promotion bereits, dass es diese Regelung gibt; man muss dazu sagen, dass es sich um eine verwaltungsinterne Vorschrift handelt. Es wurde also mit einer verwaltungsinternen Vorschrift massiv in Grundrechte eingegriffen, was an sich schon verfassungswidrig ist. Ich habe darauf ganz klassisch mit einer Beschwerde beim Landgericht reagiert. Dieser wurde nicht abgeholfen, weshalb ich mich dann für den einstweiligen Rechtsschutz entschieden habe. Zunächst habe ich mich selbst vertreten vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt, wo mir Recht gegeben wurde. Dagegen hat das Land Hessen Beschwerde eingereicht und der Fall ging dann hoch bis zum Bundesverfassungsgericht.

Woher hast Du das Selbstvertrauen genommen, Dich vor dem Verwaltungsgericht selbst zu vertreten?​ 

Darauf kann ich leider keine richtige Antwort geben, ich weiß es nicht. Ich war selbst von mir überrascht. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich aber ein sehr stärkendes Umfeld. Mein Doktorvater stand mir immer zur Seite und hat mich dahingehend stets gefördert, weil er das Potenzial gesehen hat. Auch eine sehr gute Freundin stand mir bei und meine Familie hat mich ebenfalls sehr bestärkt. Das größte Selbstbewusstsein hat mir aber wohl gegeben, dass das Land Hessen aus meiner Sicht verfassungsrechtlich schwach argumentiert hat. Und das hat sich auch auf die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erstreckt. Bezeichnend fand ich auch, dass von den drei Richter*innen am Verwaltungsgericht [das eine Diskriminierung anerkannt hat] eine Richterin blind war.

Du hast dann zwar vor dem Verwaltungsgericht gewonnen, letzten Endes ging der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht für Dich dann aber anders aus. Du meintest im Vorgespräch gleichwohl, dass es im Rahmen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch eine Besonderheit gab. Welche war das?

Genau, das war das Sondervotum des damaligen Bundesverfassungsrichters Di Fabio. Während die Mehrheitsentscheidung sehr salopp begründet war, hat Di Fabio in meinen Augen verfassungsrechtlich und dogmatisch sehr sauber argumentiert.

Wie war es für Dich, als Du die Entscheidung zum ersten Mal gelesen hast?
 
Ich muss sagen, es hat mich nicht gewundert. Ich konnte sehr viele Parallelen zum ersten Kopftuchurteil aus dem Jahr 2003 erkennen. Auch dort wurde quasi das komplette Gefahrenabwehrrecht herangezogen, nur dieses Mal eben auf den justiziellen Bereich bezogen. Genau das hatte ich bereits zuvor an den Kopftuchentscheidungen, vor allem der ersten, bemängelt. Ich glaube, es wäre eine andere Entscheidung gefällt worden, wenn der andere Senat des Bundesverfassungsgerichts zuständig gewesen wäre; derjenige, der auch im Jahr 2015 entschieden hat.
Du hast das Referendariat bis zur letzten Station durchlaufen und Dich dann dazu entschieden, die Prüfungen zum zweiten Staatsexamen nicht zu schreiben. Wie kam es dazu?
Es war eine der Entscheidungen im beruflichen Kontext, die mir sehr, sehr schwer gefallen ist und über die ich viel nachgedacht habe. Ich war natürlich auch getrimmt darauf, das Examen zu schreiben. Schon allein der Begriff „Volljuristin“ suggeriert, dass alles andere nur halb ist. Deswegen wollte ich das Referendariat zunächst unbedingt zu Ende bringen, habe dann aber erkannt, dass ich das eigentlich gar nicht möchte. Ich dachte mir: „Ich will keine Richterin sein, ich will keine Staatsanwältin sein und ich will auch keinen typischen Rechtsanwält*innenberuf ergreifen. Also warum tue ich mir all das an?“ Für mich war es letztlich wirklich eine gute Entscheidung zu sagen: „Okay, ich mache einen Cut und mache das, was ich will – und das ist Antidiskriminierungsrecht.“ Irgendwann wurde es dann auch noch Diversity Management.

Es ist trotzdem ziemlich mutig, weil Du Dich damit auch ein Stückweit gegen das System entschieden hast – oder?

Vor allem gegen die Leistungsgesellschaft; das war noch viel härter als die Entscheidung gegen das System. Ich musst auch lange daran knabbern, weil ich das Gefühl hatte, etwas nicht zu Ende gebracht zu haben und das war eigentlich nicht meine Art. Aber manchmal bringt man etwas zu Ende, indem man es abbricht – das wurde mir erst später klar.

Was hat Dir die Kraft gegeben, diese Entscheidung zu treffen und durchzuziehen?

Auch hier wieder mein Umfeld sowie externe und private Faktoren, die mir immer mehr verdeutlicht haben, dass die seelische Gesundheit eigentlich das ist, woran alles andere zu messen ist. Wenn ich meinen peace of mind nicht gewährleisten kann, was nützt mir dann jeder Erfolg? Was nützt mir dann eine vollständige Jurist*innenausbildung? Was nützt mir das alles, wenn ich dann unglücklich bin? Deswegen will ich an alle, die dieses Porträt lesen appellieren: Hört auf Euer Bauchgefühl! Auf unser Bauchgefühl hören wir sehr selten und der Verstand ist leider dazu fähig, uns heftig zu veräppeln, weil er alles plausibilisieren kann, selbst die toxischste Entscheidung. Deswegen ist das Bauchgefühl der viel gesündere Seismograph bei Entscheidungen.

Können wir ein bisschen vertiefter über antimuslimischen Rassismus sprechen?

Ich kann beispielsweise Zahlen in Bezug auf Bewerbungsverfahren liefern: Mit ausländisch klingendem Namen muss man sich bis zu dreimal öfter bewerben, um einen Job zu bekommen. Wenn man Hijab trägt, bis zu fünfmal öfter und wenn man dann noch überqualifiziert ist, bis zu siebenmal öfter. Allein anhand dieser Zahlen wird deutlich, was man als Hijabi, die auch noch überqualifiziert ist, durchmachen muss. Das kann ich auch auf meinen konkreten Fall herunterbrechen. Ich habe mich noch weiterbilden lassen nach der Leitung der Antidiskriminierungsstelle, unter anderem zur Diversity Managerin. Als ich mich danach beworben habe, habe ich 120 Bewerbungen geschrieben und ich wurde nur zu knapp einer Handvoll Bewerbungsgespräche eingeladen.

Was würdest Du einer Leserin oder einem Leser empfehlen, die oder der mit Diskriminierung zu kämpfen hat?

Man sollte sich als allererstes in einen Safe Space begeben, d.h. in einen Kreis, in dem sie oder er darüber sprechen kann ohne Täter-Opfer-Umkehr, also ohne dass ihr oder ihm nicht geglaubt wird. Es ist meiner Ansicht nach besonders wichtig erst einmal über das Erlebte sprechen zu können, ohne hinterfragt zu werden. Es ist mir auch während meiner Antidiskriminierungsarbeit immer wieder aufgefallen, dass dies für die Betroffenen unglaublich wichtig ist, weil sie immer wieder sekundäre Viktimisierung erleben. Dabei bedeutet primäre Viktimisierung, dass man Opfer einer Diskriminierung wurde und sekundäre Viktimisierung liegt vor, wenn man sich darüber beschwert und Reaktionen erlebt, wie: „Ach, er meinte es doch gar nicht so!“ oder „Haben Sie das nicht vielleicht selbst provoziert?“ All diese Reaktionen sind für die Betroffenen fast belastender als die primäre Erfahrung. Ein anderer Tipp ist auf jeden Fall Beratung in Anspruch zu nehmen.

Du bist seit Kurzem bei der SWANS-Initiative tätig. Was ist die SWANS-Initiative und was sind dort Deine Aufgaben?

Die SWANS-Initiative fördert mehrfach diskriminierte, in Deutschland geborene und sozialisierte Frauen mit Migrationsgeschichte. Wir sind die einzige Organisation in Deutschland, die genau diese Zielgruppe bedient. Die Förderung findet auf mehrfacher Ebene statt. Zum einen beinhaltet sie eine Karriereförderung durch Coaching, Seminare und Promotionsbetreuung. Zum anderen schafft sie ein Netzwerk zwischen den Frauen, aber auch zu namhaften Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Im Grunde kann man sagen, wir bieten alles, was Stipendiengeber*innen anbieten, nur leider ohne die finanzielle Förderung.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Das sind viele. Mir fallen spontan Aqilah Sandhu und Nahed Samour ein. Aqilah klagte ebenfalls wegen Diskriminierungen im Referendariat und ist nun akademische Rätin. Nahed ist Islam- und Rechtswissenschaftlerin und einer der klügsten Köpfe, die ich kenne.

 
Vielen Dank für das spannende Interview!

Bochum, 26. Juni 2023. Das Interview führte breakingthrough zusammen mit Marc Ohrendorf von „Irgendwas mit Recht“. Das Gespräch ist parallel auch als Podcast bei „Irgendwas mit Recht“ erschienen, hört rein!

 

 

 

Hier mit Kapitelübersicht und Transkript.

 

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