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Stefanie Killinger

Dr. Stefanie Killinger, LL.M. im Porträt

„Ich engagiere mich für Frauen nicht aus der Opferperspektive, sondern der Perspektive von Empowerment .“

Dr. Stefanie Killinger, LL.M., Präsidentin des Verwaltungsgerichts Göttingen und Mitglied der djb Kommission „Verfassungsrecht, Öffentliches Recht und Gleichstellung“, über vielseitige Karrieremöglichkeiten in der Justiz und den Wert des Ehrenamts.

Frau Killinger, Sie sind Präsidentin am Verwaltungsgericht in Göttingen. Ihr Berufseinstieg erfolgte in einer Großkanzlei. Wie haben Sie die Umstellung zwischen diesen doch recht unterschiedlichen Arbeitsumfeldern erlebt und was haben Sie aus Ihrer Zeit als Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei mitgenommen?

Das Besondere an Großkanzleien sind die großen Mandate. Ich mochte das. Vor allem aber mochte ich die Zusammenarbeit eines ganzen Teams einschließlich des berühmten „Backoffice“ an diesen Mandaten. Die Aufgaben in der Justiz sind ganz überwiegend anders strukturiert, mal groß, mal klein. Aber noch immer arbeite ich am liebsten im Team, also in der Kammer, an schwierigen Sachen. Aus der Zeit in der Kanzlei habe ich einen großen Respekt für die Anwaltschaft mitgenommen. Den habe ich mir bewahrt. Mitgenommen habe ich wahrscheinlich auch die Erkenntnis, dass eine hohe Schlagzahl auch Spaß macht. Und ich hatte für die ersten Jahre in der Justiz einen ganzen Schrank voll von Kitten-Heel-Schuhen, die ich leider auf dem Kopfsteinpflaster von Braunschweig zerstört habe.

Im Rahmen Ihrer Karriere haben Sie einen spannenden Weg zurückgelegt. Von der ordentlichen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, von der Richterbank über das Justizministerium Niedersachsen in das Büro einer Ministerin und wieder zurück. Wie sind Sie zu diesen vielfältigen Positionen gekommen?

Das war ganz unterschiedlich. Um manchen Wechsel habe ich mich gekümmert. An anderen Stellen wurde ich angesprochen oder eingeladen, mich zu bewerben. Ich glaube, es ist in der Justiz wichtig, als leistungsfähig und als leistungsbereit wahrgenommen zu werden. Außerdem habe ich selbst Spaß am Wandel und ducke mich nicht weg, auch um für die Sache von Frauen ein Zeichen zu setzen.

Wie unterscheidet sich Ihre Rolle als Präsidentin am Verwaltungsgericht vom Tätigkeitsbereich der klassischen (Verwaltungs-)RichterIn?

Ich habe einen Mischarbeitsplatz: Ich habe richterliche Aufgaben und bin Kammervorsitzende. Ich leite aber auch ein Gericht und habe Verwaltungsaufgaben. Zum Beispiel bin ich Dienstvorgesetzte und Beauftragte für den Haushalt. Ich bin auch letztverantwortlich für die Pressearbeit des Gerichts. In der Verwaltungsfunktion bin ich in eine Behördenhierarchie eingebunden, das ist auch ein Unterschied zur richterlichen Tätigkeit. Für mich ist das die beste Mischung, die die Justiz zu bieten hat.

Verschiedene Studien zeigen, dass BerufseinsteigerInnen sich bei ihrer Berufswahl dieser Tage immer mehr von intrinsischen statt monetären Motiven leiten lassen. Inwieweit haben Sie das Gefühl, sich in Ihrer Tätigkeit als Richterin entfalten zu können?​

Das Selbstverständnis von Richterinnen und Richtern wird ganz entscheidend von der richterlichen Unabhängigkeit geprägt. In meiner richterlichen Tätigkeit empfinde ich diese Unabhängigkeit als Geschenk. Ich entfalte mich in dem Raum, den sie bietet. Das Einkommen spielte bei meiner Entscheidung, aus der Anwaltschaft in die Justiz zu wechseln, überhaupt keine Rolle. Ich habe allerdings auch nicht das Gefühl, unter Wert bezahlt zu werden.

Gibt es einen bestimmten „Typ“ Persönlichkeit, zu dem der Beruf als RichterIn besonders gut passt?

Interessanterweise gibt es eine sehr große Spannbreite an „Richterpersönlichkeiten“. Das hat mich schon in der ersten Zeit in der Justiz beeindruckt. Einen bestimmten Typ habe ich noch nicht entdeckt. Wenn überhaupt, dann ist ein Typus an Juristin oder Jurist die Ausnahme in der Justiz: der hochkompetitive. Der hätte wahrscheinlich keine Freude daran, 40 Jahre lang in flachen Hierarchien neben Menschen zu arbeiten, die sich in der Sache täglich als unabhängig erleben. Und wenn wir schon dabei sind: Auch Menschen, die sich nicht entscheiden können, werden in der Justiz nicht froh.

Die Justiz verlangt BewerberInnen oft gerade am Anfang einiges an Flexibilität ab – sei es örtlich oder fachlich. Sehen Sie darin auch positive Aspekte?​

Ja bestimmt. Die unterschiedlichen Erfahrungen, die Verwendungsbreite sind in langen Berufsjahren ein Asset. Und man wird nicht so schnell bequem.

Was halten Sie für die größten Herausforderungen, die in den nächsten Jahren auf die Justiz zukommen?​ 

Die Digitalisierung, auch auf Seiten der Kanzleien. Legal Tech. Unsere derzeitige Unterlegenheit in der Bearbeitung von Massenverfahren.

Lange Zeit stand eine Karriere als RichterIn nur Männern offen. Auf Ebene der Einstellungen ist der Anteil von Frauen und Männern mittlerweile (mindestens) paritätisch, höhere Positionen sind dagegen auch in der Justiz noch häufig männlich besetzt. Hat sich im Hinblick auf diese „gläserne Decke“ nach Ihrer Wahrnehmung bereits etwas getan?

Auf jeden Fall. Es gibt wahrscheinlich keine Landesjustizverwaltung, die sich nicht Frauenförderung auf die Fahnen geschrieben hat und die nicht genau beobachtet, wie viele Frauen in Führungspositionen kommen. Das hilft, weil es ein Umfeld schafft, in dem Frauen ermutigt werden, sich auf solche Stellen zu bewerben. Aber der Weg ist noch nicht zu Ende. Ich denke zum Beispiel, dass die Erprobung, wie sie in der Justiz als Voraussetzungen für eine spätere Bewerbung für das erste Beförderungsamt verlangt wird, überprüft werden müsste. Ich bin überzeugt davon, dass die Erprobung gerade in Flächenländern Kolleginnen und Kollegen mit Care-Aufgaben strukturell benachteiligt.

Welchen Tipp würden Sie jungen JuristInnen geben, die eine Karriere in der Justiz anstreben?

Wie in jedem anderen Beruf gehören Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft zum Erfolgsrezept. Mitmachen, Herausforderungen als Angebote für die eigene Entwicklung ansehen, zu einem guten Arbeitsumfeld für alle anderen aktiv beitragen, sich nicht in eine ausgeprägte Anspruchshaltung hineinmanövrieren – das ist eine Haltung, die gut zu einer Karriere in der Justiz passt.

Mittlerweile sind Sie selbst Mentorin. Welche Rolle haben der Rat erfahrener KollegInnen bzw. positive (oder auch negative) Rollenbilder in Ihrer Karriere gespielt?

Ich erinnere mich, dass ich eine Zeit lang richtiggehend auf der Suche nach weiblichen Rollenvorbildern in der Justiz war. Wichtig war dann für mich die Erkenntnis, dass es keine perfekte Ratgeberin gibt, sondern dass es auf ein gutes Coaching ankommt, wenn man seinen eigenen Weg finden will. Heute spielt der Rat von Kolleginnen wieder eine größere Rolle für mich als früher, weil ich aktiver und vor allem spezifischer Rat suche und auch in einem Kreis von weiblichen Führungskräften bin, der strukturierte kollegiale Beratung bietet.

Neben Ihrer Karriere waren Sie immer auch aktiv ehrenamtlich engagiert: als Mitglied der djb-Kommission „Verfassungsrecht, Öffentliches Recht und Gleichstellung“, als Vorstand eines Vereins, der sich der Beratung für Sexarbeiter*innen und Opfern von Menschenhandel widmet und mittlerweile auch in der Kommunalpolitik. Können Sie einen Einblick in diese Tätigkeiten geben?

Mir war es immer wichtig, mich für Frauen zu engagieren, und zwar nicht aus der Opferperspektive, sondern aus der Perspektive von Empowerment. Mittlerweile habe ich auch den Eindruck, dass ich mit meinen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen einen Beitrag leisten und für die Sache von Frauen wirksam werden kann, zum Beispiel im Deutschen Juristinnenbund. Für mich spielt die Idee eine große Rolle, mich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und Verantwortung für unsere Gemeinschaft zu übernehmen. Damit fülle ich mein Privatleben, soweit es nicht meiner Familie gehört.

Inwiefern hat dieses Engagement auch Ihren eigenen Blick verändert?

Ehrenamt ist für mich eine demokratische Vervollständigung. Das klingt vielleicht hochtrabend, ich empfinde es aber sehr ehrlich so. Als Richterin bin ich Teil unserer demokratischen Selbstherrschaft, weil ich Regeln, die demokratisch zustande gekommen sind, anwende und zur Durchsetzung bringe. In meinen eher politisch ausgerichteten Ehrenämtern ist die Perspektive auf diese Regeln eine andere: Sind es gute, richtige Regeln oder kann man etwas verbessern? Auch das gehört zu demokratischer Selbstherrschaft, denn wir regieren uns eben zu einem guten Teil durch das Recht selbst. In beiden Perspektiven, im Beruf als Richterin und im politischen Ehrenamt, will ich meiner Verantwortung für unsere politische Gemeinschaft gerecht werden.

Ihr Weg zeigt, wie viele Möglichkeiten frau trotz – oder gerade wegen – Vollzeitjob und zwei Kindern hat. Inwiefern haben Sie dabei auch Grenzen wahrgenommen?

Nicht jede interessante Aufgabe, die die Justiz bietet – und davon gibt es sehr viele – war für mich erreichbar. Ich wäre zum Beispiel gern einmal an das Bundesverwaltungsgericht als wissenschaftliche Mitarbeiterin gegangen. Darunter hätte meine Familie doch zu sehr gelitten, auch, wenn mein Mann viele Aufgaben übernommen hat und immer noch übernimmt. Ich bin über die Grenzen aber nicht betrübt. Man kann den Kuchen nicht zugleich haben und essen, wie die Engländer sagen.

Wie wichtig ist ein gutes Unterstützungssystem, gerade im Hinblick auf die Verteilung von „Care-Arbeiten?

Wenn beide Partner anspruchsvolle Berufe haben: essentiell. Ich würde immer empfehlen, hier nicht zu sparen.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Renate Künast  ist mein Vorbild. Sie hat mit ihrer Beharrlichkeit das Thema Hate Speech in die Welt des Rechts geholt. Und ich werde ihr für immer dankbar dafür sein, dass sie ebenso offensiv wie ausdrücklich mit den Waffen des Rechts kämpft, obwohl sie als Politikerin auch andere Möglichkeiten hätte, wenn nicht zu ihrem Recht, so doch zu Genugtuung zu kommen. Vielen Dank für Ihr Vertrauen, liebe Renate Künast.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Frankfurt am Main, 08. März 2022. Dr. Stefanie Killinger, LL.M. hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Elisabeth Schemmer.

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