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Paulina Starski

Paulina Starski im Porträt

Jede Entscheidung ergibt retrospektiv gesehen Sinn.

Prof. Dr. Paulina Starski, Professorin für deutsches und ausländisches Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Senior Research Affiliate am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, über die Privilegien und Herausforderungen der Wissenschaft, den selbstkritischen Blick auf die eigene Arbeit und Forschungsaufenthalte mit der Familie im Ausland.

Paulina, Du hast schon viele verschiedene berufliche Stationen hinter Dir. Wie ist das, immer wieder in einer neuen Umgebung zu arbeiten?

Sehr spannend! Von 2001 bis 2014 war ich an der Bucerius Law School in Hamburg, also eigentlich ziemlich lange. Danach bin ich ans Max-Planck-Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht (MPI) gewechselt, war dann im Ausland, anschließend Lehrstuhlvertreterin an der Universität zu Köln und habe hiernach eine Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen. Mit einer Arbeit zum Thema „The Unwilling or Unable State as a Challenge to International Law“ habe ich mich 2020 an der Bucerius Law School habilitiert. Es schloss sich eine Lehrstuhlvertretung an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg an. Im Jahre 2020 ereilte mich der Ruf an die Universität Graz, wo ich als Professorin für Öffentliches Recht und Global Governance wirken durfte. Seit März 2022 bin ich nunmehr Professorin für deutsches und ausländisches Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität in Freiburg. All diese institutionellen Wechsel waren für mich sehr wichtig, denn jede Umgebung ist anders. Auch die Form der Lehre und der Wissenschaft ist immer etwas anders. Irgendwann macht man es sich – auch gedanklich – bequem. Mit einem Wechsel beginnt man nochmal anders zu denken und die eigene Identität als Wissenschaftlerin zu suchen. Natürlich ist es auch anstrengend. Man muss sich neu einarbeiten. Aber jedem Anfang wohnt auch ein neuer Zauber inne. Das hat mich zumindest motiviert. Und man wird durch einen Wechsel gedanklich viel schärfer und auch kreativer. Daher empfand ich insbesondere die Lehrstuhlvertretungen, die ich wahrnehmen durfte, als sehr spannend. Allerdings ist es auch so, dass man Studierende ins Herz schließt und dann recht schnell leider von dannen zieht. Das ist sehr schade.

Was begeistert Dich an der Wissenschaft?

Ich mache mir gerne Gedanken über grundsätzliche Dinge; mich bewegt die Suche nach Wahrheit und nach neuer Erkenntnis. Aber es ist auch eine kreative Arbeit. Und wenn man sich anderen Disziplinen gegenüber öffnet, bekommt man neue Werkzeuge an die Hand. Auch die Wissenschafts-Community finde ich großartig; da sind sehr spannende Leute dabei. Außerdem mag ich es, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie bis zum Letzten zu zerlegen. Das ist ein großes Privileg in der Wissenschaft, dass man auch mal Sachen durchdenken kann, die praktisch gesehen auf den ersten Blick gesehen vielleicht weniger relevant sind. Und man kann sich in der Wissenschaft die Themen zum Teil selbst aussuchen und hat dann eine intrinsische Motivation für diese Themen. Diese Eigenständigkeit und Freiheit sind ein enormes Privileg!

Warum hast Du Dich unter anderem auf das Völkerrecht spezialisiert?

Völkerrecht ist „Recht am Hochreck“. Nicht, weil es zwingend sehr komplex ist, sondern weil völkerrechtliche Fragestellungen unentwegt zu Grundfragen des Rechts führen: „Was ist Recht? Wieso gilt Recht? Was ist ein Staat?“. Diese Grundfragen tauchen häufig auf. Genau wie beispielsweise die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Recht. Das interessiert mich sehr. Gelockt hat mich insbesondere die internationale Dimension: Jedes Rechtssystem hat andere Herangehensweisen an völkerrechtliche Fragestellungen, aber es sind dann doch universelle Themen, die alle einen und an denen alle arbeiten. Ich kann auch viel an Schnittstellen arbeiten, es gibt einfach sehr viele Anknüpfungspunkte und die Themen sind eng miteinander verschränkt. Dafür kann ich mich einfach begeistern.

Dass Du in der Wissenschaft arbeiten würdest, war für Dich nicht von vornherein eindeutig. Während des Referendariats hast Du auch in einer Großkanzlei eine Station absolviert und konntest Dir auch vorstellen dort zu arbeiten. Wie hast Du dann entschieden?

Schon während des Studiums entbrannte mein wissenschaftliches Interesse, was sich in der Promotionszeit bestätigte. Die Entscheidung in die Wissenschaft zu gehen, habe ich tatsächlich während der Wahlstation meines Referendariats in New York getroffen, als ich in einer Großkanzlei arbeiten durfte. Die Arbeit war extrem spannend und auch intellektuell herausfordernd. Dennoch habe ich mich gefragt, ob ich anwaltlich tatsächlich den Rest meines Lebens tätig sein möchte. Und das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Ich habe gemerkt, dass ich sehr glücklich war, wenn ich ein tiefgehendes Gutachten zu einer umstrittenen Frage verfassen und meine Thesen kontrovers mit anderen diskutieren konnte. Mich trieb ein inneres Gefühl in die Wissenschaft. In die Wissenschaft zu gehen, war also mehr ein Gefühl denn eine rationale Entscheidung. Ich wusste zu dem Zeitpunkt auch noch nicht genau, welche Herausforderungen auf mich zukommen werden.

Was sind denn Aspekte an Deiner Arbeit, die Du als spezifische Herausforderungen der Wissenschaft empfindest und die Dich überrascht haben?

Mich hat überrascht, wie lange alles mitunter dauert. Ein Gedanke ist nicht mal eben schnell aufgeschrieben, sondern muss reifen. Ich kämpfe nach wie vor sehr mit mir, bis ich Sachen abgebe. Das ist vielleicht die andere Seite des Privilegs der Wissenschaft. Dieser Kampf mit mir selbst. Da brauche ich bei meinen Arbeiten zum Teil viel Disziplin, um zu sagen: „Das reicht jetzt so.“ Da helfen mir vor allem externe Drucksituationen, wie beispielsweise meine beiden kleinen Söhne, die auch Zeit mit mir verbringen wollen. Wenn ich dann noch weiter an einer Publikation schreibe, ist das eben Zeit, die ich nicht mit ihnen verbracht habe. Auch Deadlines schaffen natürlich Druck, der zwar situativ unangenehm ist, mich aber auch zu Höchstleistungen treibt. Ich habe mir immer gewünscht, zwei Wochen vor einem Abgabetermin oder Vortragstermin mit dem Manuskript fertig zu sein. (lacht) Dies ist noch nie eingetreten. Mittlerweile betrachte ich dies auch nicht als Defizit oder einen charakterlichen „Mangel“. Es ist vielmehr meine Art zu arbeiten. Exzellente Arbeiten entstehen oftmals unter Druck und Adrenalin. 

 

Was ich außerdem unterschätzt habe: Kreative Prozesse brauchen Phasen der Einsamkeit und des Rückzugs. Natürlich ist es zentral über seine Arbeit mit anderen zu reden und zu diskutieren, sich mit Kolleg*innen auszutauschen, auf Konferenzen zu präsentieren. In den zentralen Momenten und Höhepunkten der Kreativität sitzt man vor einem leeren Blatt und viele Gedanken zirkulieren im Kopf, die zu strukturieren sind. Reflexion ist ein individueller und jedes Mal singulärer Prozess. Natürlich bedarf es der Korrektive und der Interaktion mit anderen, um sich nicht in nicht zielführenden Gedankengängen zu verstricken. Ich bin viel auf Tagungen und Konferenzen präsent und arbeite ebenfalls viel mit Wissenschaftler*innen aus anderen Disziplinen. Sehr heilsam sind auch Gespräche mit Nichtwissenschaftler*innen. Sehr gut ist es für mich, z. B. mit meinem Mann zu sprechen, der ehemaliger Unternehmensberater und nunmehr CFO eines mittelständischen Unternehmens ist. Er geht Dinge sehr pragmatisch an, was mir dabei hilft, die Dinge ins richtige Lot zu setzen.

Du hast erzählt, dass Du eigentlich zwei Dissertationsmanuskripte sowie Deine Habilitation verfasst hast. Wie kam es dazu?

Ich habe mit einem Dissertationsvorhaben zu einem völkerrechtlichen Thema begonnen, in dem ich mich mit Abstufungen von Souveränität auseinandergesetzt habe und Entitäten, die sich nicht in das souverän/nichtsouverän Schema fügen. Das Projekt explodierte vom Umfang und ich erstellte ein Manuskript von ungefähr 900 Seiten. Hierin wurde Habilitationspotential erblickt und ich habe dann ein zweites Dissertationsprojekt in Angriff genommen mit dem Gedanken, das Erstmanuskript zu einer Habilitation auszubauen. Die „zweite“ Dissertation schloss ich dann sehr erfolgreich ab und wechselte zum MPI. Da waren seit der ersten Arbeit schon wieder drei Jahre vergangen und ich als Wissenschaftlerin gereift. Von der Erstarbeit, die ich dann nicht mehr so spannend fand, entfernte ich mich sodann sehr und letzten Endes war sie nur noch in wenigen Aspekten erkennbar. Die große Frage ist nun, ob ich jetzt drei Jahre meines Lebens verloren habe. Ich würde sagen nein – gerade diese Erfahrung brachte mich dahin, wo ich bin.

Was hast Du daraus gelernt?

Ich glaube, jede Entscheidung ergibt retrospektiv gesehen Sinn. Das ist meine grundbejahende Einstellung zum Leben. Das hilft mir sehr. Das sind oft organische Prozesse, bei denen sich eins aus dem anderen ergibt.

Das hilft ja auch den Druck aus der Sache zu nehmen, oder?

Ja, definitiv. Das ist ja oft so mit Entscheidungen, auch schon im Studium: „Welchen Schwerpunktbereich wähle ich? Sollte ich promovieren?“. Das sind oft schwere Fragen, an denen manche zu verzweifeln drohen. Wichtig ist meines Erachtens folgende Erkenntnis: Das Leben und der Lebensweg entwickeln sich organisch aus sich heraus. Ich glaube, dass es für jede*n von uns viele mögliche Biographien gibt und jede einzelne die Chance dazu bietet, glücklich zu werden. So sehr ich für die Wissenschaft brenne, so sehr glaube ich, dass ich auch in anderen beruflichen Zweigen mein Glück gefunden hätte. Letzteres ist auch eine Frage der inneren Einstellung.

 

Ich glaube, bei diesen Entscheidungen sind zwei Dinge wichtig: Zum einen hat man diese innere Stimme, ein Gefühl. Ich habe immer gerade danach entschieden, nie nur rational. Zum anderen ist es – wie schon gesagt – auch wichtig, aus diesen Lebensentscheidungen den Druck rauszunehmen. Eine grundbejahende Einstellung und Vertrauen darauf, dass retrospektiv gesehen alles schon so richtig sein wird, helfen da sehr. Mein Motto ist: „Alles wird gut!“.

Gegen Ende der Habilitationsphase stellte sich bei Dir das Gefühl ein, dass vermutlich viele Juristinnen und Juristen kennen: „Damit die Arbeit richtig gut wird, bräuchte ich jetzt eigentlich noch mal ein halbes Jahr Zeit.“ Wie bist Du mit dieser Situation und dem Gedanken umgegangen?

Dass ich doch abgegeben habe, war vor allem dem sanften Druck meines Mannes geschuldet. Als dieser bekundete, dass ich zwar frei darin sei, die Arbeit nicht abzugeben, er aber nicht mehr so viel kompensieren könnte wie vorher, war mir klar, dass ich sowieso nicht die Zeit haben werde, die ich meinte noch zu brauchen. Aber ich hatte auch einfach keine Kraft mehr. In den acht Wochen vor Abgabe habe ich nur vier bis fünf Stunden pro Nacht geschlafen und ansonsten nur gearbeitet. Das war auch eine extreme körperlich belastende Situation, die ich so nicht noch weiter durchgehalten hätte. Auch die innere Kraft fehlte. Es reichte dann mit dem Thema; ich brauchte einfach etwas Distanz dazu. Außerdem hatte ich schon weitere anstehende Verpflichtungen – die Gast- und Vertretungsprofessuren. Wenn ich mir noch mehr Zeit genommen hätte, hätte ich die nicht mit dem Einsatz wahrnehmen können, den ich bringen wollte. Natürlich hatte ich mich bei meinen Mentoren und Mentorinnen auch abgesichert, dass ich die Habilitation so abgeben konnte. Und trotzdem stellte ich mir die Frage: „Reicht das?“. Dieses Gefühl kennen viele und in meinem Falle verschwindet es auch nie. Es ist gerade auch der entscheidende Faktor, der mich die „extra mile“ gehen lässt und zu Höchstleistungen bringt. Wichtig ist nur, dass dieses Gefühl nicht paralysiert und man dennoch abgibt.

Dein ältester Sohn wurde geboren als Du Referentin am MPI und zudem mitten in deiner Habilitationsphase warst. Heute ist er sechs Jahre alt und Du bist 2021, als Du schon Professorin in Graz warst, erneut Mutter geworden. Als Dein zweiter Sohn vier Monate alt war, hast Du den Lehrstuhl in Freiburg übernommen. Wie haben Du und Dein Mann die Betreuung bisher aufgeteilt?

 

Das ist eine große Herausforderung, die viel Management erfordert. Mit einem Kind ist alles anders; mit zwei Kindern noch viel mehr, wenn auch vieles routinierter ist. Mein Leben ist mit meinen beiden Kleinen viel erfüllter als zuvor und ich liebe sie über alles, aber natürlich ist es so, dass mein Mann und ich jeweils zwei Vollzeitstellen haben und immer „on duty“ sind. In allen Phasen – Habilitation, Lehrstuhlvertretungen, Professuren – hat mein Mann mir oft den Rücken freigehalten, obwohl auch er als Unternehmensberater in einer großen Unternehmensberatung extrem eingespannt war und nunmehr als CFO sehr gefordert wird. Allerdings war für ihn auch seit den Anfängen unserer wirklich tollen und glücklichen Beziehung klar, dass es bei mir keine „Auszeiten“ geben wird. Ich bin einfach eine bessere Mutter, wenn ich beruflich ausgelastet bin. Ich bin zu sehr eins mit dem, was ich mache, als dass ich mich hätte zurücknehmen können. Es war auch ganz klar, dass wir Kinderbetreuung teilen und niemand die „primäre Zuständigkeit“ hat. Wir sind oft an unsere Grenzen gekommen, aber irgendwie ging es immer. Wir sind ein sehr gutes Team. Zudem haben wir immer gesagt, dass wir uns die Hilfe holen, die wir brauchen und in Kinderbetreuung investieren. Seitdem ich Professorin bin, arbeiten mein Mann und ich extrem viel unter der Woche und halten die Wochenenden, so denn nur irgend möglich, frei. Dies ist uns heilig, ließ sich in der Habilitationsphase aber nur selten bewerkstelligen. Meine Kinder sind ganz wunderbare, nette, ausgeglichene, gesunde, kluge und lustige Wesen. Und dies – wie manche wohl gern sagen würden – obwohl ich weder in den Schwangerschaften noch danach jemals Tempo aus meinem Leben genommen habe. Ich würde eher sagen, dass meine Kinder sich so fulminant entwickeln, weil sie stets glückliche Eltern um sich herum gehabt haben.

In den letzten Jahren hast Du Forschungsaufenthalte in New York, Sydney und Melbourne absolviert. Dein Mann und Dein Sohn sind dorthin mitgekommen. Wie war es, mit der Familie im Ausland zu leben und zu arbeiten?

Das war absolut fantastisch! Wir sind nach New York gegangen, als mein großer Sohn sechs Monate alt war (nunmehr ist er sechs) und waren dann – unseren Sydney- und Melbourneaufenthalt zusammengerechnet – knapp ein Jahr im Ausland. In der Zeit hat mein Mann die Kinderbetreuung übernommen. In New York habe ich immer sehr früh begonnen zu arbeiten, meist schon um 6 bis 7 Uhr morgens. Dann habe ich mich bis 16 Uhr auf meine Habilitation konzentriert und hiernach meinen Mann von den Betreuungspflichten befreit. Abends gab es dann noch eine zweistündige Arbeitseinheit, nachdem der Kleine im Bett war. Die Wochenenden waren Familienzeit. Das Arbeitsprogramm setzte ich dann auch in Australien fort.

 

Für so eine umfassende Arbeit wie eine Habilitation ist es super, eine Zeit lang im Ausland zu forschen, weil man trotz aller technischen Mittel und Möglichkeiten der Erreichbarkeit doch auch einfach „weg“ ist und interessanterweise automatisch weniger von außen behelligt wird. In New York habe ich trotz aller Ablenkungen, die die Stadt bietet, enorm konzentriert arbeiten können. Ähnlich war es in Sydney und Melbourne. Wir waren zu dritt wie in einer Blase und es war eine tolle Familienzeit. Unser Sohn war sehr klein und es galt in seinem Falle nur eine beschränkte Anzahl an Bedürfnissen zu befriedigen. Dies ging von New York aus ebenso einfach wie von Deutschland aus. Anfangs war unser Sohn ruhig, wenn es um ihn herum sehr laut war. Da konnten wir tatsächlich auch abends noch viel unternehmen, sofern wir ein „stroller-friendly restaurant“ auftreiben konnten. Das hat sich irgendwann dann leider geändert. Wir mussten unser Abendprogramm nach vorne verlegen und unsere Freunde dann eher zu uns einladen. Es gab auch fulminante Dinnerparties. Natürlich hatten wir auch schreckliche, durchweinte Nächte und standen am nächsten Tag wie Roboter auf. Mein Quell von Energie ist aber eher Aktivität als Passivität. 

 

Mein Rat an alle: Die Babyphase ausnutzen und gerade in dieser Zeit die Welt erobern!

Welche Unterschiede hast Du im Vergleich zur Forschung in Deutschland ausmachen können?

Die Zugriffe auf das „Recht“ sind oftmals anders – per se multiperspektivisch und inter- bis transdisziplinär. In der deutschen Rechtslehre denken wir dogmatisch, viel in Strukturen und sehr systematisiert. Die Art zu forschen ist auch eine andere. Wenn man sich Dissertationen anschaut, so finden sich gerade in Deutschland viele, die ein Problem mitunter „gutachterlich“ erarbeiten. An der New York University suchen PhD-Kandidat*innen mitunter Jahre nach der „Forschungsfrage“; ist diese gefunden und präzise genug und stehen die Methoden, derer es zur Beantwortung bedarf, fest, ist die Schreibphase oftmals kurz. Oftmals wird mehr eine „Geschichte“ erzählt, denn allein eine kühle Analyse präsentiert.

 

An der Melbourne Law School findet sich das großartige Institute for International Law and Humanities. Schon dieser Institutsname signalisiert, dass Völkerrecht als Einheit mit den Geisteswissenschaften betrachtet wird. Die Wissenschaft vom Recht, die Politikwissenschaft, Soziologie, Literaturwissenschaft und die Geschichtswissenschaften werden in ihren Interdependenzen wahrgenommen. Als ich vor Ort war, wollten Kolleg*innen von mir oftmals – zur Abwechslung – „harte Dogmatik“ hören. (lacht) Mitunter wollte man etwas „disziplinenreines“ hören. (lacht) Und ich glaube in der Tat, dass es im internationalen Recht eines Mittelwegs bedarf, der dogmatische Mikroebenen mit Makro- und Metaebenen verknüpft.

 

In New York fiel mir auf, dass das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten dort omnipräsent ist. Plötzlich wird alles unsicher. Das permanente „Infragestellen“ ist spannend, aber auch sehr herausfordernd und ab und zu auch unbefriedigend. Sinnvoll forschen kann man nur, wenn man gewisse Annahmen macht und mit bestimmten Axiomen operiert. Der starke Fokus auf die Interdisziplinarität führt zudem mitunter dazu, dass es schwer ist, valide Argumente von nichtvaliden abzugrenzen. Es gibt kaum ein „richtig“ oder „falsch“. Interessanterweise ist gerade in den USA die ökonomische Analyse des Rechts in allen Varianten sehr populär. Bei derartigen Forschungsarbeiten finden sich am Ende Kalkulationen, die wie „Wahrheiten“ anmuten. Mittels Mathematik und Ökonomie wird die Lücke, die die Ferne zur Dogmatik bedingt, geschlossen.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?

Ihr habt schon viele beeindruckende Juristinnen interviewt und an dieser Stelle könnten noch unzählige weitere aufgelistet werden. Spontan fällt mir Prof. Dr. Dr. h. c. Anne Peters, LL.M. ein. Sie ist die Direktorin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerecht in Heidelberg und ein brillanter Kopf! Eine exzellente Analytikerin, unfassbar belesen, aber auch humorvoll. Sie hat mich während meiner Laufbahn sehr unterstützt und mein Selbstverständnis als Wissenschaftlerin geprägt. Wir Frauen in der Staatsrechtslehre haben ihr viel zu verdanken.

Dann wäre da noch Prof. Dr. Doris König, die Vizepräsidentin des BVerfG. Während meiner Zeit an der Bucerius Law School hatte ich intensiven Kontakt zu ihr. Wenn wir in Richtung Ausland blicken wollen, fiele mir Gráinne de Búrca ein. Sie ist Professorin an der New York University und sehr scharfsinnig mit einem einnehmenden Wesen. Und Hilary Charlesworth – nunmehr Richterin am International Court of Justice: Enormes Charisma gepaart mit beeindruckendem juristischem Können.

 

Das sind alles großartige Frauen, neben den vielen, die ich hier unerwähnt lasse.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Freiburg/Frankfurt am Main, 27. März 2023. Das Interview führte Laura Nordhues.

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