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Sommerreihe

 

 

Iman Ahmed im Porträt

Die juristische Ausbildung steht sich selbst im Weg!

 

Iman Ahmed, LL.M.-Studentin an der Aix-Marseille Université, Stipendiatin beim DAAD und Mitglied beim Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e.V. (iur.reform) im Rahmen unserer Sommerreihe über ihre Arbeit für den Verein hinter der großen iur.reform-Studie, über Reformgedanken zum Jurastudium und darüber, wie sie selbst das juristische Studium erlebt hat.

Wie kamst Du zum Jurastudium?

Dass ich diesen Weg einschlagen würde, war nicht gänzlich offensichtlich. Ich wollte eigentlich Naturwissenschaften studieren – Mathematik, Chemie oder Biologie – da lagen meine Stärken in der Schule. Nach Gesprächen mit meiner Familie habe ich mich dann dazu entschlossen, Jura zwei Semester auszuprobieren. Letztlich bin ich dabeigeblieben, auch, weil ich mehr lernen und verstehen wollte.

 

Ich könnte mir aber auch vorstellen, irgendwann noch mal etwas ganz anderes zu studieren. Vielleicht doch etwas Naturwissenschaftliches.

Du hast an der Uni Hamburg studiert und dort 2021 Dein erstes Staatsexamen absolviert. Hast Du im Studium Druck empfunden und wenn ja, wie bist Du damit umgegangen?

Uns wurde bereits am ersten Tag kommuniziert, dass es in unserem Studium Druck geben wird und davon blieb ich auch nicht verschont. Das habe ich insbesondere im Hauptstudium gespürt – aufgrund der schieren Masse des Stoffs.

Der Druck begann für mich aber auch schon viel früher, weil ich zunächst nicht an meine guten Leistungen in der Schule anknüpfen konnte. Insbesondere in den ersten zwei Jahren, blieben meine Noten hinter meinen Erwartungen zurück. Ich fiel sogar mal durch eine Klausur. Das war schon ungewohnt für mich.

 

Ich habe zudem auch indirekt Druck empfunden, wenn beispielsweise meine Freunde ungesund viel gelernt haben und dann dennoch durch Klausuren gefallen sind. Das lässt einen mental nicht unberührt.

Was mir half, war der Sport, insbesondere Handball und Boxen. Dazu bin ich gerne mit Freund:innen um die Hamburger Alster gejoggt. Generell hat mich die Interaktion mit Freund:innen und die Unterstützung meiner Familie durch das Studium getragen.

Was hat Dich im Jurastudium am meisten interessiert und warum?

Wenn ich einzelne Disziplinen verstanden hatte, fand ich Schnittstellen zwischen Rechtsgebieten spannend wie etwa im Deliktsrecht. Die Interdisziplinarität hat mich schon immer interessiert, aus diesem Grund habe ich mich jetzt auch für einen interdisziplinären Master entschieden. Auch mein Schwerpunktstudium im Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts, spiegelte diese Vorliebe wider. Nach dem ersten Staatsexamen hatte ich wohl aus dem gleichen Grund auch ein Interesse am Vergaberecht (auch, wenn ich letztlich nicht dabeigeblieben bin). Ich mag es, wenn sich verschiedene Disziplinen vermischen, da hierdurch der abstrakte Sinn jedes Gebietes noch sichtbarer wird.

Wie bist Du zum Bündnis zur Reform der Juristischen Ausbildung e.V. (iur.reform) gekommen und was sind Deine Ziele dort?

Nach den schriftlichen Prüfungen meines ersten Staatsexamens, habe ich von einem Freund den Link zur Umfrage von iur.reform erhalten, die von Januar bis Juli 2021 lief. Dieser Freund hat früher mit Tobias Pollmann, einem unserer Gründungsmitglieder, zusammengearbeitet.

 

Bereits nach wenigen Fragen war ich von der gesamten Konzeptionierung der Umfrage, von der Art und Weise, wie die Fragen formuliert waren, der Wissenschaftlichkeit der Gegenüberstellung von pro und contra-Argumenten sowie der sehr professionellen Aufarbeitung, begeistert. Daher habe ich dann eine E-Mail an das Team geschrieben und eine Woche später wohnte ich schon einem der regelmäßigen Jours fixes bei.

 

Meine Ziele sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen des Vereins: Die Antreibung einer Reform des Jurastudiums. Wir möchten alle für den Prozess dieser Reform relevanten Akteur:innen an einen Tisch bringen, wo dann gemeinsam ausgearbeitet werden muss, ob (eher inwiefern) einige Aspekte des Jurastudiums zu reformieren sind. Ziel ist es dabei das Qualitätsniveau der Ausbildung so hoch wie möglich zu halten, ohne dabei die mentale und körperliche Gesundheit der Studierenden aus den Augen zu lassen. Das Jurastudium ist so ein anregendes und abwechslungsreiches Studium, es könnten viel mehr erfolgreiche akademische Abschlüsse gefeiert werden und es könnte ein deutlich heterogeneres, qualifizierteres Personal in Wissenschaft und Wirtschaft entlassen werden. Die juristische Ausbildung steht sich selbst im Weg – das wollen wir ändern!

Welche ganz persönlichen Gründe hast Du, Dir Reformen für das Jurastudium zu wünschen?

Ich persönlich habe die Vorzüge aber eben auch die Defizite des Jurastudiums erlebt. Wie aktuell vielseitig gefordert, wünsche ich mir vor allem eine emotionale Entlastung im Studium, denn ich glaube, das würde für viele Studierende sehr viel bedeuten. Denn Studierende, die das Studium solide beschritten haben und sodann durch das Staatsexamen fallen und vor dem Nichts stehen: Das ist ein Unding und weist auf eine fehlerhafte Konzeption des Ausbildungsprozesses hin. Das Jurastudium an sich ist ein sehr aussichtsreiches Studium und ein hilfreiches Handwerk für das Leben. Dass es teilweise derart böse enden kann, sollte nicht mehr lange so gelebt werden!

Wie organisiert ihr euch bei iur.reform?

Wir organisieren uns insbesondere in den regelmäßigen Jours fixes, in denen wir uns austauschen. Die Verteilung in verschiedene Kleingruppen (etwa Social Media, Finanzen, Artikel, etc.) erlaubt es unsere Arbeit übersichtlicher zu organisieren.

Was sind Deine Aufgaben im Verein?

Ich engagiere mich zurzeit in der Literaturauswertung, dem Social Media Team und habe an der Studienauswertung mitgewirkt. Da dieses Projekt nunmehr abgeschlossen ist, engagiere ich mich aber auch in anderen Kleingruppen. So habe ich zum Beispiel Artikel für juristische Fachzeitschriften geschrieben, was mir sehr viel Spaß macht und mir erlaubt, meine Fähigkeiten vielseitig einzusetzen. Ein bis zwei Mal im Jahr organisieren wir zudem ein virtuelles Treffen, bei dem wir uns in geselliger Atmosphäre austauschen und unsere Leistungen Revue passieren lassen.

 
Wie geht es mit iur.reform weiter?

Nachdem nun fast 12.000 Menschen mit juristischem Bezug abgestimmt haben, konnte ein Meinungsbild gezeichnet werden, welches endlich die Bedürfnisse der Auszubildenden, Praktiker:innen und Ausbildenden widerspiegelt.  

 

Unter anderem haben wir sechs Thesen herausgearbeitet, die von der Mehrheit der Befragten (dh. Richter:innen, Juristische Prüfungsämter, Anwält:innen, Lehrende und Studierende) befürwortet wurden. Die Umsetzungszeit dieser Reformoptionen stufen wir als rasch ein und haben sie aufgrund dessen in unseren Sofortprogrammen formuliert. Idealerweise wird dieses datenbasierte Stimmungsbild gesehen und von den relevanten Stakeholdern herangezogen, sodass es zeitnah spürbare Veränderungen geben wird.

 

Wie die Zukunft aussieht, kann ich nicht sagen und erst recht nicht für das ganze Team von iur.reform beantworten. Doch wünsche ich mir, dass die herausgearbeiteten Ideen verstanden und umgesetzt werden, sodass den aufgezeigten Bedürfnissen bestmöglich entsprochen werden kann! 

Nehmen wir mal an, Du allein könntest über die Zukunft der juristischen Ausbildung entscheiden: Welche Reformpunkte würdest Du sofort umsetzen (und warum)?

Das sollte niemals nur eine Person machen. Aber in der Theorie würde ich mich an meinen persönlichen Lieblingsthesen aus unserem Reformoptionenkatalog orientieren: Es sollten nur dann neue Lerninhalte aufgenommen werden, wenn dafür bestehende gestrichen werden. Zudem halte ich eine unabhängige Zweitkorrektur für nötig, um zwei unabhängige und qualifizierte Voten zu gewährleisten und jegliche Tendenzen der Zweitkorrigierenden durch die Erstkorrektur auszuschließen. Außerdem wünsche ich mir eine diversere Zusammenstellung der Prüfungskommissionen. Mehr Frauen zum Beispiel oder Menschen mit migrantischem Hintergrund. Hierdurch könnte weitgehend den Vorwürfen der Voreingenommenheit Schweigen geboten werden. Stichwort „Diversitätskompetenz“.  

 

Und ganz persönlich würde ich, wenn ich bestimmen könnte, das Jurastudium mit Inhalten aus den Sozialwissenschaften erweitern. Das würde die Ausbildung meines Erachtens extrem bereichern und rührt ebenso wieder aus meiner Vorliebe für Interdisziplinarität.

Über dem Jurastudium schwebt für viele Studierende das erste Staatsexamen wie ein Damoklesschwert. Wie hast Du Deine eigene Examensvorbereitung erlebt?

Meine Examensvorbereitung fiel leider in die Covid 19-Zeit. Ich habe ohnehin abwechselnd in der Bibliothek oder zu Hause gelernt, so dass sich dahingehend mein Alltag nicht groß verändert hat. Doch durch die Beschränkungen konnte ich meinem Lernausgleich durch Sport und Bewegung nicht nachkommen. Ich konnte weder Handball spielen noch Boxen und natürlich war auch das Fitnessstudio geschlossen. Was blieb, war das Laufen an der Alster und Spaziergänge mit Freund:innen. Es sind in der Zeit auch einige Familienmitglieder aus Hamburg weggezogen. Mir haben Kultur und das soziale Miteinander sehr gefehlt. Im Nachhinein muss man aber auch sagen, dass die Examenssituation auch eine gewisse Einsamkeit mit sich bringt. Ohne diese spezielle Belastungsroutine hätte ich die Pandemie vermutlich besser verkraftet. Ich war ziemlich oft unzufrieden. Der Gedanke, dass ich in der Pandemie aber gewiss nicht die Leidtragende bin, holte mich dann oft wieder zurück.  

Viele Studierende verspüren heute den Druck, das Studium schnell zu beenden. Kennst Du dieses Gefühl? Hat es Deine Entscheidung, einen LL.M. (bzw. in deinem Fall den EMLE) zu machen irgendwie beeinflusst?

Aufgrund der Länge des Studiums kenne ich den Druck, schnell fertig werden zu wollen auf jeden Fall. Aus diesem Grund habe ich mich damals auch gegen ein Auslandssemester im Studium entschieden – eine Entscheidung, die ich heute so nicht mehr treffen würde.

 

Ich kann heute jeder und jedem raten, ins Ausland zu gehen. Der akademische und soziale Austausch sowie Unbekanntes zu entdecken und zu erleben sind unbezahlbare Erfahrungen. Und ich finde, dass sich jede lernintensive Phase doch besser ertragen und verarbeiten lässt, wenn im Anschluss etwas Schönes in Aussicht ist. Natürlich ist mein Master jetzt auch anstrengend, doch eben auf einer ganz anderen Ebene. Ich genieße die Erfahrung und die Kontakte, die ich gerade knüpfe, sehr. Ich bereue es auch nicht, nach dem ersten Staatsexamen erst ein Jahr in einer Kanzlei im Gesellschaftsrecht gearbeitet zu haben. Das sind in der Summe zwei Jahre zwischen erstem Examen und dem Referendariat, was für viele vermutlich eine viel zu große „Lücke“ darstellen würde. Für mein Gemüt war das genau richtig, denn ich brauchte die Luft zum Atmen! Mich hat diese Stimmung also schon beeinflusst, aber eher in die Richtung, unbedingt den EMLE machen zu wollen.

Was werden wir in Zukunft von Dir hören?

Das ist schwer zu beantworten, da ich so viele Bereiche interessant finde. Jedenfalls werde ich nach meinem Master erst einmal ins Referendariat gehen und dadurch hoffentlich noch vieles lernen, was mir ggf. die eine oder andere Entscheidung abnimmt. Ich könnte mir vorstellen Richterin zu werden, möchte davor aber erstmal rechtsberatend tätig sein.

 

Hoffentlich hört ihr von mir aber nur Gutes.

Vielen Dank für das spannende Interview!

München / Warschau, 10. Juli 2023. Das Interview führte Anjuli Theresa Wiencke-Aschenbrenner. 

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