Dr. Wiebke Rückert, LL.M. im Porträt
„Ich brenne für meine Aufgaben.“
Dr. Wiebke Rückert, LL.M. ist Diplomatin und spricht mit uns über ihre Begeisterung für ihren Beruf und darüber was junge Menschen für eine Tätigkeit als Diplomat:in mitbringen sollten.
Frau Rückert, Sie sind Referatsleiterin des Referats für Menschenrechte und Genderfragen des Auswärtigen Amts in Berlin. Was begeistert Sie am Diplomat:innenberuf am meisten?
Das Wort „Vielfalt“ fasst es wahrscheinlich am besten zusammen. Sowohl meine verschiedenen Tätigkeiten als auch die Menschen, mit denen ich arbeite, sind sehr vielfältig. Das Auswärtige Amt ist kein rein juristisches Umfeld, aufgrund des Generalist:innenprinzips. Die Tätigkeiten sind aufgrund des Rotationprinzips sehr vielfältig. Alle drei bis vier Jahre wechseln wir die Position. Oft ist das auch ein Wechsel in ein anderes Land, auf einen anderen Kontinent, aber auch in ein anderes Team und zu einer neuen inhaltlichen Aufgabe. So sind wir oft mit neuen spannenden Herausforderungen konfrontiert.
Für mich ist aber auch die Begeisterung für die Sache selbst und die Rolle meines Arbeitgebers in der Gesellschaft entscheidend. Zu den Zielen des Auswärtigen Dienstes ist § 1 Abs. 1 GAD ganz klar: er dient einer friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, der Wahrung der Menschenrechte, der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Erde, der Achtung und Fortentwicklung des Völkerrechts…Ich brenne für meine Aufgaben als Diplomatin und ich identifiziere ich mich mit den Zielen des Auswärtigen Amts. Ich weiß nicht, ob ich das so bei einem privaten Arbeitgeber gefunden hätte. Das ist eine Einstellung, die ich auch bei viele Kolleg:innen beobachte.
Sie sind promoviert und haben einen LL.M. Würden Sie jungen Juristinnen, die eine Karriere beim Auswärtigen Amt anstreben, dazu raten diese Qualifikationen zu erwerben oder ist allein das Auswahlverfahren zu Beginn der Ausbildung entscheidend?
Für mich waren sowohl die Dissertation als auch mein Jahr an der NYU für den LL.M. tolle Erfahrungen. Ein bisschen schockiert hat mich, als nach dem LL.M und vor der Promotion ein Anwalt zu mir meinte, dass "gerade bei mir als Frau" ein Titel mehr nicht schaden könne. Das zeigt doch, dass Frauen ihre fachliche Kompetenz damals offenbar immer noch deutlicher unter Beweis stellen mussten als Männer. Für die Einstellung im Auswärtigen Amt sind akademische Titel aber nicht entscheidend, für eine Tätigkeit bei uns sind einschlägige Auslandserfahrungen das wichtigere Kriterium. Solche Auslandsaufenthalte können natürlich auch im Rahmen einer Doktorarbeit oder eines LL.M.-Studiums stattfinden. Was einschlägige Auslandsaufenthalte sind, kann man so einfach nicht beantworten. Grundsätzlich erst einmal nicht-touristische Aufenthalte, beruflich oder in der Ausbildung - je näher die Tätigkeit im Ausland aber an einer diplomatischen Tätigkeit dran ist, desto besser. Aus meinem Jahrgang waren einige vorher bei der Weltbank, dem IKRK oder bei NGOs, aber da gibt es viele gute Möglichkeiten.
Sollten weitere Qualifikationen im Bereich des Völkerrechts erworben werden oder kommt es darauf nicht so sehr an?
Für Jurist:innen, die sich für den diplomatischen Dienst interessieren, scheint das Völkerrecht wie eine natürliche Wahl. Aufgrund des Generalist:innenprinzips ist das aber selbstverständlich nicht zwingend.
Sie sind Leiterin des Referats für Menschenrechte und Genderfragen. Wie verläuft der Auswahlprozess für diese Stelle, insbesondere in Bezug auf die Frage, in welchem Referat man tätig ist?
Bevor eine Rotation ansteht, werden alle Stellen veröffentlicht. Jede:r Mitarbeiter:in kann sich dann auf die verschiedenen Stellen bewerben und Präferenzen angeben. Bei der Auswahl der Stellen werden verschiedene Punkte berücksichtigt. Natürlich spielen gerade für die leitenden Positionen Erfahrungen eine Rolle. Insbesondere aber, wenn es um eine Versetzung ins Ausland geht, wird auch die familiäre Situation berücksichtigt. Es wird genau geschaut, ob und wohin eine Familie versetzt werden kann. Für mich steht im Sommer die nächste Rotation an. Da mein ältester Sohn im nächsten Jahr das Abitur hier in Berlin machen wird, werde ich nicht ins Ausland versetzt.
Das Auswärtige Amt als Arbeitgeber betreibt Frauenförderung, wie wirkt sich das auf Ihr Arbeitsumfeld aus?
Das Auswärtige Amt bemüht sich, ein sehr attraktiver Arbeitgeber für Frauen wie Männer zu sein. Dadurch hat sich in den letzten Jahren auch schon viel getan. Der Frauenanteil unter denjenigen, die Auslandsvertretungen leiten, ist zum Beispiel in den letzten sechs Jahren von 12,8 % auf 23,17 % gestiegen. Gerade aufgrund des Rotationsprinzips bringt eine Tätigkeit beim Auswärtigen Amt für eine Frau, insbesondere wenn sie Kinder hat oder haben möchte, viele Hürden mit sich. Allerdings wird, wie gesagt, wirklich viel getan, um die Situation zu erleichtern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch Pflege und Beruf zu ermöglichen. Bei uns gibt es zum Beispiel eine hausinterne Kita, verschiedene Arbeitsmodelle in Teilzeit und in den letzten Jahren sind auch Führungspositionen in Teilzeit möglich geworden.
Frauen in Führungsposition sind auch in Deutschland noch eine Ausnahme. Dies gilt umso mehr für viele andere Länder. Wie wirkt sich das auf die Arbeitsmöglichkeiten einer Frau beim Auswärtigen Amt aus?
Einer Frau stehen beim Auswärtigen Amt alle Positionen im In-und Ausland offen. Wer ein führendes Amt in einer Auslandsvertretung bekleidet, wird nicht vom gastgebenden Staat, sondern vom entsendenden Staat entschieden. Dass es immer noch weniger Frauen in Führungspositionen im Ausland gibt, hat mehr mit der Einstellung zu tun, die unsere Gesellschaft zum Diplomat:innenberuf hat bzw. vielmehr hatte. Die Gesellschaft ist einfach lange davon ausgegangen, dass ein:e Diplomat:in ein Mann ist, der eine Frau hat, die sich um die Umzüge, die Kinder, das Einleben im Ausland etc. kümmert. Das hat sich heute geändert und in den jüngeren Jahrgängen sind viel mehr Frauen, als es früher der Fall war. In Bezug auf die Führungspositionen muss man aber auch bedenken, dass eine Person, die heute für eine Führungsposition infrage kommt, natürlich noch aus einer Generation kommt, in der die Verteilung anders war. Daher ist es derzeit noch so, dass anteilig weniger Frauen für Führungspositionen im Auswärtigen Dienst in Frage kommen, als es in 10 oder 15 Jahren der Fall sein wird.
In einem Team beim Auswärtigen Amt sind alle Positionen klar zugeteilt. Würden Sie sagen, dass dies einen positiven Effekt auf die Aufstiegschancen von Frauen in diesem Beruf hat?
Ja, definitiv. Die Positionen werden alle paar Jahre neu verteilt und dann ist jede:r erstmal wieder in einer neuen Funktion tätig. Die vielen Wechsel tragen zur Chancengleichheit bei. Ein anderer Punkt ist, dass die Rollen innerhalb eines Teams klar zugeteilt sind. Wenn eine Frau in einer Führungsposition ist, kommt auch niemand an ihr vorbei. Die klare Rollenverteilung und der Wechsel sorgen meinem Eindruck nach dafür, dass Kontakte, Gewohnheiten und damit auch Geschlechterrollen weniger relevant sind.
Sie haben drei Kinder, die nach ihrer Ausbildung zur Attachée auf die Welt gekommen sind. Wie vereinbaren Sie Ihr Familienleben mit Ihrer Arbeit beim Auswärtigen Amt?
Ich liebe meine Familie und ich liebe meinen Beruf. Für mich war also immer klar, dass beides vereinbart werden muss. Das war natürlich nicht immer einfach, sogar ein Haufen harter Arbeit. Ich hatte aber die Möglichkeit, drei Mal erst in Elternzeit und dann in Teilzeit zu gehen und konnte mich so um meine Kinder kümmern. Auch mein Mann hat zwei Mal Elternzeit genommen und das zu einer Zeit, als das noch gar nicht so üblich war. Anders als ich wird er nicht gefragt, wie er das eigentlich hinbekommt mit der Karriere und den Kindern. Dabei treibt ihn das genauso um wie mich, denke ich. Wenn er bei uns zu Hause nicht so unglaublich viel mit schultern würde, dann hätte ich mich beruflich nicht so verwirklichen können.
Während Ihre Kinder klein waren, haben Sie einige Jahre in Teilzeit gearbeitet. Hatten Ihre Kolleg:innen Verständnis für diese Entscheidung und/oder hatten Sie das Gefühl, dass sich dies negativ auf Ihre Aufstiegschancen ausgewirkt hat?
Wie gesagt ist Arbeiten in Teilzeit bei uns oft gut möglich. Allerdings ist es vor allem dann auch innerhalb eines Teams gut zu tragen, wenn man eine Stelle hat, die tatsächlich eine Teilzeitstelle ist und keine Vollzeitstelle, die in Teilzeit geht. Wenn also eine andere Person da ist, mit der die Stelle 50:50 geteilt wird oder eine Teilzeitverstärkung in ein Team kommt. Dann muss auch niemand anders im Team zusätzliche Arbeit übernehmen. Teilzeitstellen sind deshalb gerade in der Zentrale in Berlin gut möglich, da es genug Mitarbeitende gibt, um die Arbeit zu verteilen. Als ich in Teilzeit gearbeitet habe, waren meine Kolleg:innen meist sehr verständnisvoll. Das galt insbesondere für diejenigen, die selbst Kinder hatten und dadurch die Situation nachvollziehen konnten. Auf meine Aufstiegschancen hat es sich letztlich nicht ausgewirkt.
Während Ihrer beruflichen Laufbahn haben Sie auch Stationen in Brüssel und Washington absolviert. Wie haben Ihr Mann und Ihre Kinder das erlebt?
Für uns als Familie waren die Auslandsaufenthalte sehr bereichernd. Mein Mann ist Kollege beim Auswärtigen Amt, deswegen konnten wir zusammen versetzt werden. Darauf wurde auch geachtet. Aber der Umstand, dass mein Mann Diplomat ist, heißt natürlich auch, dass er grundsätzlich Lust hat umzuziehen, um in anderen Ländern zu leben und zu arbeiten. Auch für unsere Kinder waren die Auslandsaufenthalte in erster Linie sehr bereichernd. Darüber darf man aber nicht vergessen, dass gerade die Eingewöhnungsphase auch eine sehr anstrengende Zeit ist. Man ist selbst an einem neuen Ort und begleitet die Kinder bei einer Eingewöhnung in eine neue Schule, ein neues Land mit einer neuen Sprache, das kostet auch Kraft…. Aber ja, ich würde sagen, es macht einen großen Unterschied, ob der Partner gerne mitkommt und selbst vor Ort arbeiten kann oder ob es für ihn eher ein Kompromiss ist. Ich hatte das Glück, dass es immer ersteres war.
Sie haben einmal erzählt, dass jüngere Kolleginnen oft auf Sie zukommen, um die Frage von Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu besprechen. Haben Sie diesbezüglich einen Rat, den Sie mit unseren jüngeren Leser:innen teilen möchten?
Mich überrascht bei meinen jüngeren Kolleginnen oft der Wunsch danach, sehr früh alles zu planen. Ich erlebe es oft, dass junge Frauen genaue Details der Vereinbarkeit klären wollen, lange bevor sie tatsächlich Eltern werden wollen. Auch wenn das natürlich verständlich ist, ist es nicht immer hilfreich. Wir wissen nicht immer, wo wir in ein paar Jahren sein werden und was dann unsere Bedürfnisse sind. In dem Zusammenhang muss ich manchmal an einen Cartoon denken, bei dem ein Paar an einer Theke über einem Bier saß und sinnierte: "Man kann auch keine Kinder und keine Karriere haben". Nicht alles lässt sich planen, das Leben ist viel komplexer. Meiner Erfahrung nach bringt jede Situation neue Herausforderungen mit sich, die man so nicht vorhergesehen hätte, aber auch neue Lösungen. Ich würde also den Rat geben, sich darauf zu verlassen, dass wenn die Zeit gekommen ist, die richtigen Lösungen gefunden werden.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Da fallen mir zwei Frauen ein, die schon hier porträtiert wurden: Angelika Nußberger und Susanne Wasum-Rainer. Aber auch Anne Peters. Alle drei sehr beeindruckende Frauen und auch Völkerrechtlerinnen.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Berlin, 4. Februar 2022. Das Interview führte Anna Isfort.
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